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Bandwurm steuert Stichlinge fern

28. Juni 2018

Parasiten manipulieren häufig das Verhalten ihres Wirts. Der befallene Stichling wird zur Marionette des Bandwurms. Nicht nur die infizierten Tiere verhalten sich absurd - auch die gesunden Artgenossen drehen durch.

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Gemeiner Stichling
Bild: picture alliance/blickwinkel/L. Lenz

Die Geschichte vom Stichling (Gasterosteus aculeatus), der zur willenlosen Marionette seines Parasiten wird, erinnert an den Roman "Der Schwarm" von Frank Schätzing. Auch dort werden Meeresbewohner von etwas befallen, das ihr Verhalten auf beunruhigende Art verändert. Während die Tiere in Schätzings Fiktion gewalttätig werden, treibt der Parasit den Stichling quasi in den Selbstmord.

Doch nicht nur das: Die infizierten kleinen Schwarmfische bringen auch ihre nicht befallenen Artgenossen dazu, ein kamikazeartiges Verhalten an den Tag zu legen, das sie schließlich das Leben kostet.

Biologen um Jörn Peter Scharsack von der Universität Münster haben dieses seltsame Gruppenverhalten des Stichlings untersucht und ihre Ergebnisse in einer Studie veröffentlicht.

Dass Parasiten ihre Wirte auf eine Weise manipulieren können, die ihrer eigenen Fortpflanzung zu Gute kommt, war den Forschern bereits bekannt. Beim Stichling ist es der Bandwurm Schistocephalus solidus. Er veranlasst die kleinen Fische dazu, alle Vorsicht fallen zu lassen und sich ins offene Wasser zu wagen. Dort werden sie leichter zur Beute hungriger Vögel - und genau da will der Wurm hin, in den Vogeldarm. 

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Das komplizierte Leben der Parasiten 

Der Bandwurm nimmt dafür einige Strapazen auf sich. Die frei im Wasser schwimmende Bandwurm-Larve muss zunächst von einem kleinen Ruderfußkrebs gefressen werden. Hier ist der Schmarotzer noch nicht wählerisch: Er lässt sich von verschiedenen Ruderfußkrebsarten verspeisen. 

Fisch Stichlinge - Größenvergleich
Der Übeltäter: Schistocephalus solidus (unten) geht über LeichenBild: Uni Münster/Dr. J. Scharsack

Dort wächst die Larve dann weiter, bis der Krebs von einem Stichling geschnappt wird. Es muss unbedingt ein Stichling sein, denn auf dessen Immunsystem hat sich der Parasit spezialisiert. Wird der Krebs von einem anderen Fisch gefressen, endet die Reise des Bandwurms hier.

Die, die Glück hatten, lassen es sich im Innern des Stichlings gut gehen. Dort sind sie geschützt und versorgt. Aus der Larve wird ein Wurm. Im Extremfall erreicht er bis zu 50 Prozent des Gewichts seines Wirts. Wird der Stichling von einem Vogel gefressen, hat der Schmarotzer sein Ziel fast erreicht: Er vermehrt sich im Darm des Wirts, die Eier gelangen über den Vogelkot zurück ins Wasser und der Lebenszyklus schließt sich. Wird der Stichling allerdings von einem größeren Fisch erbeutet, bedeutet das auch das Aus für seinen Parasiten.

Der Bandwurm ist nicht der einzige Schmarotzer, der ein eher kompliziertes Leben führt an dessen Ende er seinen Wirt fernsteuert. Der Kleine Leberegel (Dicrocoelium dendriticum), der sich in Schafen und Kühen wohlfühlt und dort vermehrt hat einen ebenso komplexen Lebenszyklus. Über den Kot seines Wirt gelangen die Eier des Egels ins Freie. Nun braucht es eine Schnecke, die die Eier frisst. Der Parasit entwickelt sich weiter, die Larven gelangen über den Schleim der Schnecke wieder nach draußen.

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Knotenameisen, Stachelameisen mit Blattläusen
Wehrlos ist die Ameise eigentlich ganz und gar nicht. Aber wehe, sie wird vom Kleinen Leberegel befallenBild: picture-alliance/blickwinkel/J. Kottmann

Der dritte Wirt ist die Ameise, die das Schicksal am härtesten trifft. Sie nimmt die Larven des Parasits über den Schneckenschleim auf. Der Kleine Leberegel entwickelt sich zu einem Hirnwurm, der die Ameise dazu bringt auf die Spitze eines Grashalms zu klettern. Dort wird sie mit ziemlicher Sicherheit gefressen. Wenn es nach dem Kleinen Egel geht, am besten von Kühen oder Schafen. 

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Verrückte in der Überzahl

"Wie genau der Bandwurm es schafft, das Verhalten des Stichlings zu lenken, wissen wir noch nicht", sagt Scharsack. Die bisherigen Studien zu diesem Thema haben sich auf die Verhaltensänderung des Wirts konzentriert und nicht auf deren Ursache. Die Untersuchungen seines Teams zeigten allerdings, dass das enthemmte Verhalten der infizierten Fische auch die gesunden Tiere ins Verderben schwimmen lässt - zumindest dann, wenn die Infizierten die Mehrheit im Schwarm bilden. 

Der Grund scheint einfach: Gruppendruck. Normalerweise bietet der Schwarm den Fischen Schutz vor Räubern, deshalb bleiben auch die Stichlinge immer in der Gruppe. Wenn nun plötzlich die Überzahl davon überzeugt zu sein scheint, dass es eine gute Idee ist, ins offene Wasser zu schwimmen, stellt sich die Minderheit der dummen Idee nicht entgegen, sie folgt einfach.

Der Biologe Scharsack könnte sich vorstellen, dass diese Dynamik auch auf andere sozial lebende Wesen übertragen werden kann. "Wenn die Mehrheit einer Gruppe in irgendeiner Weise krank ist, folgen die Gesunden trotzdem" - bar jeder Vernunft. Einfach, weil die Verrückten in der Überzahl seien.