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Krieg und Reformstau

Frank Hofmann, Kiew20. Februar 2015

Am Jahrestag der Maidan-Revolution in der Ukraine kämpft Präsident Poroschenko an zwei Fronten: an der militärischen und an der wirtschaftlichen. Denn nötige Reformen kommen nicht voran. Aus Kiew Frank Hofmann.

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Ukraine, Kiew: Gedenken an die Maidan-Toten, 20.02.2015 (Foto: DW/Hofmann)
Bild: DW/F. Hofmann

Immer wieder bleiben Passanten vor den Rathaustreppen von Kiew stehen. Seit Mitte der Woche sind hier die Portraits der Demonstranten aufgereiht, die während der Maidan-Revolution vor einem Jahr getötet wurden. Rote Nelken vor jedem der 77 Portraits, frische Blumen jeden Tag. Die Trauer um die Getöteten und darüber, dass der eigene Staat "auf unsere Kinder geschossen hat", wie es immer wieder heißt, wird von den Nachrichten vom Krieg in der Ostukraine nicht verdrängt. Am ehesten vermischen sich beide Themen in Kiew.

Dazu kommt eine weitere Sorge der Ukrainer: "Wie soll ich mit meiner kleinen Pension all das überstehen?" fragt eine Rentnerin vor dem Rathaus. Der Wert der ukrainischen Währung Griwna war binnen 48 Stunden um 30 Prozent gegenüber US-Dollar und Euro in den Keller gerauscht, nachdem der Wechselkurs auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) freigegeben wurde. Die IWF-Experten wollen die Ukrainische Zentralbank davor schützen, am Ende ganz ohne Währungsreserven dazustehen. Sie wollen eine realistische Vorstellung davon, wie es der Wirtschaft des Landes nach der russischen Annexion der Krim und mit dem Krieg im Osten tatsächlich geht. Doch das macht die Lage von Präsident Petro Poroschenko nicht einfacher, denn der wirtschaftliche Absturz geht auf diese Weise weiter. Dazu kommt: Seit die Rebellen den strategisch wichtigen Eisenbahnknotenpunkt Debalzewe kontrollieren, können sie jederzeit weiter vordringen, wenn sie das wollen - selbst wenn jetzt, nach dem zweiten Minsker Abkommen, doch noch ein Waffenstillstand umgesetzt würde.

Ukraine, Kiew: Werbung für die ukrainische Armee (Foto: DW/Hofmann)
Werbung für die Truppe: Plakat des ukrainischen Militärs an einer Bushaltestelle am MaidanBild: DW/F. Hofmann

Mittelbau will keine Reformen

Allein schon diese militärische Bedrohung schwächt den Präsidenten. Und jetzt wird mit dem Erinnern an den Maidan-Aufstand vor einem Jahr auch noch klar, dass diese Revolution unvollendet ist - auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Fast täglich erläutert die Regierung neue Reformschritte. Sie will beispielsweise die Verwaltung verschlanken, die teilweise noch wie zu Sowjetzeiten aufgebaut ist. Im Kiewer Alltag ist davon aber nichts zu spüren. Das hat auch der Präsident erkannt und sagt zum Maidan-Jahrestag, auch er sei mit dem Reformtempo nicht zufrieden. Doch "zwischen oberen und unteren Schichten, die sich Reformen wünschen", gäbe es eine Ebene "mittlerer Führungskräfte, die nichts ändern wollen". Sie blockieren insbesondere die Verwaltungsreform.

Neu sind die Ideen der amtierenden Regierung von Ministerpräsident Arseni Jazenjuk nicht. Viele der Maßnahmen, die sie umsetzt, erinnern an Vorschläge, die schon der gestürzte Präsident Viktor Janukowitsch in Gesprächen mit der EU angekündigt hatte: Zum Beispiel gestaffelte Importzölle von fünf bis zehn Prozent. Um den bankrotten Staatshaushalt zu retten, wurden sie nun tatsächlich eingeführt - von der demokratisch gewählten Reformregierung.

Ukraine: Wechselkurs der Währung Griwna fällt (Foto: Reuters)
In den Keller gerutscht: Der Wechselkurs der ukrainischen Währung GriwnaBild: Reuters/Ogirenko

Ungeduldige Finanzministerin

Wie sehr Anspruch und Wirklichkeit dieser Regierung auseinanderklaffen, zeigt der Kontrast zwischen den einheimischen Ministern und jenen drei "Ausländern", die auf Druck von Präsident Petro Poroschenko am Kabinettstisch sitzen. Vorneweg Natalia Jaresko, Finanzministerin, Investmentbankerin und Ukrainerin mit US-amerikanischer Staatsbürgerschaft. Sie hat maßgeblich das Hilfspaket des Internationalen Währungsfonds und verschiedener westlicher Staaten ausgehandelt - bis zu 40 Milliarden US-Dollar Kredite in vier Jahren. Als das Konzept vergangene Woche internationalen Finanzmedien vorgestellt wurde, sprach die Ministerin englisch mit ukrainischer Übersetzung. Bis ihr der Kragen platzte: Die Übersetzung war ihr zu langsam und zu unpräzise. Sie übernahm kurzerhand beide Rollen - sprach ihre Worte in Englisch und Ukrainisch.

Die meisten Beobachter stellen sich vor, dass es auch im Mittelbau der Ministerien ähnlich drunter und drüber geht. Für einen ausländischen Investmentbanker in Kiew, der seinen Namen nicht nennen will, ist deshalb klar, dass die Ankündigung des IWF-Pakets die Währungsturbulenzen gerademal für "vier bis sechs Wochen" beruhigen werde. Die Regierung müsse "endlich liefern" und die versprochenen Reformen in Gesetze gießen. Etwa für den Außenhandel: Dort gibt es noch einen Wust von Regelungen, die vor allem die Oligarchen vor Konkurrenz aus dem Ausland schützen.

Aber die Regierung hat für vieles keinen Plan. Ein Jahr nach der Maidan-Revolution hat sie noch nicht einmal entschieden, was mit dem Erbe des geflohenen Ex-Präsidenten Janukowitsch geschehen soll. Seine Prunkvilla am nördlichen Stadtrand von Kiew in dem kleinen Ort Mezhgorye wird noch immer von zwei Maidan-Aktivisten bewacht. Sie würden das Grundstück nur Vertretern des Staates übergeben, sagen sie. Tatsächlich steht im Grundbuch offenbar immer noch ein Vertrauter Janukowitschs als Eigentümer - und dieser Mann sitzt bis heute als Abgeordneter im Parlament. Von einem Enteignungsverfahren für die Villa ist nichts bekannt.