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Luthers Einfluss auf Martin Luther King

Michael Knigge
31. Oktober 2017

Die Verbindungen zwischen dem deutschen Reformator und dem amerikanischen Baptistenprediger gehen weit über den Namen hinaus. In theologischen und ethischen Fragen gibt es aber auch Unterschiede.

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Bildcombo Martin Luther und Martin Luther King
Bild: Getty Images/Hulton Archive/AFP

Als Martin Luther King im Sommer 1966 seine Bürgerrechtsbewegung nach Chicago brachte, um gegen die diskriminierende Sozial- und Wohnungsvergabe-Politik zu protestieren, nahm er sich ein Beispiel an seinem berühmten Namensvetter. Er heftete seine Forderungen an die Rathaustür der damals zweitgrößten Stadt der USA. Eines von wenigen Beispielen, wie Martin Luther King direkten Bezug auf Martin Luther nahm, der ja seine berühmt gewordenen 95 Thesen zur Kritik an der katholischen Kirche 1517 an die Wittenberger Schlosskirche genagelt haben soll.       

Die Tatsache, dass King den Namen des deutschen Reformators trug, hatte sicher großen Einfluss auf ihn, obwohl die Namensgebung nicht von ihm selbst, sondern von seinem Vater ausging.

Martin Luther King I have a dream Rede USA Washington D.C. 1963
Martin Luther King hält 1963 seine berühmte Rede "I have a dream" in WashingtonBild: picture-alliance/dpa

Namenswechsel   

Über den Ursprung der Namensgebung selbst gibt es widersprüchliche Berichte. Häufig liest man, dass Kings Vater Michael seinen eigenen Namen und den Namen seines ebenfalls Michael genannten Sohnes nach der Rückkehr von einer Baptistenkonferenz in Berlin in den 1930er Jahren änderte, weil er so beeindruckt vom Wirken Martin Luthers war. Doch Kings Vater sagte 1957 einer New Yorker Zeitung, bereits sein Vater habe ihn in Martin Luther umbenannt - und er habe diesen Namen dann an seinen Sohn weitergegeben. Wie dem auch sei, Vater und Sohn wurden zwar unter ihrem neuen Namen bekannt, aber die Namensänderung wurde offenbar niemals urkundlich eingetragen. Auch im Familienkreis firmierten die beiden weiter als "Big Mike" und "Little Mike".

Einen weiteren direkten Bezug zu seinem Namensvetter stellte Martin Luther King in seinem berühmten "Letter from Birmingham jail" her. Er zitiert Luther und seine bekannten Worte: "Hier stehe ich. Ich kann nicht anders." Und er stellt den deutschen Reformator in eine Reihe mit Abraham Lincoln und Thomas Jefferson.

Ansonsten habe der Baptistenprediger aus Georgia den deutschen Reformator jedoch eher selten zitiert, sagt der emeritierte Professor Richard Lischer, der eine preisgekrönte Studie zu Martin Luther King verfasst hat. Obwohl King kein ausgewiesener Luther-Kenner gewesen sei, habe der Reformator dennoch großen Einfluss auf ihn gehabt, wenn auch eher indirekt. "Was er meiner Meinung nach von Luther aufgesogen hat, war das Gespür für Mut und für die Freiheit, sich der Obrigkeit zu widersetzen", so Lischer. "Während Luther sich der religiösen Autorität widersetzte, widersetzte sich King kulturellen und politischen Autoritäten."

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Zerriss die Bannbulle des Papstes: Martin Luther stellte die religiöse Autorität der katholischen Kirche in FrageBild: Imago/epd

Klare Haltung    

Der amerikanische Religionshistoriker Mark Noll glaubt, dass Luthers Reise nach Worms vor fast 500 Jahren, wo er sich für seine Thesen rechtfertigen sollte, Kings Kampf gegen Rassismus in 1950 und 1960er Jahren beeinflusst hat: "Die Bereitschaft von Martin Luther, sich 1521 vor Kaiser Karl V in Worms zu stellen, war in gewisser Weise eine Inspiration für Bürgerrechtler wie Martin Luther King und andere, sich standhaft gegen Jahrzehnte von Segregation zu stellten und kund zu tun, was sie nicht nur als ethische Wahrheit, sondern als das Wort Gottes betrachteten."

Luther und King verband auch eine fundierte Kenntnis der Bibel und die Überzeugung, dass Widerstand gegen die herrschenden Autoritäten gewaltfrei ausgeübt werden müsse. Die Entscheidung für gewaltfreien Widerstand ist für den Verlauf ihres Kampfes gegen die Autoritäten bedeutend.

Unterschiedliche Ethik

Unterschiede zwischen den beiden sehen die Experten zum einen auf theologischer Ebene: "Für die Luther ist der erlösende Moment zuallererst sehr persönlich im Kreuz Jesu", sagt Lischer. "Für King ist er mehr gemeinschaftlich: Er findet Gottes Wirken im Auszug aus Ägypten und in der Befreiung der Menschen aus der Gefangenschaft."

Auch in ethischer Hinsicht gebe es Unterschiede, sagt Noll. Luthers Ethik basiere auf der Lehre der zwei Reiche, in dem die Kirche der Ort ist, wo die Menschen Gottes Botschaft der Versöhnung hören und die Regierenden die Herrschenden sind, denen Gott die Macht verliehen hat. Der Macht der Herrschenden müsse die Gesellschaft folgen, auch wenn die Menschen dabei ungerechtfertigt leiden müssten. Denn die Herrschenden sind nach dieser Auffassung als Gottes Diener dazu berufen, den Frieden in der Welt aufrechtzuerhalten. "Dies ist offensichtlich eine völlig andere Ethik als die von Martin Luther King", so Noll. "Wenn er Missstände sah, dann war es die Pflicht einer moralischen Person und eines Pastors, das Unrecht direkt herauszufordern und mit allen möglichen Mitteln daran zu arbeiten die Gesellschaft zu verändern."   

Zehntausende gedenken in Washington der Rede von Marthin Luther King vor 50 Jahren
Großdemonstration im Jahre 2003: Zehntausende gedenken der Rede von Marthin Luther King vor 50 JahrenBild: rtr

King habe sicher Anstoß an verschiedenen Positionen Luthers genommen, sagt Lischer. Generell würde King wohl Luther vorhalten, zu ruhig gegenüber politischen Missständen gewesen zu sein.

Dagegen würde der deutsche Reformator, der Angst vor Chaos hatte, wahrscheinlich Kings direkte Konfrontation mit der Obrigkeit kritisieren, sagt Noll. "Aber ich denke, dass Martin Luther die Art und Weise schätzen und bewundern würde, wie Martin Luther King sich mutig gegen die Autoritäten stellte", so der Religionshistoriker. "Und dass er sich dafür einsetzte, dass die Gleichheit aller Menschen nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis umgesetzt wird."

Nachhaltige Wirkung

Zwar ist es nicht einfach, das Vermächtnis einer Person, die fast 500 Jahre tot ist, mit der Wirkung einer Person zu vergleichen, die vor weniger als 50 Jahren gestorben ist. Dennoch lässt sich sagen, dass Luther und King auf ihre eigene Weise und zu verschiedenen Zeiten nachhaltigen Einfluss ausgeübt haben. "Luther hat eine weitreichende Transformation des menschlichen Denkens bewirkt und dadurch gleichzeitig der damaligen katholischen Kirche die Macht genommen zu bestimmen, was Menschen sind und was sie von Gott erwarten können", sagt Lischer.

USA Washington - Barack und Michelle Obama helfen bei Vollendung einer Malerei von Martin Luther King Jr.
Der Aufstieg von Barack Obama zum Präsidenten - ein deutliches Zeichen, wie sich die USA durch Martin Luther King verändert habenBild: Imago/Zuma Press

Für Noll hat King das Angesicht der amerikanischen Lebenswirklichkeit verändert: "Das ist keine unbedeutende Leistung, besonders weil er dies in einer nur sehr kurzen Zeitspanne tat. Das heutige Amerika unterscheidet sich in Sachen Rassengleichheit dramatisch von dem der 1950er und 1960er Jahre."

Wie relevant sind Luther und King für die Menschen heute? Beide Experten sind der Ansicht, dass sowohl der deutsche Reformator wie auch der amerikanische Bürgerrechtler wichtige moralische Leitfiguren darstellen. "Als Christ bin ich überzeugt, dass Luthers Botschaft der Notwendigkeit der Versöhnung aller Menschen mit Gott genauso relevant ist wie vor 500 Jahren", sagt Noll. „Und ich bin ebenfalls überzeugt, dass Martin Luther King Jr. in vielen Belangen mindestens genauso oder sogar noch wichtiger ist wie in den 1960er Jahren. Rassismus ist die Ursünde der Vereinigten Staaten und wurde nie vollständig und bewusst als moralisches Kulturversagen angesprochen."