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Welche Rolle spielte Al-Hassan?

Antonio Cascais | Daniel Pelz
13. Juli 2020

Folter, Vergewaltigung, Sex-Sklaverei: Die Liste der Verbrechen, die Al-Hassan 2012 in Timbuktu verübt haben soll, ist lang. Doch wie hoch war der Rang des Angeklagten in der Hierarchie der islamistischen Ansar Dine?

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Al-Hassan Ag Abdoul Aziz Ag Mohamed Ag Mahmoud
Al-Hassan Ag Abdoul Aziz Ag Mohamed Ag Mahmoud bei einer Anhörung am ICC vor einem JahrBild: AFP/E. Plevier

Timbuktu 2012: In Malis Wüstenstadt wüten Islamisten. Sie morden und vergewaltigen Ungläubige und Andersdenkende und sprengen jahrhundertealte Heiligtümer. Mittendrin unter den Aggressoren ist Al-Hassan Ag Abdoul Aziz Ag Mohamed Ag Mahmoud - so sehen es zumindest die Ermittler des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag.

Al-Hassan soll nicht irgendein Mitläufer gewesen sein, sondern vielmehr einer der Köpfe der Islamisten, nämlich der Chef der Religionspolizei. Und als solcher habe er zwischen April 2012 und Januar 2013 die Bewohner der Stadt regelrecht terrorisiert. Die Grausamkeit des Täters soll sich besonders gegen Frauen gerichtet haben. 2018 wurde Al-Hassan in Mali festgenommen und an den Internationalen Strafgerichtshof überstellt. Am Dienstag wird in Den Haag der Prozess gegen ihn eröffnet.

Auch Zerstörung von Kulturgütern verantwortet

Bereits 2018 warf die aus Gambia stammende Chefanklägerin Fatou Bensouda "auf der Grundlage der gesammelten Beweise" dem 1977 geborenen Al-Hassan "Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen" vor: "Nach unseren Erkenntnissen trägt Herr Al-Hassan die Verantwortung für folgende schwere Verbrechen: grausame Behandlung, Folter, Verletzung der Würde anderer Menschen, insbesondere erniedrigende Behandlung, Vergewaltigung und sexuelle Sklaverei". Dazu kämen Angriffe auf historische Denkmäler und religiöse Gebäude sowie die Verhängung von Strafen ohne vorheriges Urteil eines regelmäßig konstituierten Gerichts, sagte Fatou Bensouda in einer offiziellen Video-Botschaft.

Niederlande Chefanklägerin beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag | Fatou Bensouda
Chefanklägerin Fatou Bensouda fordert Gerechtigkeit für die OpferBild: Getty Images/AFP/E. Plevier

Die Staatsanwältin fügte hinzu: "Wir haben die Opfer im Blick. Sie sollen die Gerechtigkeit erfahren, die sie zu Recht verdienen. Uns geht es um die Bekämpfung der Straflosigkeit, gerade bei solchen schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir wollen damit einen positiven Beitrag zur Förderung von Frieden, Sicherheit und Stabilität in der Gesellschaft leisten." Das sei auch ihre Hoffnung für Mali.

Wieviel Macht hatte Al-Hassan?

Wieviel Macht hatte der mutmaßliche Polizeichef im von Islamisten kontrollierten Timbuktu wirklich? Hat er die ihm zur Last gelegten Verbrechen im Wesentlichen aus freien Stücken oder auf Befehl höherer Instanzen, etwa von der Ansar-Dine-Führung, begangen? Das sind die wesentlichen Fragen, die im Laufe des Verfahrens zu klären sein werden.

Mali Timbuktu Zerstörtes Mausoleum Alfa Moya
Islamisten zerstörten im Jahr 2012 historisch bedeutsame Gebäude in Timbuktu, wie das Mausoleum des Heiligen Alfa MoyaBild: Getty Images/AFP/E. Feferberg

Während die Ankläger am ICC Al-Hassan eine sehr hohe Bedeutung beimessen, sieht das Thomas Schiller ein wenig anders. Der Leiter des Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Malis Hauptstadt Bamako ist der Meinung, dass der Angeklagte zwar eine herausgehobene Rolle in der Hierarchie der Islamisten spielte, allerdings sei diese Rolle im Wesentlichen auf die Stadt Timbuktu beschränkt gewesen: "Er ist keine herausgehobene Figur der islamistischen Kräfte im Allgemeinen gewesen. Er spielte sicherlich nicht die Rolle eines Hauptakteurs der damaligen Eroberung, die von islamistischen Kräften getragen wurde", so Schiller.

Das rund tausend Kilometer nördlich von der Hauptstadt gelegene Timbuktu, am Rande der Sahara, wird auch "Perle der Wüste" oder "Stadt der 333 Heiligen" genannt und zählt seit 1988 zum Weltkulturerbe. Als 2012 Kämpfer einer Koalition mehrerer islamistischer Gruppierung, darunter AQMI (al-Qaida des Islamischen Maghreb) und Ansar Dine ("Unterstützer des Glaubens"), große Gebiete im Norden Malis unter ihre Kontrolle brachten und auch die Stadt Timbuktu eroberten, begannen sie damit, die Kultur des geschichtsträchtigen Ortes zerstören.

Mali Timbuktu | Zerstörung von historischen und religiösen Gebäuden
Einige der Bauten wie dieses Mausoleum wurden in den Folgejahren wieder aufgebautBild: picture-alliance/AP Photo/B. Ahmed

Auch an diesen Zerstörungen soll der Angeklagte Al-Hassan beteilig gewesen sein. Auch habe er die von den Fundamentalisten geforderten Verbote von Musik, Tanz, Kunst und Sport unter Anwendung von Gewalt durchgesetzt, sagen die Ankläger. Erst Monate später ist die Schreckensherrschaft vorbei: Im Januar 2013 wird Timbuktu von malischen und französischen Soldaten befreit.

Ist der Angeklagte bekannt?

"Al-Hassan ist für viele Menschen in Timbuktu durchaus ein Begriff. Die Mehrheit der Malier dürfte aber kaum jemals von ihm gehört haben", sagt Thomas Schiller. Man dürfe nicht vergessen, dass die große Mehrheit der Malier im Süden des Landes lebe und damit kaum mit den Ereignissen in Timbuktu im Jahr 2012 konfrontiert worden sei. Der Prozess spiele in Mali sicherlich nicht die zentrale Rolle: "Die allermeisten Malier werden sicherlich nicht auf das schauen, was in Den Haag passiert, sondern sie werden darauf schauen, wie sich ihre alltägliche Sicherheitslage immer noch täglich weiter verschlechtert", so der Vertreter der Adenauer-Stiftung in Bamako.

Al-Hassan ist der zweite malische Islamist, der in Den Haag vor Gericht gestellt wird. 2016 hatte der ICC Ahmad al-Faqi al-Mahdi zu neun Jahren Haft wegen der Zerstörung von Stätten des Weltkulturerbes verurteilt, die der Gerichtshof damals erstmals als Kriegsverbrechen wertete. Al-Mahdi, einer der Anführer der islamistischen Tuareg-Miliz Ansar Dine, hatte seine Vergehen gestanden und um Verzeihung dafür gebeten. Möglicherweise könnte er nun gegen Al-Hassan als Zeuge aussagen.

Die geretteten Manuskripte von Timbuktu