Literatur als Blockbuster: Unterhaltsame Lesung von John le Carré im Kino | Literatur | DW | 08.09.2017
  1. Inhalt
  2. Navigation
  3. Weitere Inhalte
  4. Metanavigation
  5. Suche
  6. Choose from 30 Languages

Literatur

Literatur als Blockbuster: Unterhaltsame Lesung von John le Carré im Kino

Die Buchbranche erfindet immer neue Events, um Leser zu finden. Erstmals hat Bestsellerautor John le Carré in London sein Buch vor Publikum vorgestellt. Menschen in ganz Europa konnten zusehen - per Livestream im Kino.

Es ging los mit technischen Problemen. Nicht alle der 27 Kinos in Deutschland und der Schweiz, die das Lese-Event übertragen sollten, erfüllten die technischen Voraussetzungen, um den Live-Stream aus der Londoner Royal Festival Hall auf der Leinwand zu zeigen. Das Bonner Kino "Sternlichtspiele" konnte das als modernes Multiplex-Kino technisch zwar leisten, trotzdem fanden nur ein gutes Dutzend Zuschauer den Weg in den großen Kinosaal, um dem Meister des Spionage-Romans live auf der Leinwand zu lauschen. Die meisten waren eingefleischte le Carré-Fans, die sich schon auf den neuen Roman des britischen Superstars freuen. 

Live-Event soll viele Fans erreichen

Die europaweite Live-Übertragung einer Lesung hat es im Literaturbetrieb bisher noch nicht gegeben. Parallel streamen Kinos in Großbritannien, Deutschland und der Schweiz die Lesung in Echtzeit. Nicht irgendwas, sondern die seit 27 Jahren von vielen Krimi-Fans sehnsüchtig erwartete Fortsetzung der Spionagegeschichten rund um den Agenten George Smiley.

John Le Carre Schriftsteller

"The Night Manager": Der Erfolgsautor auf der Berlinale

John le Carrés neuer Roman heißt: "A Legacy of Spies". In deutscher Übersetzung kommt das Buch unter dem Titel "Das Vermächtnis der Spione" am 13. Oktober in die Buchhandlungen. Auch dafür hat sich der Ullstein-Verlag einen massentauglichen Coup ausgedacht: John le Carré liest am 15. Oktober im großen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg.

Wer ist George Smiley?

Es ist 21 Uhr in Deutschland, 20 Uhr in Großbritannien, als sich der Vorhang in der vollbesetzten Londoner Royal Festival Hall öffnet. Das schlohweiße, volle Haar schwungvoll zurück gescheitelt, blickt Erfolgsautor John le Carré gentlemanlike von der Kinoleinwand. Der bekannteste Spionageroman-Autor der Welt beweist, dass er nicht nur in seinen Büchern, sondern auch vor Publikum ein gekonnter Unterhalter ist.

In einer Mischung aus Lesung und biografischen Anekdoten präsentiert er Passagen aus der englischen Originalfassung seines neusten Romans "A Legacy of Spies". Das Honorar spendet der weltbekannte Schriftsteller der Organisation "Ärzte ohne Grenzen".

Mit dem Buch kehrt John le Carré zu den Anfängen seines literarischen Erfolgs zurück. In seinem aktuellen Roman ist wieder Spion George Smiley die Hauptfigur. So wie den in fünf vorhergehenden Romanen seit 1961: "Schatten von Gestern", "Ein Mord erster Klasse", "Dame, König, As, Spion", "Agent in eigener Sache". Einen Nebenauftritt hatte Smiley in dem Roman "Der Spion, der aus der Kälte kam", mit dem Le Carré 1963 der internationale Durchbruch als Schriftsteller gelang.

John le Carré war selber Spion

John Le Carré 1965

John le Carré: in jungen Jahren im Geheimdienst tätig

John le Carré erzählt bei der Lesung in London, dass die oft langweilige Realität der realen Spionagetätigkeit nichts mit dem aufregenden Alltag seiner Buchfiguren zu tun hat. Als Beamter im Auftrag seiner Majestät habe er aber viele Anregungen für seine Bücher gesammelt. Genauso wie durch Reisen an die Konfliktherde der Welt: Vietnam, Kambodscha, Russland, Kongo. Viele mächtige Personen der Zeitgeschichte hat er persönlich gekannt, zum Beispiel Palästinenser-Führer Jassir Arafat.

Zum Aufschreiben seiner Erlebnisse und Abenteuer, die er immer in einem kleinen Notizbuch festhalte - wie er bei der Lesung erwähnt - ziehe er sich in sein Anwesen in Cornwall zurück. Dort lebt der Bestseller-Autor gemeinsam mit seiner Frau schon seit über vierzig Jahren.

Faible für die deutsche Sprache

Den Abend in London bestreitet le Carré auf Englisch. Eigentlich schade, denn John le Carré spricht gut Deutsch. Der Autor war nicht nur als Geheimagent zu Zeiten des Kalten Kriegen in Deutschland, sondern hat auch in Oxford Germanistik studiert. Zwei Jahre lang lehrte er Deutsch an einem College in Süd-England.

In einem kürzlich erschienenen Gastbeitrag für den britischen "Guardian" plädierte er in einem Appell an seine Landsleute sogar: "Lernt die deutsche Sprache!" Seine Leidenschaft für Deutschland spiegelt sich übrigens auch in der literarischen Person seines Meister-Spions wider: George Smiley hat ein ausgesprochenes Faible für deutsche Barocklyrik und für die Literatur von Thomas Mann und Hermann Hesse.

Letzter Smiley-Band

"Das Vermächtnis der Spione" soll die Geschichte um George Smiley nun abschließen. Der Agent, den le Carré augenzwinkernd mit etwas zu viel Körperfülle, markanter Brille auf der Nase und altmodischem Trench als Anti-Held beschreibt, ermittelt wieder im Umfeld von Kaltem Krieg, Terrorismus und Spionage. Peter Guillam, Smileys rechte Hand, wird vom britischen Geheimdienst zur Ermordung des Spions Alec Leamas und seiner nichtsahnenden Freundin Liz Gold befragt.

Gerade weil die Zeit des Kalten Krieges längst vorbei ist, erfreuen sich John le Carrés Romane aus der Zeit nach 1945, als Warschauer Pakt und Nato um ihre militärische Vormachtstellung und die Verhinderung eines weiteren Weltkrieges rangen, großer Beliebtheit - auch bei jüngeren Lesern.

John le Carrés Bücher wurden oft verfilmt

Und es gibt immer wieder Neuverfilmungen, die John le Carré allerdings unterschiedlich gelungen findet, wie er amüsiert anmerkt. Berühmt geworden ist vor allem "Dame, König, As, Spion", der Thriller von 1979, der mit Alec Guinness als Smiley von der BBC als siebenteilige TV-Serie verfilmt wurde - Le Carrés Lieblingsbesetzung. Für die Inszenierung des Schweden Tomas Alfredson von 2011 gab es 2012 gar drei Oscarnominierungen: für die Filmmusik, das beste adaptierte Drehbuch und für die schauspielerische Leistung von Gary Oldman als George Smiley.

Schauspieler Alec Guiness als George Smiley

Paraderolle: Alec Guiness als George Smiley

Nach der Lesung beantwortet John le Carré geduldig noch Fragen und Tweets seiner Fans zu seinen Büchern und seinem Leben. Der scharfsinnige Beobachter le Carré nutzt hier die öffentliche Gelegenheit für einen politischen Vergleich mit den 1930er-Jahren. 

Die jüngsten weltpolitischen Ereignisse und Kriege sähe er als Vorzeichen für einen wieder erstarkenden Faschismus. Die derzeitige Politik des US-Präsidenten Donald Trump sei ein Vorbote dazu. Beunruhigend seien auch die politischen Entwicklungen in Polen, Ungarn, und die Gewaltakte in Myanmar. "Meiner Ansicht müssen wir da aufpassen", sagt er zum Abschluss. Und schaut unter seinem buschigen Augenbrauen ernst ins Publikum. 

 

Die Redaktion empfiehlt