Männlichkeiten: Befreiung durch Fotografie
Hat die #MeToo-Debatte dem Patriarchat den Todesstoß versetzt? Eine Fotoausstellung in Berlin erkundet sich wandelnde männliche Selbstbilder.
Eine stille Revolution
Die eigene Identität zu hinterfragen, fällt leichter, wenn es andere schon für einen getan haben. Mit dem Beginn der homosexuellen Bewegung der 1960er Jahre stellte die LGBT+-Gemeinschaft - zusammen mit der Frauenbewegung - die Werte des globalen Patriarchats und eine machistische Haltung stark infrage. Sunil Gupta fotografierte homosexuelle Männer während der Stonewall-Unruhen 1969 in New York.
Männer in Uniform
Kriegerische Männer waren schon immer der Inbegriff von Männlichkeit. Diese Fotocollage von Tristan Fewings führt vor, wie einschüchternd und mächtig sie wirken können: Der Eindruck, den die bunten Bilder von Schauspielern, die Nazis dargestellt haben, auf den Betrachter machen, ist überwältigend. Gleichzeitig wirken sie aber auch wie ein Kartenhaus, das jederzeit in sich zusammenfallen kann.
Brüderliche Liebe
Die Ästhetik dieses Bildes gehört zum Selbstbild der Taliban. Der Fotograf Thomas Dworzak hat 2001, als der US-geführte Angriff auf Afghanistan begann, in Kandahar Dutzende solcher Fotos gefunden und in einem Bildband zusammen geführt. Der Kontrast zwischen dem von den Medien gezeichneten Bild der aufständischen Söldner und diesem verletzlichen Selbstbild könnte kaum größer sein.
Soldaten unter sich
Adi Nes dokumentiert immer wieder den endlosen Konflikt in Israel. Indem er Soldaten in intimen und sorglosen Situationen porträtiert, zeigt er auch die weichere Seite der israelischen Streitkräfte. Viele seiner Fotos werden als homo-erotisch angesehen und in der Gay-Community weltweit verehrt. Nes selbst beharrt darauf, dass sie Erfahrungen seiner eigenen Armeezeit in Israel wiedergeben.
Wasserfeste Wimperntusche
Ein ordentlicher Mann sollte einer Frau leidenschaftlich beim Küssen den Lippenstift verschmieren, aber dabei doch nicht selbst Wimperntusche tragen. Oder vielleicht doch? Peter Hujar analysiert mit seinen Bildern unangepasste männliche Identitäten. Ist eine Drag-Queen weniger männlich als ein Soldat, der sein Gesicht zur Tarnung bemalt hat? Und wer darf das überhaupt entscheiden?
Die Ausstrahlung eines Gesichts
Was macht einen Mann zum Mann? Diese Frage stellt nicht nur Charles Aznavour in einer seiner Balladen, sie steht auch im Zentrum von Catherine Opies Arbeiten. Gern steckt sie ihren Sohn in ein Tüllröckchen oder lädt ihre Freunde ein, sich falsche Bärte anzuheften. Damit will sie die Unterschiede in Verhalten und Wahrnehmung untersuchen, die bereits solch kleine Veränderungen bei Menschen bewirken.
Marginalisierte Männer
Das Selbstbild schwarzer Männer, vor allem in den USA, wurde oft von anderen Einflüssen geprägt. Lange litten sie unter rassistischen Vorurteilen. Dann sahen sie Vorbilder wie O.J. Simpson und Bill Cosby in ihrem Aufstieg - und im Sturz. Doch dann gab es auch Präsident Barack Obama. Der Begriff von Männlichkeit wandelte sich daher für "weiße alte Männer" wesentlich langsamer als für nicht-weiße.
Positive Körperlichkeit
In den Medien wurden Männer erst in jüngerer Zeit in vergleichbarer Weise zum Objekt gemacht wie Frauen. Das Streben nach nicht erreichbaren Schönheitsstandards forderte seinen Tribut auch von Männern - von Wahrnehmungsstörungen beim eigenen Körpers bis zum Selbstmord. Auch diesen Aspekt bildet die Ausstellung "Männlichkeiten: Befreiung durch die Fotografie" ab - aber vielleicht nicht zu Genüge.
Ein verdorbener Adamsapfel?
Lediglich einen Adamsapfel zeigt das Foto von Sam Contis - und damit auch ein Y, das Chromoson, das die Geschlechter unterscheidet. Oder zeigt er damit noch mehr? Was für ein (Selbst-)Bild haben Männer von sich in Zeiten von #MeToo? Wieviel Einfluss hat darauf noch das Patriarchat? Die Ausstellung im Berliner Gropius-Bau, die diesen Fragen nachgeht, ist noch bis zum 10. Januar 2021 zu sehen.