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Lange Haftstrafen

30. Mai 2011

Dutzende Oppositionelle sind in den letzten Wochen in Belarus zu Haftstrafen verurteilt worden. Deren Anwälte wollen die Urteile anfechten. Beobachter raten der EU von neuen Wirtschaftssanktionen gegen Minsk ab.

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Oppositionelle vor Gericht (Foto: DW)
Oppositionelle vor GerichtBild: DW

Ende Mai ist eine ganze Serie von Prozessen gegen Oppositionelle in Belarus zu Ende gegangen. Mehr als 30 Menschen wurden verurteilt. Als letzte erhielten zwei ehemalige Herausforderer von Staatschef Aleksandr Lukaschenko lange Haftstrafen. Nikolaj Statkewitsch und Dmitrij Uss, die bei der Präsidentenwahl Ende 2010 kandidiert hatten, müssen wegen "Organisation massiver Störungen der öffentlichen Ordnung" für sechs und fünfeinhalb Jahre in ein Hochsicherheitslager. Ebenfalls am 26. Mai wurden fünf weitere Aktivisten der Opposition zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren auf Bewährung und fünf Jahren verurteilt, weil sie am Wahlabend gegen das Wahlergebnis protestiert hatten.

Polizei und Demonstranten stehen sich gegenüber in Minsk am 19. Dezember 2010 (Foto: AP)
Polizei geht gegen Proteste nach der Präsidentenwahl vorBild: AP

Mehrere tausend Menschen hatten am 19. Dezember 2010 in Minsk auf dem Unabhängigkeitsplatz demonstriert. Sie warfen den Behörden vor, das Wahlergebnis gefälscht zu haben, wonach der seit fast 17 Jahren regierende Amtsinhaber Lukaschenko mit 80 Prozent wiedergewählt worden sein soll. Auch der Westen kritisierte die Wahl als unfair und undemokratisch. Die Proteste wurden von Sicherheitskräften niedergeschlagen. Hunderte Menschen wurden vorübergehend festgenommen, darunter auch oppositionelle Präsidentschaftskandidaten.

"Sanktionen wären Nahrung für Propaganda"

Der belarussische Politologe Aleksandr Klaskowskij meint, mit den Urteilen gegen die Regierungsgegner teste die Führung in Minsk, wie weit sie gegen die Opposition vorgehen könne und wie Europa und der Westen insgesamt darauf reagierten. Um der belarussischen Propaganda keine neue Nahrung zu geben, soll nach Ansicht von Klaskowskij die EU jetzt aber keine neuen Wirtschaftssanktionen gegen Belarus verhängen. Die Propagandamaschine des Regimes würde dann nämlich den Westen für die desolate Wirtschaftslage im Lande verantwortlich machen.

"Die gegenwärtige finanzielle und wirtschaftliche Lage ist nicht gerade zum Vorteil der belarussischen Führung, deswegen kann der Westen eine Pause nehmen“, unterstreicht der Experte. Die belarussische Wirtschaft werde von selbst zusammenbrechen, glaubt Klaskowskij. Diese Entwicklung werde dann auch die belarussischen Behörden letztlich zwingen, die Urteile gegen die Regierungsgegner zu revidieren.

Selektive Urteile

Ehemaliger Präsidentschaftskandidat Nikolaj Statkewitsch hinter Gittern (Foto: AP)
Nikolaj Statkewitsch erhielt die längste HaftstrafeBild: dapd

Beobachter und Menschenrechtler stellen fest, dass die Gerichte bei den Prozessen gegen die ehemaligen Präsidentschaftskandidaten sehr unterschiedlich entschieden hätten. Während Andrej Sannikow, Nikolai Statkewitsch und Dmitrij Uss beschuldigt wurden, die Ausschreitungen organisiert zu haben und deswegen zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, erhielten die ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Witalij Rymaschewskij und Wladimir Nekljajew zwei Jahre Haft auf Bewährung. Jaroslaw Romantschuk und Gregorij Kostusew wurden nicht einmal strafrechtlich verfolgt. Unklar ist, was Ales Michalewitsch erwartet hätte, wenn es ihm nicht gelungen wäre, in die Tschechische Republik zu fliehen.

Klaskowskij betont, dass die Urteile nichts mit Rechtsprechung zu tun hätten. Sie seien aus völlig anderen Erwägungen heraus gefällt worden. "Es ist deutlich zu sehen, dass diejenigen Präsidentschaftskandidaten die längsten Haftstrafen bekommen haben, die den jetzigen Staatschef persönlich kritisiert hatten“, so der Experte.

Auch die belarussische Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Jelena Tonkatschewa unterstreicht, juristisch sei nicht zu erklären, warum die Urteile so unterschiedlich ausgefallen seien. "Das ist juristischer Unsinn und nur politisch motiviert“, sagt sie. Tonkatschewa fordert eine Überprüfung aller Urteile. Wenn dies im Rahmen der belarussischen Rechtsordnung nicht gelinge, müsse dies vor internationalen Gerichten geschehen. Die Rechtsanwälte der verurteilten Oppositionellen haben bereits angekündigt, die Urteile anzufechten.

Autoren: Artur Smirnow, Markian Ostaptschuk (mit dpa, afp)
Redaktion: Bernd Johann