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Libelle mit gestutzten Flügeln

12. Dezember 2018

800 Millionen Internetnutzer gibt es laut China Internet Network Information Center in der Volksrepublik. Das sind mehr Menschen, als in ganz Europa leben. Für Google genug potenzielle Nutzer, um ein Comeback zu planen.

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Artikelbild Weltzeit 1-2019: Libelle mit gestutzten Flügeln (Fotolia/marinakutukova [M])
Bild: Fotolia/marinakutukova [M]

Allerdings muss der Konzern dies in enger Abstimmung mit der Regierung Xi Jinpings tun. Denn Experten gehen davon aus, dass die chinesische Version der Suchmaschine den strengen Regeln der Pekinger Zensur unterworfen sein wird. Die Eingabe der Suchbegriffe „Menschenrechte“ oder „Demokratie“ werde wohl weiterhin nicht die andernorts erzielten Treffer bringen. 

Das Portal The Intercept hatte im Sommer berichtet, Google arbeite am Projekt „Dragonfly“ (Libelle), einer Android-App für China, die bestimmte Suchinhalte filtern und in China unzulässige Webseiten blockieren werde. Hierzu gehören unter anderem Informationen zum Menschenrecht der freien Meinungsäußerung oder zu Regimekritikern. Auf einer Konferenz des Magazins Wired Mitte Oktober bestätigte Google-Chef Sundar Pichai diese Pläne. China sei ein „wundervoller, innovativer Markt“ mit vielen Nutzern, daher fühle Google sich verpflichtet, seine Möglichkeiten auszuloten. 

Der „wundervolle, innovative Markt“ hat jedoch nicht auf Google gewartet. Laut Wired bedient die chinesische Suchmaschine Baidu aktuell etwa 60 Prozent aller Suchanfragen, während Google über das Verhalten der Internetnutzer, deren Zahl rasant gewachsen ist, kaum etwas weiß. Der Wettbewerb in China könnte auch für Google, die größte Suchmaschine der Welt, hart werden – Bing (Biying) etwa ist seit Jahren in China, erzielt jedoch nur einen winzigen Marktanteil. 

2010 hatte sich Google nach vier Jahren aus China zurückgezogen, mit dem Argument, das Regime überwache die E-Mail-Konten von Menschenrechtsaktivisten und schränke die Meinungsfreiheit ein. Seitdem wird die Suchmaschine, wie zahlreiche andere ausländische Webseiten, darunter auch dw.com, von Chinas „Great Firewall“ geblockt. 

Seither hat sich die Situation in China eher verschlimmert als verbessert: Der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge stellt China Freiheit, Demokratie und Menschenrechte als Konzepte eines westlichen Wertesystems „grundsätzlich infrage“. Von freiem Zugang zu Information und Meinungsfreiheit sei das Land weit entfernt. Reporter ohne Grenzen listet die VR China aktuell auf Rang 176 von 180 und stellt fest: „China gehört zu den Ländern mit den meisten inhaftierten Journalisten und Bloggern weltweit.“

Auch von Amnesty International kommt Kritik: „Die systematische Überwachung im Digitalen wird zunehmend verknüpft mit weiteren Überwachungsmaßnahmen in der gesamten Lebenswelt der Menschen“, so Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty in Deutschland. „Wer in China Internetdienste anbieten will, muss sich zum Komplizen weitgehender Einschränkungen der Menschenrechte machen.“

Titelbild Weltzeit 1|2019; mit AusgabennummerTitelbild Weltzeit 1|2019; mit Ausgabennummer
Dieser Beitrag stammt aus dem gedruckten DW-Magazin Weltzeit 1 | 2019: #Article19ForAll – Information braucht FreiheitBild: DW

Google muss sich den Vorwurf gefallen lassen, mit dem Projekt „Dragonfly“ Profitinteressen über die Achtung der Menschenrechte zu stellen. Damit verstoße der Internetgigant auch gegen die eigenen Ethik-Richtlinien, wie Google-Beschäftigte kritisieren. Denn dort heißt es unter anderem: „Technik, deren Absicht gegen Grundsätze internationalen Rechts und Menschenrechts verstößt“, wolle und werde man nicht einsetzen. Die eigene Mission definiert Google so: „Die Informationen dieser Welt organisieren und allgemein zugänglich und nutzbar machen.“ Im Hinblick auf eine zensierte Google-Version, die laut The Intercept schon Anfang 2019 in China gelauncht werden könnte, erscheinen diese Grundsätze bestenfalls als zweitrangig. Auch wenn Google-Chef Pichai davon ausgeht, man werde 99 Prozent der Suchanfragen bedienen können, wenn er davon spricht, man müsse die unterschiedlichen Wertvorstellungen in jedem Land ausbalancieren und sich im Übrigen an die jeweils geltenden Gesetze halten – die Kritiker wird das nicht überzeugen. Für sie wird Google in China ein Internetriese ohne Rückgrat bleiben.

Und „Dragonfly“ eine Libelle mit gestutzten Flügeln. Auch wenn Pichai inzwischen versichert, dass Google entsprechende Pläne nicht weiterverfolge.

Text: Julia van Leuven