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Literatur

Lit.COLOGNE zeigt Solidarität mit der Ukraine

Laila Abdalla
16. März 2022

Europas größtes Literaturfestival hat mit einer bewegenden Gesprächsrunde zum Ukraine-Krieg eröffnet. Dabei ging es auch um die Versäumnisse in Europa.

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Die Rednerinnen und Redner auf dem Podium der Lit.Cologne: Autor Navid Kermani (li.), Dramatikerin Sasha Marianna Salzmann, Präsident des PEN-Zentrums Deutschland Deniz Yücel und Autor Sasha Filipenko
Autor Navid Kermani (li.), Dramatikerin Sasha Marianna Salzmann, Präsident des PEN-Zentrums Deutschland Deniz Yücel und Autor Sasha Filipenko Bild: Laila Abdalla/DW

Es ist still im Publikum, als Linda Mai, die Vorsitzende des deutsch-ukrainischen Vereins "Blau-Gelbes-Kreuz", auf der Bühne steht. Von "einer humanitären Krise vollen Ausmaßes" spricht sie und meint die Situation an der ukrainisch-polnischen Grenze. Sie berichtet von Ukrainerinnen und Ukrainern, die ihre Städte verlassen - nicht um zu fliehen, sondern um gestrandete Menschen mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen. Dann verliert Linda Mai den Faden. "Entschuldigung, was war eigentlich Ihre Frage?" Das Publikum antwortet mit einem kurzen Lachen. Dann schweigt es.

"Nein zum Krieg!" steht auf einem großen Schriftzug auf der Bühne mit der Lit.Cologne.
Die Solidaritätsveranstaltung für die Ukraine "Nein zum Krieg!" Bild: Claudia Ast/Juergens, lit.COLOGNE

Aus aktuellem Anlass hatte Europas größtes Literaturfestival "Lit.Cologne" sein Programm geändert und zum Auftakt eine Diskussionsrunde unter dem Motto "Nein zum Krieg" eröffnet. Ein Thema, das betroffen machte.

Lit.Cologne lud Denis Yücel vom PEN-Zentrum nach Köln

Anwesend waren neben Linda Mai vom "Blau-Gelbem-Kreuz" auch der deutsch-türkische Journalist und Präsident des PEN-Zentrums Deutschland, Deniz Yücel, die Dramaturgin und Autorin Sasha Marianna Salzmann, der deutsch-iranische Autor Navid Kermani und der belarussische Autor Sasha Filipenko. Musikalisch wurde das Programm von der ukrainischen, in Köln lebenden Komponistin und Musikerin Mariana Sadovska und der Pianistin Olga Scheps begleitet.

Nicht nur Linda Mai fehlten die Worte für das, was gerade in der Ukraine passiert. Das Schweigen schlich sich immer wieder ein: zwischen den aufgeführten Musikstücken, den Gesprächen und Lesungen. Die Eröffnung des Literaturfestivals in Köln - normalerweise straff getaktet und mit heiteren Veranstaltungen - war in diesem Jahr von einer angespannten Stimmung geprägt. Statt der geplanten 90 Minuten dauerte die Veranstaltung ganze drei Stunden. Die vier Redner und Rednerinnen der Diskussionsrunde sind alle auf die eine oder andere Art von den Kriegs-Geschehnissen persönlich betroffen.

Putins Kampf gegen die Zeit

Russische Pianisten Olga Scheps am Flügel auf der Bühne der Lit.Cologne
Russische Pianisten Olga Scheps spielte zwei Klavierstücke, um der Kinder zu gedenkenBild: Claudia Ast/Juergens, lit.COLOGNE

Sasha Filipenko, belarussischer Autor und Journalist, ist bekannt für seine gewagten kritischen Arbeiten. Er äußerte sich zur Frage nach der Ursache des Krieges folgendermaßen: Putin und Lukaschenko kämpften nicht gegen die Ukraine, auch nicht gegen die NATO. Sie kämpften gegen die Zeit, sagte er. Das seien Männer, die von der Realität komplett abgeschottet seien. "Putin hat keine Emailadresse", so Filipenko. Er sei selbst zum Opfer seiner Propaganda geworden und wisse, dass er keinen Platz in der heutigen oder gar zukünftigen, modernen Welt habe. Deswegen versuche er, das Rad der Zeit zurückzudrehen.

Auch Sasha Marianna Salzmann, eine deutsche Dramatikerin mit russischen Wurzeln, sieht in diesem Krieg die dunkle UdSSR-Vergangenheit durscheinen - und zwar jene, die verdrängt und nie verarbeitet wurde: "Sie lag einfach in der Ecke."

Tut Europa zu wenig?

Die vier Panelisten waren sich einig, dass Europa in seinen Bemühungen, der Ukraine zu helfen, zu kurz greife. Journalist und PEN-Präsident Deniz Yücel sagte, dass Politiker und Politikerinnen aktuell zu wenig auf die ukrainische Bevölkerung hörten und schwierige Themen vermeiden wollten. Auch in der deutschen Bevölkerung werde mit zweierlei Maß gemessen: So seien zu einer Solidaritätsdemonstration in Berlin mehr Menschen erschienen, als zu einer Kundgebung von Ukrainerinnen und Ukrainern, die zur selben Zeit stattfand. Und das nur - so meint Yücel, weil während der ukrainischen Kundgebungen Waffenlieferungen angesprochen werden sollten. 

Der deutsch-türkische Journalist und Präsident des PEN-Zentrums Deutschland, Deniz Yücel lächelt in die Kamera
Der deutsch-türkische Journalist und Präsident des PEN-Zentrums Deutschland, Deniz YücelBild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

Sasha Filipenko sieht das ähnlich. Die Europäer versuchten rational und diplomatisch vorzugehen, während Putin keine Vernunft kenne. Es gehe nicht darum, den Eiffelturm blau und gelb zu beleuchten. Man müsse genau hinhören und sofort handeln.

Solidarität mit Grenzen

Navid Kermani, der in Deutschland schreibt und lebt, appellierte an das Publikum, selbstkritisch die eigene Solidarität zu reflektieren. Er gab zu, dass ihn eine "Art von Bitterkeit oder Traurigkeit" an dem Abend begleite, weil er sich ständig fragen müsse, wo diese Solidarität und Empathie war, als etwa die tschetschenische Stadt Grosny Ende der 1990er-Jahre laut der UN die am meisten zerstörte Stadt der Welt war. Oder als Aleppo zerbombt wurde. Die Solidarität habe auch gefehlt, als der Donbass überfallen wurde und Putin die Krim besetzte. "Das waren die Jahre, als Deutschland sein Gasgeschäft mit Russland erst richtig ausgebaut hat", sagte er. Diese Fragen müsse man sich selbst und auch den politischen Entscheidungsträgern stellen. 

Viele weitere Themen wurden an diesem Abend angesprochen und debattiert, etwa der Boykott gegen russische Kulturinstitutionen und Künstler, die Einrichtung einer Flugverbotszone oder Waffenlieferungen an die Ukraine. Immer wieder erinnerte Moderatorin Susanne Beyer daran, dass der Meinungsaustausch im Rahmen dieser literarischen Runde nicht der Politik diene oder eine Lösung für den Krieg suche. Es gehe vielmehr darum, gemeinsam laut zu denken, die aktuellen Geschehnisse durch andere Perspektiven besser zu verstehen, einzuordnen und kollektiv zu verarbeiten.