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Taliban einbeziehen?

19. Mai 2011

Die USA sollen direkte Gespräche mit den Taliban begonnen haben. Doch das macht nur Sinn, wenn auch lokale und regionale Akteure beteiligt werden, erklärt Afghanistan-Experte Thomas Ruttig im Interview mit DW-WORLD.DE

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Portrait Thomas Ruttig (Foto: DW/Arif Fahramand)
Thomas Ruttig war häufig in Afghanistan und kennt das Land aus eigener ErfahrungBild: DW/Arif Fahramand

DW-WORLD.DE: Die afghanische Regierung verhandelt bereits seit einiger Zeit mit Vertretern der radikalislamischen Taliban. Nun haben unbestätigten Berichten zufolge auch die USA direkte Gespräche mit den Taliban aufgenommen. Sind diese Gespräche die ersehnte Lösung des Afghanistan-Konflikts?

Thomas Ruttig: Es sollte direkte Gespräche geben im Interesse aller Afghanen, die gegen den Krieg und das Blutvergießen in ihrem Land sind - und das ist die Mehrheit. Aber es geht nicht nur um einen Dialog mit den Taliban, sondern auch um Gespräche mit allen wichtigen politischen und sozialen Kräften in Afghanistan. Es sollte nicht nur bei Abmachungen zwischen der jetzigen Regierung in Kabul und den Taliban bleiben. Wichtig ist, dass die Friedensverhandlungen von der Mehrheit des Volkes getragen werden.

Was für ein Interesse könnten die Taliban haben, jetzt, in einer Situation, wo sie sich stärker fühlen, mit den Amerikanern und mit der afghanischen Regierung über eine mögliche Teilung der Macht zu verhandeln?

Ich glaube, dass ein Teil der politischen Führung der Taliban tatsächlich eine solche Machtteilung ablehnt. Ich möchte aber optimistisch sein und sagen, dass es auch unter den Taliban Leute gibt, die politisch denken und die nicht wollen, dass ihre eigenen Leute, nämlich die Afghanen, getötet werden. In den Jahren 2007 und 2008 gab es eine große Auseinandersetzung innerhalb der Taliban darüber, ob Selbstmordattentate islamisch sind. Viele unter den Taliban haben diese Frage verneint. Es hat für Optimismus gesorgt, dass man möglicherweise über manche Dinge mit ihnen eine gemeinsame Sprache finden kann. Um zu erfahren, was die Taliban wollen, muss man aber zuerst mit ihnen sprechen.

Die Taliban, das sind für viele Afghanen Söldner, die in Pakistan bewaffnet und nach Afghanistan geschickt werden. Dieses Bild hat sich in den letzten zehn Jahren nicht geändert. Es gibt aber auch Experten, die die Taliban als eine nationale Bewegung bezeichnen. Wie passt das zusammen?

Die Diskussion, die Taliban als eine nationale Bewegung darzustellen, bezieht sich auf den Vergleich mit Al Kaida. Al Kaida ist eine im internationalen Rahmen agierende, weltweite Organisation, die weltweite Ziele hat. Sie will ein weltweites Kalifat errichten. Ich habe den Eindruck - aus dem, was ich selber erlebt habe -, dass demgegenüber die Taliban tatsächlich nur eine Agenda für Afghanistan haben. Die Taliban wollen kein Emirat in Berlin, in London oder New York errichten, sie wollen eins in Kabul errichten. Das wollen natürlich viele Afghanen nicht, deswegen sind da viele Ängste und Bedenken.

Politisch vertreten die Taliban, weil sie eine relativ breite Bewegung sind, sehr unterschiedliche Ansichten. Man muss diejenigen in der Taliban-Bewegung stärken, die etwas pragmatischer sind, die nicht nur daran denken, Ungläubige in die Luft zu sprengen. Dennoch darf man nicht vergessen, dass es keine liberalen Taliban gibt.

Pakistans Einfluss auf die Taliban ist unbestritten. Pakistan hat aber Angst, dass bei direkten Friedensverhandlungen mit den Taliban Islamabads Interessen nicht berücksichtigt werden könnten. Das heißt, Pakistan würde gern mitbestimmen, wie sich die Zukunft Afghanistans entwickelt. Wie sollte man mit dieser Situation umgehen?

Natürlich haben die Taliban immer ganz massive Unterstützung aus Pakistan erfahren und erfahren sie noch, politisch und sicher auch militärisch. Das hat mit den Sicherheitsinteressen Pakistans und dessen Militär und Geheimdienst zu tun. Um eine wirksame politische Lösung für Afghanistan zu erreichen, müssen die Regionalmächte berücksichtigt werden - also auch die Interessen Pakistans. Die Regierung in Islamabad müsste aber bewegt werden, die nationalen Interessen zu überdenken und zu überlegen, ob das, was sie verlangt, nicht manchmal etwas zu viel ist: nämlich eine Regierung in Kabul, die Pakistan einseitig unterstützt - und nicht Indien.

Das Dreieck Afghanistan, Pakistan, Indien kann nur gemeinsam eine dauerhafte Lösung für Afghanistan erreichen. Da muss Pakistan eine konstruktive Rolle spielen. Doch wenn man beobachtet, wie Islamabad zurzeit abstreitet, etwas über das Versteck von Bin Laden in Pakistan gewusst zu haben, dann sieht man, dass da noch nicht sehr viel Realismus ist.

Das heißt also: Kein Frieden in Afghanistan ohne regionale Zusammenarbeit?

Jede afghanische Regierung wäre gut beraten, sich für gute Beziehungen mit Pakistan einzusetzen, man muss sich ja nicht gegenseitig lieben. Wichtig sind also gute Beziehungen zu Pakistan, aber auch zu allen anderen Nachbarn. Gegenseitige Beschuldigungen helfen keiner Seite in diesem Konflikt. Ein Konflikt, der nicht allein durch direkte Gespräche mit den Taliban zu lösen ist - doch das wäre ein Anfang.

Thomas Ruttig ist Co-Direktor des Afghanistan Analyst Networks, eines "Thinktank" mit Sitz in Kabul und Berlin.

Das Interview führte: Ratbil Shamel

Redaktion: Ana Lehmann