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Politik

"In Deutschland stünden wir der CDU nahe"

Ingo Mannteufel
15. Januar 2019

Russlands Opposition werde weiterhin jede Gelegenheit nutzen, Moskau zu schaden, meint Leonid Wolkow, Mitstreiter des Kreml-Kritikers Nawalny. Die russische politische Elite müsse sich überlegen, was nach Putin kommt.

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Alexej Nawalny auf einer anti-Putin Demonstration in Moskau
Alexej Nawalny auf einer anti-Putin Demonstration in MoskauBild: Reuters

Deutsche Welle: Herr Wolkow, im Frühjahr 2018 haben Sie Alexej Nawalnys Wahlkampf geleitet, den es in Russland offiziell gar nicht gab, da der Kreml Nawalnys Präsidentschaftskandidatur nicht zugelassen hatte. Es gab sogar Repressionen der russischen Behörden gegen ihn persönlich und viele seiner Anhänger, die wochenlang inhaftiert wurden. Sie selbst hielten sich in der zweiten Jahreshälfte in den USA auf. Wie bewerten Sie das vergangene Jahr?

Leonid Wolkow: 2018 war ein schwieriges Jahr, es war eine Zeit des Übergangs für den Kreml und auch für uns. Es schien, als würde das Jahr nach der Präsidentschaftswahl am 18. März für die Staatsmacht ein sehr erfolgreiches und für die Opposition ein sehr erfolgloses werden. Putin wurde triumphal wiedergewählt, das politische Feld gesäubert und die Opposition nirgends zugelassen. Aber das Jahr war nicht davon gekennzeichnet, dass es Putin gut und der Opposition schlecht ging, sondern genau vom Gegenteil.

Wieso war das so?

Bis März letzten Jahres war sich die gesamte politische Elite einig, auf Putins Popularität hinzuarbeiten. Das sollten weitere sechs ruhige Jahre und ein Mandat zum Stehlen sichern - weitere sechs Jahre Kontrolle über alles, was unser Land hat. Jetzt braucht die Elite jene Popularität nicht mehr so sehr. Bis 2024 sieht es für sie gut aus, aber sie muss anfangen sich zu überlegen, was danach passiert. Es wird stark bezweifelt, dass Putin 2024 zur Wahl antritt. Er wird dann 72 Jahre alt sein. Das ist für einen Politiker in Russland ein hohes Alter. Es macht sich auch eine starke Müdigkeit breit. Die Elite glaubt, sie habe im März 2018 mit einer brillanten Operation Putin im Amt gehalten und weitere sechs Jahre gewonnen, um zu entscheiden, was nach ihm passiert. Putin missfällt das, da in dieser Diskussion seine Stimme nicht mehr so wichtig ist.

Wie sieht Ihre politische Strategie für 2019 aus?

Wir haben eine langjährige politische Strategie. Sie wurde 2012 entwickelt und seitdem nicht verändert. Sie lautet: Flexibel sein und jede Gelegenheit nutzen, um der Staatsmacht politisch zu schaden und als Organisation zu wachsen.

Leonid Wolkow
Leonid Wolkow ist ein Vertrauter von NawalnyBild: DW/J. Vischnevetskaja

2019 wollen Sie das Projekt "Smart Voting" umsetzen. Was ist das für ein Projekt?

"Smart Voting" ist unsere neue Idee zur Wahltaktik, um den Schaden für den Kreml zu erhöhen. Im Gegensatz zu früheren Wahlen lässt der Kreml nun keine echten Oppositionskandidaten mehr zu. Bei den meisten Wahlen gibt es keine echten Konkurrenten mehr. Es treten Kandidaten von der Partei "Einiges Russland" und mehrere rein wahltaktische Kandidaten gegeneinander an. Es ist schon fast wie in der ehemaligen Sowjetunion. Für Putin ist der Wahlsieg eines Kandidaten der Partei "Einiges Russland" wichtig. Der Sieg eines anderen tut ihm weh. Wir werden dazu aufrufen, für den aussichtsreichsten Konkurrenten zu stimmen, um dem Kreml Unbehagen zu bereiten.

Ein wesentliches Element der Kreml-Strategie ist, andere Länder, insbesondere Länder des Westen, als Feind darzustellen. Welche Rolle spielen bei Putin Feindbilder?

Sie spielen eine entscheidende Rolle. Aber man muss natürlich wissen, dass die Außenwelt in seinen Augen zweitrangig ist. Wladimir Putin hat ein Ziel: Er will für immer an der Macht bleiben, bis er stirbt. Er will sicherstellen, dass keine inneren Probleme die Aussicht auf eine unbeschränkte Herrschaft stören, und dass sich seine Freunde auf Kosten Russlands und seiner natürlichen Ressourcen endlos bereichern können, indem sie mittels Korruption Gewinne machen. Alles, was er tut, dient den Interessen seiner Herrschaft. Das Abenteuer im Donbass, die Annexion der Krim, der militärische Feldzug in Syrien - all dies wurde unternommen, um das im Inland auszunutzen. Auch die Sprache des Kalten Krieges soll bei den Menschen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren geboren wurden, entsprechende Erinnerungen hervorrufen. Auch das zielt auf das russische Publikum ab. Und wenn Putin in einer Rede vor der Föderationsversammlung eine Infografik mit einer Rakete zeigt, die nach Florida fliegt, dann hat er nicht vor, sie wirklich loszuschicken.

Ist Ihnen klar, dass man das im Westen anders auffasst?

Ich rufe den Westen eindringlich dazu auf, richtig zu interpretieren, was geschieht. Putins Freunde besitzen in Florida alle schöne Penthouse-Wohnungen. Sie wollen gar keine Rakete dorthin schicken. Aber sie wollen den Menschen im Inland das Bild eines muskulösen Mannes vermitteln, der sich für den Kalten Krieg rächt. Das ist ein Versailles-Syndrom. Das Hauptproblem ist, dass es nach dem Sieg im Kalten Krieg keinen Marshall-Plan gab. Es wurden keine gezielten Investitionen in die wirtschaftliche Erholung getätigt. Ohne einen Marshall-Plan hat sich der Komplex des Besiegten voll entfaltet.

In Deutschland fehlt eine klare Vorstellung von Alexej Nawalny und seiner Bewegung. Einerseits sehen viele in ihm ein Opfer der autoritären Herrschaft in Russland und andererseits einen rechtspopulistischen oder gar russischen Nationalisten.

Hier war die Kreml-Propaganda ein bisschen erfolgreich. Es ist ein wichtiger Teil ihrer Arbeit, dem Westen Nawalny als böse, schlecht und noch schlimmer als Putin zu verkaufen.

Als Beispiel wird Nawalnys Teilnahme am "Russischen Marsch" vor zwölf Jahren genannt.

Das ist lange her. Er hat viele Male erklärt, warum er das getan hat. Es gibt ein solches Phänomen wie den "Russischen Marsch" und auch den russischen Nationalismus. Entweder überlassen wir diese Nationalisten den Sieg-Heil schreienden Nazis, die tatsächlich mit Hakenkreuzen und Hitler-Portraits herumlaufen, oder wir versuchen, in dieser Bewegung Leute mit vernünftigen Forderungen zu finden, mit ihnen zusammenzuarbeiten und sie in die zivilisierte Politik einzubeziehen. Zu diesem Zweck nahm Nawalny an diesen Veranstaltungen teil. Aber ich denke, dass er da nicht besonders erfolgreich war.

Ist Nawalny ein Rechtspopulist?

Das Wort "Populist" hat natürlich in vielen Sprachen eine negative Bedeutung. Aber in Wirklichkeit geht es um Politiker, die direkt mit den Wählern kommunizieren, sich an ihren Meinungen orientieren, das sagen, was sie hören wollen. Trump ist ein Populist, Macron ist ein Populist und Nawalny wahrscheinlich in gewisser Weise auch. Die neue Politiker-Generation muss in der heutigen Medienwelt so sein und direkt mit den Wählern kommunizieren, auf Facebook und Twitter, über Videos usw. Das ist weder gut noch schlecht.

Unser Programm, das wir vor den Wahlen im März veröffentlicht haben, hat nichts Populistisches. Es ist das typische Programm einer gemäßigten Mitte-Rechts-Partei. In Deutschland stünden wir der CDU sehr nahe und in Frankreich Macron. In Amerika hätten wir es schwerer, weil wir in einigen sozialen und humanitären Fragen den Demokraten und in wirtschaftlichen Fragen eher den gemäßigten Republikanern nahe stehen.

Leonid Wolkow ist ein enger Verbündeter des russischen oppositionellen Aktivisten Alexej Nawalny. Er war Stabschef der Kampagne Nawalnys für die Präsidentschaftswahlen 2018, zu welcher der oppositionelle Politiker jedoch nicht zugelassen war.  

Das Gespräch führte Ingo Mannteufel.