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Lärm als wirksames Kampfmittel

12. Oktober 2011

Schon seit längerer Zeit verfolgen Polizei und Militärs eine neue Strategie, um Piraten zu verjagen, Demonstrationen aufzulösen oder Gangster und feindliche Soldaten zu bekämpfen. Sie benutzen Schall als Waffe.

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Ein Servicetechniker mit dem akustischen Abwehrsystem LRAD 500X (Foto: dpa)
Schallkanone LRADBild: picture-alliance/dpa

Eine Militärübung in den USA: Wie wild ballert das Maschinengewehr in einem Waldstück herum. Plötzlich dringt ein scharfer, lauter Ton durch die Bäume. Den MG-Schützen scheint das entscheidend zu stören: Offenbar nimmt er die Finger vom Abzug, um seine Ohren vor dem Lärm zu schützen. Das Maschinengewehr verstummt. Die Schallkanone hat gewonnen.

Die Technik dahinter heißt LRAD: Long Range Acoustic Device, auf Deutsch: Akustik-Gerät mit langer Reichweite. Das System basiert auf einem leistungsfähigen Richtlautsprecher. Statt eines großen hat er viele kleine Lautsprecher eingebaut, nebeneinander montiert auf einer flachen Scheibe. Sie strahlen die Signale in einem relativ schmalen Winkel ab und können den Schall dadurch deutlich stärker bündeln als eine normale Box. Der Frequenzumfang ist zwar bescheiden, der Klang entsprechend dünn. Doch zum Beispiel Lautsprecherdurchsagen der Polizei sind selbst in einiger Entfernung noch gut zu verstehen.

Unerträglicher Lärm

Waffenexperte Jürgen Altmann, Physiker an der Universität Dortmund (Foto: DW)
Waffenexperte Jürgen AltmannBild: DW

"Bei normaler Lautstärke sind diese Durchsagen noch in 300 Metern Entfernung gut verständlich", erläutert der Physiker Jürgen Altmann, Experte für nichtletale Waffen an der Technischen Universität Dortmund. "Bei hoher Lautstärke sind es sogar 700 Meter." Selbst die Warndurchsagen eines in der Luft kreisenden Helikopters lassen sich mit LRAD noch verstehen.

Bei maximaler Leistung aber kann der Richtlautsprecher zur Waffe mutieren. Schickt man statt Durchsagen nervige Pfeiftöne durch den Lautsprecher, auf deren Frequenzen das Ohr besonders empfindlich reagiert, wird der Lärm schier unerträglich: Um den Schmerz zu dämpfen, steckt man sich unweigerlich die Finger in die Ohren und sucht am besten das Weite. Das Geräusch ähnelt dem einer Auto-Alarmanlage – allerdings so laut wie ein Düsenflugzeug in 30 Metern Entfernung.

Einsatz abwägen – Hörschäden drohen

Demonstrationen in Pittsburgh (Foto: dpa)
Demonstrationen in PittsburghBild: picture-alliance/dpa

Einige Male kam diese Schallkanone schon zum Einsatz, etwa im September 2009 in Pittsburgh, während des G20-Gipfels. Um die Teilnehmer einer nicht genehmigten Demonstration auseinanderzutreiben, hatte die Polizei einen scheibenförmigen LRAD-Lautsprecher auf einem Einsatzfahrzeug montiert und richtete sie gegen die Demonstranten. In demselben Jahr setzten japanische Walfangschiffe die Schallkanone im Südpolarmeer gegen Tierschützer ein, die in Schlauchbooten neben den Walfängern herfahren.

Auch Handelsschiffe und Kreuzfahrer haben LRAD schon verwendet, um sich gegen die Angriffe somalischer Piraten zu wehren. "Die haben LRAD-Lautsprecher auf dem Deck montiert und in Richtung des Piratenbootes gezielt", erzählt Jürgen Altmann. "Die Piraten waren offenbar so überrascht und bekamen wohl auch Ohrenschmerzen, dass sie umkehrten und das Schiff passieren ließen."

Doch die Schallkanonen können üble Nebenwirkungen haben: Steht man zu dicht am Lautsprecher und wird minutenlang beschallt, drohen bleibende Hörschäden. Deshalb sollte jeder LRAD-Einsatz sorgsam abwägt werden. "Schießt jemand auf andere Leute und kriegt als Gegenreaktion lauten Lärm, der womöglich das Gehör schädigt, habe ich damit kein ethisches Problem", meint Jürgen Altmann. "Würde diese Waffe dagegen routinemäßig bei Demonstrationen eingesetzt, und zehn Prozent der Betroffenen haben hinterher dauerhafte Hörschäden, halte ich das nicht für gerechtfertigt."

Leicht ausschaltbar

Eines jedenfalls ist klar: Auf breiter Front durchgesetzt hat sich die Schallkanone bislang nicht – weder bei der Piratenabwehr noch bei der Demonstrantenjagd. Zumeist war es vor allem der Überraschungseffekt, der eine Wirkung zeigte. Denn sobald man mit dem Einsatz der Schallkanonen rechnet, genügt eine simple Gegenmaßnahme, um das LRAD-System auszutricksen: "Man muss sich einfach einen normalen Gehörschutz ins Ohr stöpseln", sagt Altmann. "Das genügt, um den schmerzhaften Lärm auf ein erträgliches Maß zu dämpfen."

Deshalb wird der Einsatz der Richtlautsprecher als akustische Waffe wohl die Ausnahme bleiben. Stattdessen taugen die LRAD-Systeme wohl eher als Super-Megaphone, um sich bei Bedarf besser Gehör verschaffen zu können.

Autor: Frank Grotelüschen
Redaktion: Andreas Sten-Ziemons