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Maximum des Möglichen

Rainer Sollich13. November 2002

Gibt Kofi Annas neuer Friedensplan Anlass zu neuen Hoffnungen auf eine Lösung des fast 30 Jahre alten Zypern-Konflikts? Rainer Sollich kommentiert.

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Die Verfassung der Schweiz soll nach Vorstellungen der UN als Vorbild für die Lösung des Zypern-Konflikts dienen. Die wichtigsten Vorschläge des neuen, bereits vom Weltsicherheitsrat abgesegneten Friedensplans von UN-Generalsekretär Kofi Annan lauten: Zypern soll ein eigenständiger und föderaler Staat werden, der aus zwei
gleichberechtigten Teilstaaten für die türkische und griechische Volksgruppe besteht. Wie die Kantone in der Schweiz, sollen beide Teilstaaten ihre eigene Regierung und Verfassung haben, über der jedoch das Grundgesetz des Gesamtstaates steht. In einer ersten Phase sollen die zyprischen Führer Glafkos Klerides und Rauf Denktasch gemeinsam die Präsidentschaft des Gesamtstaates
übernehmen. Das Abkommen soll in Kraft treten, wenn es in beiden Inselhälften per Volksabstimmung gebilligt wird.

Seit dem türkischen Einmarsch vor fast 30 Jahren gilt auf Zypern: Es fehlt nicht an geeigneten Plänen, die Teilung der Mittelmeerinsel zu überwinden - es fehlt am politischen Willen. Dies gilt prinzipiell auch jetzt noch, doch der neue Plan von UN-Generalsekretär Kofi Annan ist besser und konkreter als die früheren. Und der politische Wille könnte sich unter europäischem Druck noch vor dem Kopenhagener
EU-Gipfel im Dezember herausformen - wenn die Bedingungen stimmen.

Die griechische Seite dürfte am ehesten zustimmen können, denn ihre Hauptziele bleiben in dem Plan fast unangetastet. Es gäbe nur einen international anerkannten Staat Zypern. Und der EU-Beitritt des Landes - ohnehin schon beschlossene Sache - würde dann auch voll und ganz für den türkischen Nordteil gelten. Substanzielle Konzessionen müssten die Insel-Griechen und ihre Verbündeten in Athen allerdings bei der föderalen Machtaufteilung mit den Insel-Türken machen - und außerdem wohl bei Eigentums- oder Entschädigungsfragen.

Gut möglich, dass solche Zugeständnisse für viele Bürger im griechischen Teil schmerzhaft sein würden. Jedenfalls dann, wenn durch den türkischen Einmarsch 1974 erlittenes Unrecht nicht in vollem Umfang wieder gutgemacht wird. Doch wer könnte das schon ernsthaft erwarten? Die Alternative zu Annans Zypern-Plan wäre ein Fortbestand der Teilung - ohne Entschädigung. So gesehen holt Annans Entwurf für die Insel-Griechen das Maximum des Möglichen heraus.

Dasselbe gilt prinzipiell auch für die türkische Seite. Der Plan sieht zwar nicht die geforderte internationale Anerkennung der "Türkischen Republik Nordzypern" im Sinne eines souveränen Staates vor. Aber Nordzypern würde zu einem von zwei gleichberechtigten Teilstaaten. Es würde in den Genuss der wirtschaftlichen Vorteile einer EU-Mitgliedschaft kommen - und auf gesamtstaatlicher Ebene wäre eine faire Machtbeteiligung der Insel-Türken gewährleistet. Mehr einzufordern, wäre unrealistisch: Mit Ausnahme Ankaras ist die ganze Weltgemeinschaft gegen eine Zwei-Staaten-Lösung auf Zypern.

Zyperns griechischstämmiger Präsident Glafkos Klerides scheint dem Plan Symphatien entgegenzubringen. Ob auch die zyprische Bevölkerung zustimmen würde, bleibt erst einmal ungewiss. Die Widerstände dürften allerdings auf beiden Seiten groß sein. Die entscheidende Frage ist aber, ob der türkische Volksgruppenführer Rauf Denktasch und seine Schutzmacht, die Türkei - und insbesondere die türkischen Militärs, - dem Plan in der vorliegenden Form zustimmen werden.

Auch wenn Ankara einen kleinen Teil seiner rund 40.000 Soldaten auf Zypern stationiert lassen darf: Annans Friedensplan sieht eine weitgehende Entmilitarisierung der Insel vor. Dies dürfte den mächtigen türkischen Generälen allein schon aus militärstrategischen Gründen sehr schwer fallen. Immerhin hat aber der Führer der neuen türkischen Regierungspartei AKP, der Reform-Islamist Recep Tayyip
Erdogan, schon vorsichtig Kompromissbereitschaft erkennen lassen.

Wenn die türkische Seite tatsächlich zustimmen sollte, wird sie aber einen Preis dafür verlangen. Zu diesem Preis dürften - erstens - Sicherheitsgarantien für die Insel-Türken gehören, die bis 1974 immer wieder Opfer ethnischer Verfolgungen wurden. Und zweitens, für Ankara der wichtigere Punkt: weitere Zugeständnisse der Europäischen Union im Hinblick auf den angestrebten EU-Beitritt der Türkei. Immerhin: Die Regierung in Athen gehört nicht mehr zu denen, die sich dagegen sperren. Dafür haben inzwischen andere EU-Staaten Bedenken. Das bedeutet: Über Erfolg oder Misserfolg von Kofi Annans Zypern-Plan wird nicht zuletzt auch in Brüssel entschieden.