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Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand

6. April 2010

Jakob Hein erzählt von Sascha aus Ostberlin, der sich in seiner Jugend reihenweise in hübsche Mädchen verliebt. Aber er hat Pech: er darf immer nur der beste Freund sein. Eine Geschichte vom Erwachen der Hormone.

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Buchcover "Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand" von Jakob Hein
Bild: Piper Verlag München

Was macht man, wenn die Mädchen um einen herum immer schöner werden? Man tut alles, um nur irgendwie an sie heran zu kommen. Und so kommt es, dass der Protagonist in "Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand" die Hausaufgaben für Sarah macht - seinen ersten Schwarm. Diese schüttet ihm bei der Gelegenheit dann auch gleich ihr Herz aus und beschwert sich über ihre ständig wechselnden festen Freunde, die allesamt älter und cooler sind als Sascha. Statt Knutschen und erster Sex wird Sascha zum Zuhörer und Tröster – nicht ganz die Rolle, die er sich vorgestellt hatte. Die unglücklichen Liebeswirrungen gipfeln schließlich darin, dass Sascha seine Möchtegernfreundin in ein brandenburgisches Kaff auf ein Konzert begleitet, in der Hoffnung, dass hier der Platz für eine Liebesbeichte ist. Stattdessen aber stellt sich heraus, dass es Sarah auf den Bandleader abgesehen hat. Sascha darf als Begleiter dabei sein und muss zum Schluss auch noch um seinen Platz im Auto für die Heimfahrt bangen.

Erfolglose Liebe

Der Psychiater und Schriftsteller Jakob Hein (Foto: dpa)
Der Schriftsteller Jakob HeinBild: picture-alliance/ ZB

Saschas erste Versuche auf dem Feld der Liebe hat Jakob Hein in seinem Roman geschickt zu einem Kaleidoskop jugendlichen Trieberwachens aneinandergereiht. Der Witz der Geschichte liegt dabei nicht nur im ständigen Scheitern des Protagonisten, sondern vor allem auch in der Ausformulierung der jeweiligen Eroberungspläne. So beginnt Sascha, nachdem er Sarah zu Hause besucht und ihr Zimmer gesehen hat, sofort damit die eigenen vier Wände gründlich umzuräumen - sehr zur Verwunderung seiner Eltern. Doch Sascha glaubt begriffen zu haben, wie er bei Sarah landen kann. Das Spielzeug, das er eigentlich ganz gern hat, kommt in die Schränke, nur das tschechische Eishockeyspiel, davon kann er sich auch für Sarah nicht trennen.

Die Entrümpelung der Kindheit und der dazugehörige neue Lebenswandel mit Westplatten und Punklook bringen aber leider nicht den erhofften Erfolg - Sascha bleibt der gute Kumpel. Das ändert sich erst, als Sarah übers Wochenende wegfährt.

An solchen Wochenenden war ich praktisch allein in der Stadt, konnte also genauso gut auch etwas mit den Leuten aus meiner Klasse unternehmen, die mir natürlich alle viel zu jung vorkamen, weil sie genauso alt waren wie ich.

Die Ironie des Schicksals will es, dass Sascha genau an diesem Abend sein erstes Abenteuer erlebt. Jana aber ist genau das Gegenteil von dem, was er haben will: Sie steht auf bunte Klamotten und hat Poster von Popstars über dem Bett hängen. Also geht die Suche weiter. Sascha wird älter, aber der Erfolg bleibt konstant aus.

Eine Jugend in Ostberlin

Die Mauer und das Brandenburger Tor im November 1989 (Foto: dpa)
Das Brandenburger Tor nach dem Mauerfall 1989Bild: picture-alliance/ ZB

Neben den unterhaltsam erzählten Episoden gelingt es Jakob Hein zum Glück auch, die spätestens seit Thomas Brussigs "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" oder Wolfgang Beckers Film "Good Bye, Lenin!" latent vorherrschende Ostalgie zu vermeiden. Das liegt zum einen daran, dass Heins Pointen nie auf Unterschiede zwischen dem Osten und dem Westen abzielen, zum anderen schildert er die historischen Ereignisse der Wende mit einer gewissen Authentizität. So revolutionär, wie es die breite Öffentlichkeit oft möchte, erlebt Sascha den Mauerfall gar nicht. Außerdem beruhen Heins Beobachtungen zur Adoleszenz auf Erinnerungen, die jeder zu kennen scheint: Das stundenlange Herumhängen und Sich-Anöden an Tischtennisplatten, der angestrengte Versuch, der Coolste und Lässigste zu sein, und das Gefühl, die anderen würden immer das schaffen, was einem selbst nicht gelingt, nämlich die Mädchen zu erobern.

Am Ende wird alles anders

Schließlich findet Sascha dann doch noch eine Frau. Im Gegensatz zu Sarah, Doreen oder Julia, hat er es auf Johanna gar nicht abgesehen. Dieses Mal hat er keine Zimmer umgeräumt, hat weder Kassettentapes zusammengestellt noch Schulaufsätze verfasst. Morgens liegt er neben ihr im Bett und fragt sich verwundert, wer die Frau neben ihm ist, wie er in ihrer Wohnung gelandet ist und woher er ihren Namen weiß. Durch diese Wendung gibt Jakob Hein seinem Roman eine neue Dimension. Bisher erzählte er eine kurzweilige und heitere Jugendgeschichte, die den Leser oft schmunzelnd an die längst vergangene Pubertät und Adoleszenz erinnert. Hein bleibt aber nicht an der Schwelle zum Erwachsenenleben stehen, sondern er setzt gekonnt einen Kontrapunkt zum Mode- und Szenewahn junger Menschen. Die ganzen Aufgeregtheiten um die Möchtegern-Freundinnen Saschas sind durch Johanna mit einem Mal verschwunden. Der Druck, so zu sein, wie es den anderen scheinbar gefällt, fällt mit einem Mal ab. Auf den letzten Seiten des Buches steht da dann auch der herrlich lapidare, aber dennoch vielversprechende Satz: "Mit Johanna blieb ich dann zusammen." Das Leben kann beginnen.

Autor: Peter Klaiber

Redaktion: Petra Lambeck

Jakob Hein: "Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand". Piper Verlag. 170 Seiten. 14,95 Euro.