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Meine Zahnspange und ich

16. April 2010

Nicht jeder hat 7000 Euro übrig, um sich eine unsichtbare Zahnspange zu leisten. Ich heiße nicht Tom Cruise und muss für ein begradigtes Lächeln auf ein silbern glänzendes Etwas zurückgreifen. Und das mit über 30.

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Tom Cruise lächelt (Foto: dpa)
Er: Weiße Perlen in einer ReiheBild: picture-alliance/ dpa

In meinen späten Zwanzigern fingen meine Zähne unerwartet an zu wachsen. Der obere Schneidezahn schob sich langsam über den nächsten. Also ließ ich mir zuerst einmal die Weisheitszähne ziehen. Das schmerzhafte Leiden nach der OP zog sich hin, und ich war überzeugt, dass meine Zähne bald wieder wie weiße Perlen in einer Reihe stünden. Doch der Erfolg blieb aus, und ich lief mit einem krummen Schneidezahn durch die Welt.

Entschuldigung: Überbiss

Eigentlich hat mich der Zahn nicht gestört, dachte ich, aber bei ehrlichem, genauerem Nachdenken irgendwie doch. Es war mir unangenehm, aus Eitelkeit meine Zähne zu begradigen, aber dann fand sich der Grund, eine Zahnregulierung in Angriff zu nehmen. Ein Zahnspezialist stellte fest: "Sie haben einen ausufernden Überbiss". Die Problematik war mir nicht klar, aber nachdem mich der zu Rate gezogene Kieferorthopäde von der statistisch gesehen steigenden Wahrscheinlichkeit von Zahnausfall im Alter, der Neigung zu freiliegenden Zahnhälsen informierte und mir noch viel grässlichere Fotografien vorlegte, war ich bereit für die Schönheitsaktion. Offiziell ging es um den Überbiss, der Schneidezahn war dabei nur das Nebenprodukt.

Das Silber glitzert: plötzliche Stille

Peter Klaibers Zahnspange (Foto: Praxis Dr. Güde)
Ich: Schneeketten im MundBild: Praxis Dr. Güde

Seitdem erlebe ich immer dasselbe Räuspern, dasselbe angestrengte Wegschauen, dasselbe betretene Schweigen, wenn ich jemandem zum ersten Mal begegne. Manchmal frage ich mich, was schlimmer ist, ein schiefer Zahn oder eine Zahnspange?! Anfangs versuchte ich, die Brackets, unter Teenagern heißen sie auch "Bahngleise" oder "Schneeketten", zu verbergen. Das führte zu grotesker Gesichtsakrobatik mit über die Zähne gestülpten Lippen. Ich habe nach einigen verkorksten Gesprächen deshalb die Taktik gewechselt: Ich gehe in die Offensive und stehe zu meiner Spange. Das geht besser, und nur noch gelegentlich, wenn ich laut lache (mit weit aufgerissenem Glitzermund) und plötzlich Stille herrscht, frage ich mich, ob ich einfach nur an der falschen Stelle des Gesprächs gelacht habe oder ob plötzlich alle geschockt und gebannt zugleich sind von meinen silbernen Scharnieren im Mund.

Ich bin also von einem Dilemma (schiefer Zahn) ins nächste (Spange) geraten. Schauten die Leute früher auf meinen schiefen Zahn, schauen sie jetzt auf die Spange, und ein Ende ist nicht in Sicht. Auf den Zahn, da bin ich mir mittlerweile allerdings sicher, hat niemand so reagiert wie auf das Silbergestell.

Nächste Baustelle: Zahn ab

Mein Zahnarzt hat neulich die nächste Baustelle entdeckt: Der rechte Schneidezahn im Unterkiefer wurde mir im Schwimmbad mal von einer holländischen Touristin abgetreten. Obwohl ich mindestens eine halbe Stunde heulend durchs Becken tauchte, war die zweite Hälfte nicht zu finden. Der Arzt hat gesagt, dass sich da was machen ließe. Bevor der Zahn abstirbt und schwarz wird, könne er ihn wieder "aufbauen". Mal sehen, denke ich: Im Notfall behalte ich die Spange, da fällt der halbe Zahn unten sowieso nicht auf.

Autor: Peter Klaiber

Redaktion: Sabine Oelze