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Gastkolumne

15. Juni 2009

Ein ehrgeiziges Klimaschutzabkommen im Dezember in Kopenhagen erfordert ein neues Entwicklungsparadigma. Das hat Konsequenzen für etablierte Machtstrukturen. Von Anna Pegels, Lars Schmidt und Britta Horstmann.

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Die Dringlichkeit, Ende des Jahres in Kopenhagen ein ambitioniertes Klimaschutzabkommen zu verabschieden, wurde erst jüngst wieder durch die Klimawissenschaft unterstrichen. Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) weisen in einem in der Zeitschrift "Nature" publizierten Artikel darauf hin, dass die globalen Emissionen im Zeitraum 2000 bis 2050 maximal 1000 Milliarden Tonnen CO2 betragen dürfen, will man mit großer Wahrscheinlichkeit einen gefährlichen Klimawandel verhindern. Ein Drittel dieser Emissionen wurde bereits im Zeitraum von 2000-2008 ausgestoßen, die verbleibenden zwei Drittel müssen also für über 40 Jahre reichen.

Dies bedeutet, dass die internationale Staatengemeinschaft den Ausstoß an Treibhausgasen so schnell wie möglich reduzieren muss, um den Reduktionspfad und den damit einhergehenden Strukturwandel gesellschaftlich verträglich zu gestalten. Wird der Gipfel an globalen Emissionen erst spät erreicht, wird der Abstieg umso steiler und der notwendige wirtschaftliche und soziale Wandel gezwungener Maßen umso radikaler.

Mögliche Machtverschiebungen gefallen nicht allen

Doch die jüngsten Verhandlungen im Juni in Bonn gestalteten sich zäh. Denn die Einigung auf einen notwendigen ehrgeizigen Reduktionspfad bedeutet mehr als die Umsetzung vereinzelter Projekte oder Programme. Sie erfordert die Umsetzung eines neuen Entwicklungsparadigmas, in der die Klimapolitik eine normative Maßgabe sein muss und wesentliche Prioritäten vorgibt. Die damit eingeforderten Machtverschiebungen zwischen Ländern, Institutionen und wirtschaftlichen Akteuren gefallen selbstverständlich nicht allen. Der Kampf um bestehende und neue Strukturen zieht sich durch alle Bereiche der Klimaverhandlungen.

Kohlekraftwerk in Xining in der chinesischen Provinz Qinghai (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

So fordern zum Beispiel die Verhandler der Entwicklungsländer den Aufbau einer neuen Institution für den Transfer von Finanzen. Diese soll unter der Aufsicht und den Zielvorgaben der UN-Klimarahmenkonvention stehen. Bisher werden die Mittel zu großen Teilen durch die Kanäle bi- und multilateraler Entwicklungszusammenarbeit geleitet. Entwicklungsländer kritisieren die Übermacht der Geber in diesen Institutionen und argumentieren, dass Gelder im Klimaregime als verpflichtende und nicht als freiwillige Zahlungen wie im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu sehen seien. Die Maßgaben, Kriterien und Konditionen, unter denen Gelder an Entwicklungsländer im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit gezahlt werden, dürften somit nicht für klimapolitische Transferleistungen gelten.

Vertreter der Industrieländer und Entwicklungspolitik halten dagegen, dass der Aufbau neuer Institutionen viel zu langwierig und zu kostspielig sei und man auf die langjährigen Erfahrungen der Entwicklungszusammenarbeit aufbauen muss, um möglichst effektiv und effizient die Umsetzung eines Klimaschutzabkommens erreichen zu können.

Machtkampf zwischen Staaten und Privatunternehmen

Karte von Kohlendioxidbelastung über Europa: Erhöhte CO2-Konzentrationen (in rot) über Europas Hauptballungsgebiet, das sich von Amsterdam bis Frankfurt erstreckt (Foto: Uni Bremen)
Bild: Uni Bremen

Auch die Aufgabenverteilung zwischen öffentlichen und privaten Akteuren ist ein zentraler Streitpunkt. Dies gilt vor allem für den Bereich der Technologiekooperation. Ein Großteil der klimafreundlichen Technologien befindet sich in der Hand von Privatunternehmen in den Industrieländern. Die globalen Marktchancen dieser Technologien versprechen hohe Gewinne.

Vertreter der Entwicklungsländer fordern jedoch für ihre Beteiligung am Klimaschutz die günstige Bereitstellung klimaschonender Technologien, einige fordern sogar Zwangslizensierungen geistiger Eigentumsrechte. Dies sind insbesondere die Länder, die in den entsprechenden Märkten Chancen für die eigene Industrie sehen. Hier treffen also handfeste Wirtschaftsinteressen aufeinander und erschweren die Konzentration auf das eigentliche Ziel der Verhandlungen, nämlich den Schutz des Klimas.

Auch die Finanzierung der Reduktion von Emissionen aus Entwaldung in Entwicklungsländern (REDD) bewegt sich im Spannungsfeld verschiedener Interessensgruppen. Diskutiert werden zwei Finanzierungsoptionen, hinter denen unterschiedliche Motive stehen. Länder wie Mexiko, Tuvalu, Norwegen und Deutschland, die REDD unter dem Primat eines effektiven Klimaschutzes sehen, setzen sich für eine Finanzierung über Auktionserlöse ein. Dies soll sicherstellen, dass die Reduktionen im Waldsektor zusätzlich zu fossilen Emissionsreduktionen in Industrieländern stattfinden. Dem gegenüber steht der Vorschlag, REDD in den Kohlenstoffmarkt zu integrieren. Dies würde allerdings den nötigen Strukturwandel, vor allem im Energie- und Industriesektor, in den Industrieländern verschleppen. Diese Sektoren sind für einen Großteil der Emissionen verantwortlich, hier müssen vor 2020 die Weichen für einen grundlegenden Strukturwandel gestellt werden. Getragen wird dieser Vorschlag von einer "unheiligen" Allianz aus Ländern wie Australien und den USA, Unternehmen und großen nordamerikanischen Naturschutz-Organisationen. Erstere hoffen auf billige Reduktionszertifikate und einen neuen, lukrativen Markt, letztere auf Milliarden für den Tropenwaldschutz.

Wollen die Industrieländer den Klimaschutz wirklich?

Ein anspruchvolles und ambitioniertes Post-2012 Klimaschutzabkommen kollidiert zwangsläufig mit alten Strukturen und Partikularinteressen. Im Rahmen des Kyoto-Protokolls hat es der Klimaschutz nicht geschafft, sich in diesem Machtpoker durchzusetzen und den Ausstoß an globalen Emissionen hinreichend zu reduzieren. Ein Abkommen in Kopenhagen aber muss Klimaschutz als normative Maßgabe eines neuen Entwicklungsparadigmas etablieren, um effektiven Klimaschutz zu erreichen.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Ecofys und Germanwatch zur "Klimafreundlichkeit" der Konjunkturpakete der EU, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Großbritanniens und der USA lässt an dem Willen der Industrieländer allerdings zweifeln. Nur rund sieben Prozent - 73 von insgesamt 1100 Milliarden US-Dollar - wurden in klimafreundliche Maßnahmen investiert. So sieht ein "Green New Deal" sicher nicht aus.

Lars Schmidt und Britta Horstmann sind Wissenschaftliche Mitarbeiter in der Abteilung "Umweltpolitik und Ressourcenmanagement", Dr. Anna Pegels ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung "Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung" des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE).

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.