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Langsame Befreiung durch Kunst

Werner Bloch20. Dezember 2004

Der syrische Präsident Bashar al-Assad sieht sich umringt von amerikafreundlichen Staaten. Die Kultur soll ihm im eigenen Land bei einer vorsichtigen Liberalisierung helfen, ohne alte Apparatschiks zu erschrecken.

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Leiser Förderer der Freiheit: Syriens Präsident Bashar al-AssadBild: AP

Damaskus im Dezember - das ist eine nervöse Stadt. Eine quirlige arabische Metropole mit chaotischem Verkehr, in der eigentlich alles ganz normal aussieht. Und doch ist die Atmosphäre gespannt, haben viele das Gefühl, dass bald etwas Dramatisches geschehen könnte, dass die Amerikaner vielleicht ihre Drohungen gegen Damaskus wahr machen.

Wolfgang Tiemann Ausstellung in Damaskus Seidenstraße
Wolfgang Tiemann steht in Damaskus vor einem seiner Gemälde in der Ausstellung 'Paper Roads'Bild: AP

In dieses isolierte und seltsam aufgeregte Land hat der deutsche Künstler Wolfgang Tiemann große Kunst gebracht: Sechs Kisten mit über fünf Meter langen Aqua-Tinta-Radierungen, die größten Tiefdrucke im Ätzverfahren, die es weltweit gibt. Stolz hängen die monumentalen Bilder in der Eingangshalle des Nationalmuseums, dem höchsten Tempel syrischer Kunst.

Die Friedlichen kontern mit Kultur

Alle Fernsehprogramme und alle Zeitungen feiern den deutschen Künstler. Sogar Staatspräsident Bashar al-Asad schaut vorbei - allerdings nicht zur Vernissage, sondern zum Kinderworkshop. Kein Zweifel: Wolfgang Tiemann, der diesen Auftritt selbst organisiert hat, macht Politik - und die Regierungssprecherin, Boutheina Shabaan auf, nimmt den Ball auf.

"In einer Zeit, in der unsere Region unter Gewalt, Mord, Krieg und Besetzung leidet, ist die Kultur vielleicht die einzige Antwort", sagt Boutheina Shabaan. "Wir müssen uns über unsere Literaturen und unsere Künstler als Menschen verständigen; das schützt am besten vor der Logik der Polarisierung." In Syrien würden Juden, Moslems und Christen seit Tausenden von Jahren zusammenleben - und zwar gern. "Die einzige Frage, die man in Syrien nicht stellt, ist die Frage nach der Religion. Das ist bei uns eine sehr unhöfliche Frage."

Erste Schritte Richtung Meinungsfreiheit

Bei seinem Auftritt im Nationalmuseum gibt sich der Präsident bescheiden, fast schüchtern - in Freizeitkleidung. Al-Assad äußert sich fast nie in der Öffentlichkeit - er schickt seinen Informationsminister vor: "Syrien hat sich verändert, seit die Zusammenarbeit mit Europa im Barcelona-Prozess beschlossen wurde. Die Wirtschaft und das ganze Leben der Syrer haben sich liberalisiert."

Das syrische Parlament in Damaskus
Das syrische Parlament in DamaskusBild: AP

Im nächsten Frühling werde eine große Konferenz der Baath-Partei stattfinden, auf der die Rückkehr zur Sozialdemokratie beschlossen werde - samt Anerkennung von Privateigentum und Meinungsfreiheit.

Kritik in Kunstform wird akzeptiert

Schöne Worte. Aber halten sie der Wirklichkeit stand? Im Goethe-Institut kann man sich ein Urteil bilden. Dort wurde kürzlich eine Ausstellung eröffnet, und die ist für ein arabisches Land sensationell kritisch. "Land und Lehm" heißt die Schau, und zu sehen sind jeweils Paare von Fotografie und Text. Der Text handelt von den Menschen- und Bürgerrechten, die Fotos illustrieren sie. Texte und Inhalte, die Syrien offiziell anerkennt und die teilweise sogar in der Verfassung stehen, doch sie sind eben keine Praxis: Meinungsfreiheit, Wahlfreiheit, Versammlungsfreiheit. Nun werden sie im Goethe-Institut eingefordert - von dem oppositionellen Künstler Ahmad Moualla, der in Damaskus Berufsverbot hat.

Und die syrische Staatsmacht? Sie verhält sich freundlich. Der stellvertretende Kulturminister besuchte sogar die Ausstellung und äußerte sich anerkennend. Natürlich bleiben Zweifel. Doch die Zeichen in Damaskus stehen auf Öffnung. Und die Kunst lässt sich dabei ganz gern instrumentalisieren.