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"Man muss Afrikas Unabhängigkeit feiern"

26. Januar 2010

Seine Eltern stammen aus dem Tschad. Er wurde im Senegal geboren und ist in Frankreich aufgewachsen. Als Rapper ist MC Solaar international bekannt geworden. Ein Gespräch über Afrika und die Ex-Kolonialmacht Frankreich.

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MC Solaar
Erfolg mit intelligenten Texten: MC SolaarBild: AP

DW-WORLD.DE: Ihre Wurzeln liegen in Afrika. Aufgewachsen sind Sie in Frankreich - bei den ehemaligen Kolonialherren. Fühlen Sie sich als Afrikaner oder als Franzose?

MC Solaar: Ich habe Glück. Ich fühle mich seit meiner früher Kindheit kulturell als Afrikaner. Afrika war immer da. Durch meine Eltern, mit der Musik, mit dem Essen... Durch meine ganze Umgebung. Meine gesamte Kindheit war bestimmt von Afrika auf der einen Seite und dem französischen Schulsystem auf der anderen Seite. Glücklicherweise konnte ich mir ein bisschen von diesen afrikanischen Wurzeln bewahren. Heute fühle ich mich als Mann meiner Zeit. Das heißt, als jemand mit afrikanischen Wurzeln und einer französischen Nationalität. Ich fühle mich französisch aber ich habe mir viel Afrikanisches bewahrt. Und ich habe Afrika erst sehr spät kennengelernt. Ich bin einer der neuen Franzosen, der seine Wurzeln überall hat.

Ihre Eltern haben die Kolonialzeit noch kennengelernt. Was haben sie Ihnen von dieser Zeit erzählt?

Die Eindrücke unserer Eltern sind oft Momentaufnahmen. Das war ja keine kriegerische Kolonisierung. Und die, die in den Dörfern waren, haben dann oft die Ärzte gesehen. Die Mediziner sind gekommen und haben Tropenkrankheiten behandelt. Und die Leute haben die neuen Schulen gesehen. Für diese Menschen war das ein Glück – endlich ist etwas in ihre Dörfer gekommen. Für meine Eltern ist die Erinnerung an die Kolonialzeit eine Erinnerung an ein Land, das sie geliebt haben. Ein Land, dass sie auch geliebt haben, als die Ärzte und andere Franzosen gekommen sind. Es sind eher die Jungen, die die Sachen jetzt anderes sehen. Sie sehen die Kolonialzeit im wirtschaftlichen Zusammenhang. Unsere Eltern fanden die Kolonialzeit meistens weder gut noch schlecht. Sie haben die Schulen gesehen, die mit den Kolonialherren kamen.

In "Leve toi et Rap" singen Sie von Ihrer schwierigen Kindheit in Frankreich und in Ägypten. Mit was für Problemen hatten Sie konkret zu kämpfen?

Das waren Probleme, die wohl fast alle Migranten zu der Zeit hatten. Zu der Zeit war Frankreich ganz anders als heute. Damals fand man die Mischung von Kulturen nicht gut. Und die Perspektive der jungen Einwanderer war, später die gleichen Jobs wie ihre Eltern zu machen. Für die Mädchen bedeutete das damals Putzfrau und für die Jungs Straßenfeger oder Fließbandarbeiter. Die Migranten waren überhaupt nicht integriert. Es gab keinerlei Kontakte zu den Franzosen. Wir mussten bis zu den 80er Jahren warten. Ich habe keine Ahnung was da passiert ist, aber plötzlich wurde dieses Land ein bisschen normaler. Plötzlich gab es einen Austausch zwischen dem algerischen Arbeiter und dem Franzosen aus dem Berry, zwischen dem Afrikaner und dem Franzosen aus der Auvergne. Das war auch die Kraft der Weltmusik. Da gab es den Rai und die afrikanische Musik von Mory Kanté und anderen. Plötzlich gab es einen Austausch und viele Sachen haben sich geändert. Der Franzose aus Frankreich hatte vorher ein Bild von seinem Land, das nur weiß war. Heute hat sich das sehr viel weiterentwickelt.

Sie haben gesagt, dass Sie die Erinnerungen an die afrikanische Musik bewahrt haben. Wo schlägt sich das in Ihrer Musik nieder?

Meine Art, Geschichten zu erzählen, ist afrikanisch. Das sind zusammenhängende Geschichten, die an die Gesänge der Griots erinnern. Die Griots erinnern mit ihren Geschichten an die Vergangenheit. Das können Geschichten von Kriegen sein, aber auch oft Familiengeschichten. So geben sie die Geschichten von Generation zu Generation weiter. Diese Erzähltradition habe ich aus Afrika übernommen. Und manchmal mache ich Stücke, die eine enge Verbindung zu Afrika haben. Zum Beispiel "Hijo de Africa". Das hab ich vor kurzem in der Elfenbeinküste gehört. Um vier Uhr morgens. Der Rhythmus kommt aus Jamaika und der Song ist mit einer Kora und einem Balafon eingespielt. Instrumente, die aus Guinea und Mali kommen. Ich rappe dann da drauf. Und wenn man so etwas um vier Uhr morgens in Afrika hört, dann weiß man, dass die Musik dorthin passt. Das hat mich sehr gefreut.

Sie haben Afrika erst sehr spät kennengelernt, sagen Sie. Wann war das?

Ich habe Afrika zu zwei verschiedenen Zeiten kennengelernt: Mit 12 Jahren bin ein Jahr in Ägypten zur Schule gegangen und dann habe ich Afrika neu kennengelernt als ich 20 war - also nachdem ich angefangen hatte, Musik zu machen. Man hatte uns vorgeschlagen, in Afrika Konzerte zu geben und natürlich haben wir ja gesagt und so sind wir nach Afrika gefahren. Das war also erst sehr spät. Meine Familie war hier in Frankreich und wir hatten die Reise nach Afrika immer wieder aufgeschoben. Meine Mutter musste arbeiten und so haben wir immer gesagt, "ok, wir fahren nächstes Jahr" und dann wieder nächstes Jahr und so weiter. Und ich habe es einfach verpasst. Das erste Mal war ich dann im Senegal. Danach in Mali, Burkina, Guinea-Conakry, Guinea Bissau und in vielen anderen Ländern.

Was hat Sie während der ersten Reise am meisten beeindruckt?

Ich habe mich zuhause gefühlt. Man trifft viele kultivierte, offene Leute, die gut informiert sind. Man spürt, dass es dort viel Potenzial gibt. Man spürt, dass die Leute so viel Lebensfreude haben, trotz der ganzen Schwierigkeiten. Damals steckten die Leute in einem Informationsloch, sie mussten noch Geld auftreiben, um zu telefonieren. Die Nachrichten kamen langsam per Telefon oder eben durch die Zeitung, aber alles hat Geld gekostet. Heute gibt es das Internet und wer sich informieren will, findet einen Weg. Für mich ist das ein Phänomen: Wer sich wirklich für etwas interessiert, kennt das Thema in- und auswendig. Das digitale Zeitalter hat viel Gutes gebracht: Die Afrikaner sind auf dem Laufenden!

Fußballspieler am Strand
"Man spürt, dass die Leute viel Lebensfreude haben."Bild: picture alliance/Godong

Lesen Sie auf der nächsten Seite: MC Solaar über die afrikanischen Kolonien 50 Jahre nach der Unabhängigkeit, soziale Ungerechtigkeit und die Verantwortung Frankreichs.

Wenn Sie heute – 50 Jahre nach der Unabhängigkeit – die afrikanischen Ex-Kolonien sehen: Gibt es da wirklich etwas zu feiern?

Wenn es etwas zu feiern gibt, dann sind es die Existenz und die Namen der Staaten die "unabhängig" sind. Klar feiert man das, die Unabhängigkeit ist ja nicht durch Kriege oder Kämpfe erreicht worden. Aber wenn man sich heute die Situation ansieht und an die Träume der panafrikanischen Denker zu Zeiten der Unabhängigkeit denkt, dann sieht man die Probleme. Diese Länder haben alles und die Bevölkerung hat nichts davon. Die Leute leben oft von weniger als einem Dollar am Tag, obwohl sie riesige Bodenschätze haben. Man nennt das dann "Freie Marktwirtschaft". Das passt alles nicht zusammen. Trotzdem: Man muss die Unabhängigkeit feiern, aber es gibt keinen Fortschritt, den man feiern könnte. Der Fortschritt in Sachen Transparenz und Demokratie ist etwas, was die Länder langsam lernen müssen. Und man fängt in der Schule an zu lernen. Das beginnt zum Beispiel mit der Wahl des Klassensprechers. Ich glaube man lernt mit diesen Basisstrukturen wie die Demokratie, Transparenz und Gleichberechtigung funktionieren. Wenn man einen Wandel im Großen will, muss man im Kleinen anfangen.

Aber Frankreich spielt auch eine Rolle bei diesen Ungerechtigkeiten, von denen Sie sprechen. Sarkozy unterstützt schließlich korrupte Staaten wie Kongo-Brazzaville, den Tschad oder Niger. Hat Frankreich eine Verantwortung gegenüber den Ex-Kolonien wenn es um Demokratie und Korruptionsbekämpfung geht?

Frankreich hat eine natürliche Bindung zu diesen Ländern, eben weil sie französische Ex-Kolonien sind. Frankreich nimmt die Rolle wahr, die es spielen muss: Frankreich macht Untersuchungen über die Menschenrechtslage, die Pressefreiheit und sorgt dafür, dass Wahlen so transparent wie möglich ablaufen. Ob Sarkozy das tut, weiß ich nicht. Aber Leute wie Bernard Kouchner und Rama Yade haben ein Fenster für diese wichtigen Dinge geöffnet. Auch wenn man das nicht im Fernsehen sieht – solche Nachrichten kommen hier an. Das ist die einzige Lösung, damit Afrika weiterkommen kann. Außerdem sind ja auch ganz viele andere Staaten in Afrika aktiv: China, Großbritannien, Malaysia, die USA, alle. Und damit gehen unsere Jugendträume kaputt. Wenn Du einmal in Afrika warst, träumst Du davon, dass es dem Kontinent besser geht. Und jetzt reden alle von politischen Visionen und wir fühlen uns ganz klein. Aber man darf seine Träume nicht aufgeben und man muss weiter für die gute Sache kämpfen.

In vielen afrikanischen Ländern gibt es engagierte Künstler, die sich zu politischen und sozialen Themen äußern. Glauben Sie, dass von diesen Künstlern ein Wandel ausgehen kann?

Ja, es ist möglich, dass diese Leute etwas ändern können. Sie kennen sich gut aus. Sie sind gebildet, lesen Zeitung, kennen die Fakten über ihre Länder und haben die wichtigen Informationen. Sie setzen sich für mehr Demokratie ein. Sie erzählen von den Problemen und den Täuschungen in der Politik. Das ist super. Und dann gibt es eine Generation, die heranwächst, die ich "Generation Musik und Engagement" nenne. Das sind junge Leute, die Entscheider-Posten in ihren Ländern haben. Leute zwischen 30 und 45 Jahren, die Bob Marley in ihrer Kindheit gehört haben, die aber auch die Botschaften des R’n’B und der amerikanischen Rapper kennen. Die sich um vieles Gedanken gemacht haben. Diese Leute sind leben zwischen Intelligenz und Revolte. Es gibt viele von ihnen, die ihre Wut aus den Studienzeiten noch bewahrt haben. Und wenn sie jetzt an der Macht sind, dann versuchen sie, etwas zu ändern - anders als viele ihrer Vorgänger. Sie brauchen das Gefühl, mit sich selbst im Reinen zu sein.

Einige afrikanische Künstler werfen Ihnen vor, Sie würden sich nicht für Afrika engagieren...

Ich singe nicht über Afrika, weil ich nicht dort lebe. Und außerdem kann man sich auf verschiedene Art für etwas engagieren. Das heißt nicht, dass man immer etwas zu den gleichen Themen machen muss. Die Themen von einigen panafrikanischen Aktivisten sind seit Anfang der 80er Jahre dieselben geblieben und auch Bono von U2 hat immer dieselbe Botschaft in seinen Songs. Ich hätte mich ständig wiederholt, wenn ich immer über Afrika gesungen hätte. Ich glaube, wenn man sich für etwas einsetzt, braucht man eine Strategie. Ich kann nicht einfach so improvisieren und mich morgen hinstellen und über Simbabwe reden und am Tag danach über Äquatorial-Guinea. Da fehlt dann der Zusammenhang. Wenn man dagegen sagt, in Afrika laufen Sachen schief, dann ist das schon was.

Sind Sie denn Pessimist oder Optimist wenn Sie Afrika heute sehen?

20 Jahre lang war ich Optimist. Aber so wie es heute aussieht, habe ich Angst, Pessimist zu werden. Es hat sich kaum etwas verändert. Der Lebensstandart der Kongolesen 1980 und heute ist fast der Selbe. Die Bildungschancen haben sich kaum verbessert. Die Leute haben wenig Hoffnung auf ein besseres Leben. Aber ich bleibe Optimist. Ich kenne die Lösungen. Wir sehen doch alle, was fehlt. Das sind gar keine großen Sachen. Der Reichtum an den afrikanischen Bodenschätzen muss besser verteilt werden; mit Steuern auf das afrikanische Öl zum Beispiel und von den Gewinnen aus dem Uranverkauf müssten Straßen gebaut werden. Das ist vielleicht nicht viel, wenn man das Gesamtbudget sieht, aber es ist einfach und immerhin ein Anfang. Aber natürlich muss man jedes Land einzeln betrachten, um konkret darüber zu sprechen. Und wir haben eine Verantwortung. Besonders weil Afrika seit langem als ein Billig-Markt gesehen wird, auf dem man sich bedienen kann. Aber trotz allem: Es tut sich etwas und vielleicht ändert sich dann auch endlich etwas für die Menschen in Afrika.

Das Interview führte Christine Harjes

Redaktion: Katrin Ogunsade