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Laborfleisch ist auch (k)eine Lösung

28. November 2022

Fleisch aus dem Labor hat im Vergleich zu Fleisch aus dem Massentierstall einige Vorteile. Es ist aber auch nicht der große Problemlöser, als der es manchmal gehandelt wird. Was Laborfleisch kann - und was nicht.

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Ein Forscher präsentiert Laborfleisch in einer Petrischale
Ob das schmeckt? Wer weiß, noch gibt es das Fleisch aus der Petrischale nicht im Supermarkt zu kaufen.Bild: David Parry/AP Photo/picture alliance

Möglich, dass es in den USA bald im Labor gezüchtetes Hähnchenfleisch zu kaufen gibt. Die US-amerikanische Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA hat der Firma Upside Foods erst kürzlich grünes Licht für das Fleisch aus der Petrischale gegeben: Zur Sicherheit des Produktes habe man derzeit keine weiteren Fragen, heißt es in der Mitteilung der FDA.

Im Allgemeinen ranken sich um das Thema Laborfleisch allerdings nicht nur eine ganze Menge Fragen, sondern auch einige Mythen. Und sehr viele unbefriedigende "das wissen wir noch nicht"-Aussagen.

Ist Laborfleisch vegetarisch?

Wer glaubt, Fleisch aus dem Labor sei ein tierfreies Produkt, irrt. Um In-vitro-Fleisch züchten zu können, sind die Zellen eines echten Tieres die Grundvoraussetzung. Ob Rind, Schwein oder Huhn - ihnen werden Muskelstammzellen entnommen, die dann in einem aus verschiedenen Nährstoffen und Wachstumsfaktoren bestehenden Nährmedium angezüchtet werden, wo sie sich zu Muskelfasern entwickeln. Die Muskelbiopsie dürfte schmerzhaft für die Tiere sein, bringt sie aber nicht um.

Anders ist das mit den Kälbern, deren Blut für die Nährlösung, in der die Muskelzellen wachsen sollen, gebraucht wird. "In fast allen Zellkulturen, die in der Biomedizin verwendet werden, ist fetales Kälberserum schon sehr lange der Goldstandard, weil es Wachstumsfaktoren enthält, die für die Kultivierung der Zellen notwendig sind", erklärt die Professorin für Tissue Engineering und Biofabrication Petra Kluger, die an der Universität Reutlingen zu Laborfleisch forscht.

Weder die Kälber noch deren Mütter überleben diese Blutentnahme. Kluger ist klar, dass das Kälberserum bei der Entwicklung von kultiviertem Fleisch ersetzt werden muss. Aus ethischen Gründen, aber auch, weil das Serum viel zu teuer sei. "Mittlerweile gibt es auch schon gute Ersatzmedien ohne tierische Bestandteile", sagt Kluger. Teuer ist das Ganze allerdings immer noch.

Fleisch aus der Petrischale

Ist Laborfleisch gesund?

Da Laborfleisch noch nirgendwo auf der Welt in großem Stil verzehrt wird, kennen wir die Antwort auf diese Frage noch nicht. Was wir wissen ist, dass vor allem der Verzehr von rotem Fleisch in zu großen Mengen krank macht: Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch manche Krebsarten können die Folge sein. Ob Laborfleisch diese Vorzeichen verändern könnte, lässt sich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.

Denkbar ist, dass Laborfleisch weniger zur Entwicklung multiresistenter Krankheitserreger beiträgt, weil weniger Antibiotika zum Einsatz kämen. Laut Verbraucherzentrale werden allerdings auch bei der Produktion von In-vitro-Fleisch Antibiotika eingesetzt, um die Zellkulturen vor Infektionen zu schützen.

In einem Stall, in dem viele Tiere dicht gedrängt zusammenleben, übertragen sich Krankheiten schneller und Zoonosen, die vom Tier auf den Menschen überspringen können, sind eine reale Gefahr. Die scheint bei der Herstellung von Fleisch im Labor wesentlich geringer.

"Fleisch aus dem Labor ist nicht natürlich", diesen Satz hört Petra Kluger immer wieder - und sie kann ihn auch durchaus nachvollziehen, einerseits. "Andererseits sind wir ja von einer natürlichen Viehhaltung auch meist weit entfernt", sagt die Wissenschaftlerin. Das Bild von der glücklichen Kuh auf der Weide voller Bergkräuter mag sich hartnäckig in unseren Köpfen halten, hat mit der Realität aber selten etwas zu tun.

Ist Laborfleisch umweltfreundlich?

Rund 80 Kilogramm Fleisch nimmt jeder Bürger und jede Bürgerin in der EU pro Jahr im Schnitt zu sich. Der hohe Fleischkonsum der Industrieländer ist nicht nur ein riesiges ökologisches Problem, er gefährdet auch die globale Ernährungssicherheit. Etwa 70 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche weltweit werden für die Viehzucht genutzt. Kalorien und Nährstoffe machen so einen Umweg über die Futtertröge der Massentierställe, bevor sie zu oft auf dem Teller derjenigen landen, die keinen Hunger haben, sondern nur Appetit.

Matin Qaim, Agrarwissenschaftler und Leiter des Zentrums für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn, kommt nach der Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes deshalb zu dem Ergebnis, dass die Industrienationen ihren Fleischkonsum um mindestens 75 Prozent reduzieren müssen

Für das Fleisch aus dem Labor müssten viel weniger Tiere gehalten werden. Es würde weniger Fläche für den Anbau von Futter gebraucht, weniger Wasser benötigt und der Ausstoß von Klimagasen wie Methan und Kohlendioxid wäre geringer. Das Narrativ vom Laborfleisch als "Clean Meat", sauberes Fleisch, suggeriert zumindest, dass die Lösung für das Klima- und Ernährungsdilemma nahe ist. Aber stimmt das auch?

"Nein", sagt Qaim. "Auch Fleisch aus dem Labor braucht Nährstoffe, um wachsen zu können. Diese Nährstoffe müssen irgendwo herkommen." Das Problem, dass die Fleischproduktion Ressourcen verbraucht, die man auch den Menschen direkt, ohne Umwege und Verluste zukommen lassen könnte, bleibe bestehen. 

Viele Umweltauswirkungen des In-vitro-Fleischs können bisher nur geschätzt werden - eine groß angelegte Produktion gibt es noch nicht. Klar ist allerdings: Die Herstellung von Laborfleisch kommt nicht ohne die Emission von Treibhausgasen aus. Von der Herstellung der Nährmedien bis zu den Bioreaktoren, in denen das Muskelgewebe wächst, wird eine ganze Menge Energie verbraucht. Wie viel genau, lässt sich zwar schätzen und modellieren, aber (noch) nicht sicher sagen.

Einige Modellierungen gehen davon aus, dass die Treibhausgasbilanz des Laborfleischs zwar besser ist als die der Rindfleischproduktion, aber wesentlich schlechter als die der herkömmlichen Produktion von Geflügelfleisch.

"Das heißt nicht", so Qaim, "dass Laborfleisch in Zukunft keine Rolle spielen wird." An der Notwendigkeit, den Fleischkonsum drastisch zu reduzieren, ändere aber auch das In-vitro-Fleisch nichts.

 

DW Mitarbeiterportrait | Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.