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Politik

Schulz: Zu viel Politik gegen das griechische Volk gemacht

Irene Anastassopoulou
20. August 2018

Griechenland braucht jetzt Investoren, fordert der frühere Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz (SPD) im DW-Interview. Ausdrücklich lobt er die Kompromissbereitschaft der Athener Regierung in der Finanzkrise.

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Martin Schulz und Alexis Tsipras
Mitten in der Finanzkrise: Martin Schulz (li.) und Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras im Januar 2015 in AthenBild: Reuters/M. Djurica

DW: Nach acht Jahren enden die Hilfsprogramme für Griechenland. Gibt es eigentlich Grund zu feiern?

Schulz: Griechenland hat erhebliche Schritte gemacht, um sich selbst an den internationalen Finanzmärkten zu refinanzieren. Das ist eine Grundvoraussetzung, um Investoren ins Land zu bekommen. Diese Art des Wirtschaftsstabilitätsmodus, den das Land jetzt dadurch erreicht hat, dass seine Kreditglaubwürdigkeit gesteigert ist, wird, so hoffe ich jedenfalls, dazu führen, dass endlich in Griechenland investiert wird. Deshalb ja: Obwohl wir noch nicht am Ende der Reise sind, kann und sollte man diesen Zwischenerfolg sicherlich feiern! 

Ministerpräsident Alexis Tsipras betonte zuletzt mehrfach, dass Griechenland ab jetzt seine finanzielle Unabhängigkeit wiedererlangt habe. Sagt er seinem Volk die ganze Wahrheit? 

Ich glaube, ja. Wenn man Unabhängigkeit dadurch definiert, dass ein Land nicht abhängig von anderen bei der Finanzierung seines Haushalts ist, dann ist das ein großes Stück Unabhängigkeit. 

Was sind die Lehren aus der Griechenland-Rettung für die EU? War sie eine Erfolgsgeschichte? Gibt es Raum für Selbstkritik?

Das ist eine Frage, die die Historiker beantworten müssen. Noch sind wir in dem Prozess. Dennoch drei Anmerkungen dazu: 
Erstens, wir haben viel zu lange immer nur über die Griechen und viel zu wenig mit den Griechen geredet. Das war übrigens auch der Grund dafür, dass ich unmittelbar nach Tsipras´ Amtsantritt nach Athen geflogen bin, um das Gespräch zu suchen.

Symbolbild Griechenland Finanzkrise Euro-Rettungsschirm
Kann wieder zugeklappt werden: Der EU-Rettungsschirm für GriechenlandBild: picture-alliance/dpa/O. Panagiotou

Zweitens die Vorurteile, die gegen eine linke Regierung geherrscht haben und die in ganz Europa propagiert wurden, waren ungerechtfertigt. Tsipras betreibt eine sehr zuverlässige und seriöse Politik. Er hat viel geopfert und auch viele Konzessionen in seiner eigenen Partei gemacht, um das Beste für sein Land zu erreichen. Letztendlich hat er sich gegen Zyniker und Besserwisser wie Herrn Varoufakis durchgesetzt.

Und der dritte Punkt ist, dass wir hoffentlich gelernt haben, dass Rettungen nicht auf Kosten des Volkes gehen sollten. Die Griechen waren zu vielen Opfern bereit. Aber ich erinnere mich sehr gut daran, dass in einem Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung aus der medizinischen Versorgung herauszufallen drohte, über die Erhöhung der Mehrwertsteuer für Medikamente diskutiert wurde. Auch auf Druck der internationalen Gläubiger. Das war ein Punkt, an dem ich gedacht habe, nein, so kann man ein Volk nicht auf seine Seite ziehen. So kann man eine Wirtschaft nicht sanieren! Man muss dabei immer an die Menschen und ihre Schicksale denken.

Welchen Rat würden sie heute nach acht Hilfsprogrammen für Griechenland geben?

Investoren ins Land zu holen. Er (Tsipras, Anm. der Red.) sollte auf Werbetour gehen. International und weltweit versuchen, die Menschen davon zu überzeugen, dass viele Vorurteile, die es gegen Griechenland gibt, ungerechtfertigt sind. Nach Jahren der Einschnitte und des Pessimismus, muss nun eine Phase des Optimismus und des Wachstums anbrechen. 

Trauen Sie das Tsipras zu?

Ich traue ihm das zu. Ob er bleibt, das entscheidet das griechische Volk, aber ich glaube Alexis Tsipras verdient, dass ihm auch die Zukunft Griechenlands anvertraut wird. Das sage ich natürlich immer auch mit einem Herz, das für meine Freunde von der PASOK schlägt, die auch einen hohen politischen Preis gezahlt haben. Aber ich glaube, Tsipras hat gezeigt, dass er als mutiger Mann bereit ist, das Land zu führen.

Martin Schulz (62) war von 2012 bis 2017 Präsident des Europaparlaments in Straßburg. 2017 trat er für die SPD als Herausforderer von Bundeskanzlerin Angela Merkel an.

Das Interview führte Irene Anastassopoulou.