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Nationalismus in Serbien

Nemanja Rujević16. Dezember 2013

Extremer Nationalismus ist in Serbien noch immer in manchen Köpfen fest verankert. Aktivisten von Nichtregierungsorganisationen setzen sich für neue Erinnerungskultur ein, doch ihr Kampf ist nicht immer leicht.

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Demonstranten mit Serbischen Fahnen (Foto: AFP)
Nationalistische Demonstrationen sind noch nicht VergangenheitBild: Alexa Stankovic/AFP/Getty Images

Der Belgrader Zoran-Đinđić-Boulevard trägt den Namen des ersten demokratischen Regierungschefs Serbiens. Seine Anstrengungen, das Land zu modernisieren und nach Europa hin zu öffnen, endeten 2003 mit der Ermordung Đinđićs. Es war kein Zufall, dass Rechtsnationalisten im Mai 2007 diese Straße mit eigenen Schildern in "Ratko-Mladić-Boulevard" umbenannten. Damit zeigten sie ihre Unterstützung für den ehemaligen bosnisch-serbischen General Mladić, der sich als Kriegsverbrecher vor dem Haager Tribunal wegen Völkermord in der Stadt Srebrenica verantworten muss. Damals wurde Mladić noch als Kriegsheld gefeiert. Einer seiner größten Fans war Aleksandar Vučić – der heutige Vizepremier.

In den vergangenen Jahren veränderte sich die gesellschaftliche und politische Weltanschauung in Serbien dramatisch. Heute ist das Land EU-Beitrittskandidat und Vučić könnte man in der Zwischenzeit fast als Eurofanatiker beschreiben. Die aktuelle Regierung unterzeichnete eine historische Einigung mit der früheren Südprovinz Kosovo, die vor fünf Jahren ihre Unabhängigkeit erklärte.

Sonja Licht. (Foto: Medija centar)
Serbische Soziologin Sonja Licht: "Eine Art poetische Gerechtigkeit"Bild: Medija centar

"Das ist eine Art poetische Gerechtigkeit", sagt die langjährige Demokratie-Aktivistin Sonja Licht, die heute für das serbische Außenministerium arbeitet. "Die Politiker, die in den 1990er Jahren für Krieg und Unheil in der Region mitverantwortlich waren, müssen jetzt Verantwortung übernehmen und die Probleme lösen", so Licht im DW-Gespräch.

Ideen, die nach dem blutigen Krieg, der Jugoslawien zerriss, nur im zivilgesellschaftlichen Getto überlebten, sind heute im politischen Mainstream angekommen. So etwa die unbedingte Strafverfolgung von Kriegsverbrechern oder das Recht auf Anderssein.

Noch viel zu tun

Graffiti an Hauswand (Foto: AP)
"Kosovo ist serbisch" - dieses Graffiti zeigt die Narben, die noch nicht verheilt sindBild: AP

Extremer Nationalismus gehört heute nicht mehr zum Alltag, doch die Narben der Vergangenheit sind deutlich zu spüren. Johannes Rüger, ein junger Deutscher, der für die Nichtregierungsorganisation "Forum ziviler Friedensdienst" in Belgrad tätig ist, erlebt das so: "Wenn ich nach Kosovo fahre, nach Priština, dann fragen mich sehr junge Serben, die gerade während der 90er Jahre im Kindergarten oder in der Vorschule waren, ob ich keine Angst hätte, dort hinzufahren, ob ich nicht denken würde, dass mir dort etwas passieren könnte", so Rüger. "Dann frage ich die Leute: Warst du schon mal in Priština? Und die antworten: Nein, niemals und ich kann da auch nicht hin."

Solche Überreste nationalistischen Gedankenguts überraschen den Aktivisten Aleksandar Popov nicht. "Die Politik hat sich zwar geändert, doch in den Tiefen der Gesellschaft ist das nicht unbedingt angekommen", glaubt der Direktor des serbischen Zentrums für Regionalismus. "Es ist traurig, dass viele junge Leute von Nationalismus und Hass erfüllt sind. Es ist äußerst schwierig, diesen Ballast loszuwerden", betont Popov. Gerade deswegen sei eine weitere Präsenz von Nichtregierungsorganisationen notwendig. "Ich würde gerne in Rente gehen, es gibt aber noch viel zu tun", so Popov.

Auch Sonja Licht sieht übertriebenen Nationalstolz weiterhin als großes Problem, nicht nur in Serbien. "Das ist ein Thema, das auf dem Balkan und in ganz Europa nicht vom Tisch ist. Wir sehen ähnliche Beispiele in Griechenland, Ungarn oder sogar in Nordeuropa, beispielsweise in Finnland, wo den Rechtspopulisten der Einzug ins Parlament gelungen ist", sagt sie. Auch eine selektive Erinnerungskultur – dass nur die eigenen Getöteten und Vertriebenen als wahre Opfer betrachtet werden – sieht die Aktivistin nicht als exklusiv serbisches Problem. "Die Entnazifizierung in Deutschland hat auch sehr lang gedauert", sagt sie.

Aleksandar Popov (Foto: DW/ D. Gruhonjić)
Aktivist Aleksandar Popov will eigentlich in Rente gehenBild: DW/D.Gruhonjić

Erzählung von "Fremde Agenten"

Friedensaktivisten hatten es in Serbien immer schwer und sie genießen auch heute keine breite Unterstützung. Jahrelang wurden sie von nationalistisch geprägten Polit-Eliten unter Generalverdacht gestellt, oft als "Fremde Agenten", da die NGOs überwiegend aus dem Ausland finanziert werden. "Wir waren niemals die Lieblinge des Regimes. Das bezieht sich vor allem auf die Zeit des Slobodan Milošević [Präsident Serbiens (1989-97) und Jugoslawiens (1997-2000)], das gilt aber auch für die demokratische Opposition, die nach dem Milošević-Sturz regierte", stellt Popov fest. "Die Zivilgesellschaft war immer eine Art schlechtes Gewissens - wie ein Steinchen, das den Mächtigen im Schuh drückt", sagt er.

Sonja Licht erlebt seit Jahrzehnten Beleidigungen aus dem rechten Lager. Jüngst wurde sie von der nationalistischen Wochenzeitung "Pečat" als NATO-Lobbyistin bezeichnet. NATO gilt seit der Bombardierung des Landes durch das westliche Militärbündnis im Jahr 1999 in Serbien fast als Schimpfwort. "Ich bin irgendwie stolz, dass die Rechtsextremen mich so angreifen", sagt Licht und fügt aber hinzu: "Die Zeiten sind vorbei, in denen man solche Etiketten auch in Mainstream-Medien angeheftet bekam."

Viele NGOs sind immer noch fast ausschließlich auf die Finanzmittel von internationalen Geldgebern angewiesen. So ist auf der Internetseite des Zentrums für Regionalismus zu lesen, dass die Mittel unter anderem von der US-amerikanischen Rockefeller-Stiftung sowie der deutschen Friedrich-Ebert- und Konrad-Adenauer-Stiftung stammen. "Geld aus dem Westen zu bekommen, ist kein großes Tabu mehr", sagt der Direktor des Zentrums, Popov. "Auch die regierenden Ex-Nationalisten versuchen westliche Geldquellen für den serbischen Staat zu erschließen", meint er.