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Politik

"Die letzte Bastion für guten Journalismus"

Diana Hodali
26. November 2019

Ägyptens autoritäre Führung ist gegen eines der letzten regierungskritischen Medien im Land vorgegangen: Mada Masr. Das Arbeitsumfeld in Kairo werde immer feindlicher, sagt Redakteur Sharif Kouddous.

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Demonstration für die Pressefreiheit in Ägypten im Sommer 2015 in Berlin (Archivfoto: imago images/IPON)
Bild: imago images/IPON

Seit 2013 berichtet das Nachrichtenportal Mada Masr auf Arabisch und Englisch kritisch über politische und gesellschaftspolitische Themen in Ägypten und im gesamten Nahen Osten. Es gilt als letztes unabhängiges, professionelles Medium in Ägypten, das der Regierung Al-Sisi schon lange ein Dorn im Auge ist.

Seit Mai 2017 ist die Website von Mada Masr in Ägypten daher nicht mehr zugänglich. Am Wochenende hat die Regierung beschlossen, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Redaktionsräume durchsuchen lassen. Im Anschluss haben sie die Chefredakteurin und Mitbegründerin Lina Attalah sowie die Redakteure Mohamed Hamama und Rana Mamdouh festgenommen. Bereits am Tag zuvor wurde Mada-Masr-Reporter, Shady Zalat, zu Hause abgeholt und ohne Angabe von Gründen mit aufs Revier genommen. Alle vier kamen wieder frei.

Bislang ist allerdings unklar, was die Festnahme Zalats und der anderen Mitarbeiter auslöste. Einige Experten gehen davon aus, dass ein Artikel auf Mada Masr über den Sohn von Präsident Abdel Fattah al-Sisi der Auslöser für die Festnahmen und die Razzia gewesen sein könnte. Mahmud al-Sisi soll nach Recherchen von Mada Masr von seinem Posten im ägyptischen Geheimdienst in die Botschaft in Moskau wechseln. Als Grund für den Wechsel nach Moskau zitiert Mada Masr nicht namentlich genannte Quellen, die davon sprechen, dass Mahmud al-Sisi während einer kurzen Protestwelle die gesamte Lage nicht im Griff gehabt habe. Dies habe dem Image seines Vaters geschadet.

Bereits im Sommer wurde ein US-Amerikaner, der für Mada Masr arbeitet, des Landes verwiesen. Das Auswärtige Amt bewertet die zwischenzeitliche Festnahme und die Durchsuchung der Redaktionsräume als "weitere, sehr beunruhigende Verschlechterung der Pressefreiheit in Ägypten". Für dieses Vorgehen gebe es keinen ersichtlichen Grund.

Die Regierung in Kairo hat sich mittlerweile zu Wort gemeldet und rechtfertigt ihr Vorgehen damit, dass angeblich die verbotene Muslimbruderschaft die Seite nutzen würde, um falsche Informationen zu verbreiten.

Sharif Abdel Kouddous von Mada Masr (Foto: privat)
Sharif Abdel Kouddous ist Redakteur bei Mada MasrBild: privat

Sharif Abdel Kouddous ist seit anderthalb Jahren ebenfalls Redakteur bei Mada Masr und hat sowohl die Razzia als auch die Festnahme seiner Kollegen miterlebt.

Deutsche Welle: Herr Abdel Kouddous, Sie sind Redakteur bei Mada Masr und waren zum Zeitpunkt der Razzia anwesend in den Redaktionsräumen. Was genau ist passiert?

Sharif Abdel Kouddous: Um etwa 13:30 Uhr lokaler Zeit haben sich neun bewaffnete Sicherheitsbeamte in ziviler Kleidung gewaltsam Zutritt zu unserem Büro verschafft. Sie haben sich ziemlich schnell über die Räume hinweg verteilt, sind aggressiv aufgetreten und haben sofort alle Handys und Laptops der anwesenden 16 Mitarbeiter konfisziert. Als wir sie gefragt haben, wer sie sind, haben sie sich geweigert zu antworten und wurden wütend. Das ganze Vorgehen war sehr einschüchternd. Sie haben uns in einen Raum gepfercht, uns angewiesen uns mit dem Gesicht zur Wand zu stellen und nicht miteinander zu reden. Danach haben sie uns einzeln zu sich zitiert, damit jeder sein Handy und seinen Laptop identifiziert und die ID vorlegen kann. Einige Telefone wurden durchsucht, die Sicherheitsbeamten haben sich Notizen gemacht und uns dann schließlich alle in den Newsroom geschickt. Drei Stunden lang wurde Chefredakteurin Lina Attalah von unterschiedlichen Beamten befragt, ebenso der Redakteur Mohammed Hamama, ein amerikanischer, ein britischer und zwei französische Journalisten. Die zwei Journalisten von France 24 waren gekommen, um mit Lina Attalah ein Interview zu machen. Um etwa 16:30 Uhr haben die Beamten schließlich Lina Attalah, Mohammed Hamama und Rana Mamdouh mitgenommen. Das war ein schrecklicher Moment. Wir standen dort und mussten mit ansehen, wie sie abgeführt wurden - ohne zu wissen, was mit ihnen geschehen wird. 

Reporter Shady Zalat wurde am Tag davor bereits festgenommen - keiner weiß warum. Wissen Sie denn, warum die Beamten diese drei weiteren Personen mitgenommen haben?

Lina Attalah ist sowohl Chefredakteurin als auch Mitgründerin von Mada Masr. Sie hat den Beamten immer wieder gesagt, dass sie die Verantwortung trägt. Daher ist es eindeutig, warum sie Lina ausgesucht haben. Was die beiden anderen angeht, können wir nur spekulieren. Beide Journalisten schreiben meist kritische Texte. Vielleicht liegt es daran. Sie wurden erst zu einer Polizeistation gebracht, dann hat man ihnen Handschellen angelegt und sie in einen Außenbezirk von Kairo gebracht, um sie dann wieder zurück zu der Polizeistation in der Nähe der Redaktion zu bringen. Kurz darauf konnten sie gehen. Unser Kollege Shady Zalat hat wenig später unseren Anwalt darüber informiert, dass auch er mittlerweile freigelassen wurde. Sie hatten ihn an einer Autobahn rausgelassen. Wir waren alle so erleichtert, dass keiner in Gewahrsam oder Haft geblieben ist.

Zalats Festnahme folge einer der größten Verhaftungswellen seit Präsident Abdel Fattah al-Sisi 2014 offiziell an die Macht gekommen sei, schreiben Sie in einem ihrer Artikel. Etwa 4000 Aktivisten, Professoren, Anwälte, Journalisten und bekannte Oppositionelle sollen seit den Antiregierungsprotesten am 20. September verhaftet worden sein. Bei den Angaben beruft sich Mada Masr auf Menschenrechtsorganisationen.

Haben Sie und Ihre Kollegen daher als Mitarbeiter des einzigen unabhängigen und professionell arbeitenden Mediums damit gerechnet, dass so etwas passiert?

Das Klima, in dem wir arbeiten, ist seit dem 20. September tatsächlich immer feindlicher geworden. Seit den ganzen Festnahmen war uns klar, dass auch unsere Zeit kommen würde. Wir haben Texte veröffentlicht, ohne zu wissen, ob es Konsequenzen haben wird. Wir wussten nicht, ob unsere Büros am nächsten Tag nicht durchsucht würden. Einige unserer bekannteren Kollegen hatten Sorge, dass sie verhaftet werden. Wir wussten die letzten Monate auch nicht, ob wir morgens noch zu Hause aufwachen würden. In so einer Atmosphäre arbeiten wir. Wir wissen nicht, warum das alles passiert ist, aber es passt zu dem feindlichen Klima, in dem wir uns hier befinden.

Mada Masr gibt es seit 2013, seit Mai 2017 ist die Seite in Ägypten nicht zugänglich. Warum, glauben Sie, hat die Regierung ausgerechnet jetzt Mada Masr noch stärker ins Visier genommen?

Wir wissen nicht, warum sie uns trotz der Sperrung der Seite weiterhin haben arbeiten lassen. Sie haben einiges unternommen, um uns unsichtbar zu machen. Ein US-amerikanischer Kollege wurde im Sommer an der Einreise gehindert. Mada Masr ist die letzte Bastion für guten, kritischen, professionellen und investigativen Journalismus in Ägypten. Wir werden wahrgenommen - auch international wird unsere Arbeit gesehen. Und es kann sein, dass wir deshalb noch nicht vorher durchsucht worden sind, denn damit würde die Regierung politisch einiges riskieren. Die lokalen und internationalen Reaktionen haben möglicherweise dafür gesorgt, dass unsere Kollegen wieder frei gekommen sind. Die Regierung würde das wahrscheinlich nicht riskieren wollen.

Lina Attalah, co-founder and editor, Mada Masr, Egypt
Lina Attalah hat Mada Masr mitgegründet und ist dort Chefredakteurin Bild: Courtesy of IJF Perugia

Sie glauben, der Druck von Außen hat seine Wirkung gezeigt und die Regierung von Abdel Fattah al-Sisi möglicherweise umgestimmt?

Jede bekannte Zeitung im Ausland hat über die Razzia und die Verhaftungen geschrieben. Sogar die Europäische Kommission hat ein Statement herausgegeben. Das hätte eine politische Welle der Empörung lostreten können, wenn sie jemanden wie Lina Attalah inhaftieren. Das wollte die Regierung womöglich nicht riskieren. Ich denke, dass dieser Moment der Solidarität auf der ganzen Welt von solch unschätzbarem Wert war, so dass alle vier Journalisten wieder freigelassen wurden.

Was bedeuten diese Ereignisse für die Zukunft der Website Mada Masr und ihre Arbeit als kritische, unabhängige Journalisten?

Dieser Vorfall war ohne Zweifel eine beispiellose Eskalation des Drucks auf Mada Masr. Aber wir werden unsere Arbeit fortführen – diese große Solidarität bestärkt uns darin. Auch wenn wir nicht wissen, was die Zukunft bringen wird. Wir sind eine Gruppe von Menschen, die zusammenarbeitet und wir müssen entscheiden, wie wir in Zukunft arbeiten werden. Aber wir werden sicher nicht dicht machen und aufhören.

Was sagt dieses Ereignis über die Pressefreiheit in Ägypten aus?

So viele Organisationen haben dokumentiert, dass Ägypten zu den gefährlichsten Orten für Journalisten gehört. In kaum einem anderen Land werden so viele Journalisten inhaftiert. Es ist ein sehr schwieriges Arbeitsumfeld für Journalisten und es scheint immer restriktiver zu werden. Der Rest der Presse in Ägypten wird durch die Regierung kontrolliert, auch, weil ihr ein großer Teil der Medien mittlerweile gehört. Sie haben Zeitungen und TV-Sender gekauft - und wenn man manchmal Zeitungen vergleicht, dann haben sie den gleichen Titel auf der Aufmacherseite. Ein Medium wie Mada Masr ist in so einem Umfeld besonders wichtig, weil es zu den letzten Medien gehört, die echten Journalismus betreiben.

Das Gespräch führte Diana Hodali.