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Ehrenleopard für Mario Adorf

Heike Mund12. August 2016

Mit seinen Schurkenrollen und Western ist Mario Adorf bekannt geworden. Aber eine Karriere in Hollywood hat ihn nicht gereizt. Das Filmfestival Locarno ehrt Adorf in diesem Jahr für sein filmisches Lebenswerk.

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Mario Adorf mit seinem Goldenen Leoparden in Locarno
Bild: Festival del Film Locarno/Pablo Gianinazzi (2016)

DW: Inwieweit ist die Retrospektive "Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963" hier auf dem Filmfestival Locarno auch eine Zeitreise für Sie – in die Anfänge Ihrer Laufbahn als Schauspieler?

Mario Adorf: Das kann man so sagen, denn es geht ja zurück bis in die 1950er Jahre. Es sind hier in Locarno ja gleich zwei Filme von mir im Programm: "Nachts wenn der Teufel kam" (1957) und "Am Tag als der Regen kam" (1959) mit Elke Sommer, also sehr frühe Filme von mir. Das ist schon eine Art Erinnerungsreise.

Was haben Sie denn für persönliche Erinnerungen an diese frühe Zeit in der jungen Bundesrepublik Deutschland?

Es sind natürlich auch sehr verschiedenen Zeiten. Die erste Phase, von 1949 an, ist für mich noch die Nachkriegszeit gewesen. Die ersten Jahre waren sehr hart für mich. Die Hungerzeit dauerte für mich persönlich noch bis 1955, also bis zum Wirtschaftswunder. Auch meine Studienzeit – ich habe vier Semester in Mainz studiert, danach in Zürich – das war hart.

In Zürich habe ich sogar mehr gehungert als in Mainz. Im Nachkriegsdeutschland gab es so eine Art Kriegssolidarität, die man in der Schweiz nicht erwarten konnte. Die wussten nicht, was Hunger war. In Deutschland gab es immer jemand, der sagte: 'Hast du Hunger, hast du schon was gegessen?' Das gab es in der Schweiz nicht.

Mario Adorf auf dem Filmfestival in Locarno. Copyright: DW/H. Mund
Mario Adorf gut gelaunt beim Fototermin in LocarnoBild: DW/H. Mund

Sie sind ja auch in Zürich geboren, hatten Sie daran noch Erinnerungen?

Ich bin in Zürich geboren, aber ich bin nicht da aufgewachsen. Und das war reine Neugierde, mal ein Semester in meiner Geburtstadt zu studieren. Das war allerdings auch nicht meine Idee. Ich hatte begonnen in Mainz Studententheater zu machen und da traf ich bei einem Theater-Treffen in Erlangen die Züricher Studententruppe, deren Star damals Maximilian Schell war. Der ging aber damals nach Basel, verließ also die Züricher Uni. Und der Leiter dieser Theatergruppe fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, den Schell zu ersetzen und den Ödipus zu spielen. Und da habe ich einfach zugesagt.

Aber am Schluss habe ich in dieser Truppe gar nicht gespielt, die hatten sich untereinander zerstritten. Aber durch den Leiter, der merkwürdigerweise auch die Komparserie des Züricher Schauspielhauses leitete, hatte ich die Möglichkeit, ein bisschen Zubrot zu verdienen, in dem ich Komparserie am Schauspielhaus machte. Das war für mich die erste Begegnung mit dem echten, mit dem richtigen Theater. Und da waren die ganzen wunderbaren großen Schauspieler, die ich dort auf der Bühne gesehen habe: Therese Giese zum Beispiel, mit denen ich zum Teil dann später in München auch gespielt habe. Das war für mich der Anstoß, Schauspieler zu werden.

Sind Sie auch dort auf eine Schauspielschule gegangen?

Einer dieser Schauspieler in Zürich wurde Intendant am Residenz-Theater in München. Und da sagte ich mir, was mache ich denn in Zürich, da gehe ich doch besser auch mit nach München. Ich hatte da noch die Absicht, mein Germanistikstudium weiterzuführen, aber dazu kam es nicht. Denn bei der Wohnungssuche bin ich sozusagen in die Otto-Falckenberg-Schule gestolpert, habe mich dort beworben und die haben mich auch genommen. Und da musste ich mich entscheiden, zwischen Theater und Studium – das habe ich auch gemacht.

Filmszene aus "Am Tag als der Regen kam": Mario Adorf und Elke Sommer, Foto: Deutsches Filminstitut/Deutsches Filmmuseum Frankfurt am Main
Mario Adorf und Elke Sommer in "Am Tag als der Regen kam"Bild: Deutsches Filminstitut

Wie schnell haben Sie dann Karriere gemacht?

Das hat alles sehr gut geklappt. Mein Lehrer Peter Lühr, ein großer Schauspieler an den Münchner Kammerspielen, sagte mir, als ich das alles mit einem Zufall erklären wollte: 'Adorf, das ist kein Zufall, das ist Fügung'. Das war im Jahr 1953. Das muss sich fügen wie ein gutgebautes Möbelstück, meinte er. Es muss einfach passen.

Was für ein Verhältnis haben Sie heute, mit 85 Jahren, zu den frühen Filmen und diesen Anfängen Ihrer Schauspielkarriere?

Die allerersten Filme von mir werden in Locarno ja nicht gezeigt. Das sind die drei 08/15-Filme, in denen ich mitgespielt habe, da war ich noch auf der Schauspielschule. Nach einem Jahr dort habe ich schon den ersten Film drehen können. Und dann folgte, zwei Jahre nach meiner Schauspielschulzeit, 1957, "Nachts Wenn der Teufel kam" (Oscar-Nominierung als Bester Ausländischer Film).

Und das war schon ein großer Schritt. Damals hat man mich mit Robert Siodmak (deutsch-jüdischer Hollywood-Regisseur, 1933 nach Frankreich und dann in die USA emigriert, Anmerk. d. Red) zusammengebracht, der aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrt war. Siodmak suchte damals einen Schauspieler für diesen Bruno Lüdke, den Massenmörder in dem Film.

Mario Adorf und Armin Müller-Stahl im Kinofilm "Lola" (1981). Foto: picture-alliance/KPA
Bild: picture-alliance/KPA

Wie ist Siodmak denn auf Sie gekommen, damals waren Sie als Schauspieler vermutlich noch nicht so bekannt?

Doch Siodmak kannte mich. Ich hatte eine kleine Rolle mit ihm als Regisseur in einem Film in Jugoslawien gespielt, zusammen mit Marcello Mastroianni. Kein toller Film "Mädchen und Männer", aber immerhin mit so einem Star wie Mastroianni. Das war schon was Tolles für einen Jungschauspieler, wie ich es war.

Damals hatte ich schon als Schauspielschüler die Möglichkeit, kleinere Rollen im Theater und im Film zu spielen. Und ich hatte auch immer so kleine Einfälle und das sprach sich rum bei den Regisseuren. Da hatte ich wirklich noch einen großen Ehrgeiz, den ich später aber verloren habe.

Warum haben Sie diesen Ehrgeiz denn verloren?

Das hatte damit zu tun, dass ich nie eine Art Konkurrenzkampf führen musste. Ich habe keine Ellbogen, die waren nicht ausgebildet bei mir – obwohl ich geboxt habe. Nicht dieses: Jetzt komme ich! Und jetzt muss ich mal ran hier...Was mir in Amerika sehr aufgefallen ist, war dieser unglaubliche Ehrgeiz, dieses Konkurrenzdenken, das mich später auch abgestossen hat. Und ich war auch verwöhnt, muss ich ehrlich sagen.

Keine Lust auf Karriere in Hollywood

In Deutschland war ich als Typ Schauspieler so ziemlich alleine, durch mein Aussehen und meine Statur. Und das war in Amerika überhaupt nicht so. Da gibt es Hunderte, die genauso aussehen und noch viel besser und vor allem besser ausgebildet sind. Amerika habe ich eigentlich nie in Verbindung mit dem Begriff „Karriere in Hollywood“ gesehen. Ich hatte diesen Ehrgeiz nicht, auch nicht einen Oscar zu gewinnen.

Haben Sie das später bereut, nicht nach Hollywood gegangen zu sein?

Überhaupt nicht, das war nicht mein Bier. Ich habe meinen ersten und einzigen Film dort gedreht mit einer Rolle als Mexikaner in „Sierra Chariba“ (1964/Regie: Sam Peckinpah). Bis dahin waren es immer die blonden Deutschen, die man für die Rollen holte. Man liebte sie nicht, aber es waren eben die besseren Nazis. Und deshalb durften die das spielen.

Da ich aber schwarzhaarig war und vor mir schon der Deutsche Horst Buchholz einen Mexikaner gespielt hatte in „Magnifikant Seven“ („Die Glorreichen Sieben“, Regie: John Sturges), kam ich so durch die Hintertür in den amerikanischen Film. Und ich hätte durchaus bleiben können. Mein Agent war davon überzeugt, dass ich als Mexikaner im amerikanischen Film einen schönen Platz erobern könnte, weil er dafür eine Lücke bei den Schauspielern sah. Und ich habe nur gedacht: „Das will ich nicht.“ Sam Peckinpah habe ich dann für seinen nächsten Film „The Wild Bunch“ abgesagt. Ich habe das nie bedauert, dass ich nicht in Hollywood geblieben bin.