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Sind unsere Seen noch zu retten?

Bob Berwyn sst
24. August 2017

Seit Jahren heizen sich Seen überall auf der Welt auf. Was tun? Besserer Schutz für Flüsse, weniger Umweltverschmutzung und mehr Schutzräume für empfindliche Arten könnten helfen, Seen gegen den Klimawandel zu wappnen.

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Temperaturanstieg in Seen USA Lake Dillon Colorado
Bild: Bob Berwyn

Der Morgennebel zieht über den Irrsee, als Ökologe Harald Ficker ein Thermometer in das tiefe, blaue Wasser hinabsenkt. Seit den 1970er Jahren hat sich das Wasser im See in der Nähe Salzburgs um zwei Grad Celsius erwärmt - fast doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt.

Die Besucher, die gekommen sind, um hier zu schwimmen, wird es freuen. Aber die höheren Temperaturen sind nicht gut für Fische und bringen Ökosysteme durcheinander - nicht nur hier in Österreich, sondern weltweit. Daher arbeiten Forscher daran, die Seen widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu machen.

Ficker überwacht Seen für das österreichische Umweltministerium und misst gerade die Temperaturen an unterschiedlichen Tiefen des Sees. Im Frühling schmelze das Eis nun einen Monat früher als im Jahr 1975, erzählt er. Wenn das Eis abgeschmolzen ist, heizt sich die oberste Wasserschicht auf und verhindert die natürliche Durchmischung des Sees. Normalerweise sinken kalte, sauerstoffreiche Wasserschichten unter der Eisschicht nach unten, in die Tiefen des Sees.

Österreich | Irrsee
Ein Temperaturanstieg im Irrsee mag für Schwimmer angenehm sein - für Fische ist er tödlichBild: picture-alliance/picturedesk/A. Litzlbauer

Ohne die natürliche Durchmischung des Sees erhalten die tiefen Wasserschichten aber weniger Sauerstoff - und das fehlt dann den Fischen, Insekten und Algen im Wasser. "Die Amerikanische Seeforelle ist wegen dieses Phänomens im Irrsee schon verschwunden", sagt Ficker. "Die Art wird auch aus anderen Seen verdrängt." In den tieferen Regionen sei der Sauerstoffgehalt sehr niedrig und damit für Fische nicht mehr geeignet.

In einem der kältesten Seen Österreichs in der Nähe von Lunz haben Wissenschaftler nun auch weniger Forellen und weniger Hechte dokumentiert - sie führen das auf die globale Erderwärmung zurück. In Island beobachten Forscher noch nie dagewesene Parasiten-Ausbrüche, die Fische töten. Auch dies schreiben sie den wärmeren Temperaturen im See zu.   

Rekordtemperaturen lassen Seen verdunsten

Die Erwärmung des Irrsees ist Teil eines größeren europäischen und weltweiten Trends. Im letzten Jahr erwärmten sich die Seen auf Rekordtemperaturen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie in der Fachpublikation "Climatic Change" stellt heraus, dass ein abrupter Wandel in den 1980er Jahren die Temperaturen in europäischen Seen hat ansteigen lassen. In anderen Weltregionen, in denen es heißer ist, verdunsten Seen und werden salziger.

Was können wir tun? Das Ziel ist letztendlich, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die Erderwärmung zu stoppen. Wissenschaftler suchen aber auch nach Möglichkeiten, den bereits entstandenen Schaden zu minimieren.

Ökologe und Binnengewässer-Experte Iestyn Woolway von der britischen Reading Universität sagt, dass die Seen sich zwar teilweise an sukzessive Erwärmung anpassen könnten, nicht jedoch an extreme Veränderungen. Als die Temperatur um 1980 anstieg, führte das zu einem ähnlich drastischen und plötzlich eintretenden Sauerstoffverlust in den Tiefen der Seen. Das bedrohte die einheimische Fischpopulation in mehreren Seen.

Bis zum Jahr 2050 sollen Prognosen nach die Temperaturen in Seen noch um ein weiteres Grad Celsius ansteigen. Ohne eine gravierende Reduktion der Treibhausgase werden sie bis zum Ende des Jahrhunderts sogar um 4 bis 5 Grad Celsius ansteigen und damit die Seen bis zur Unkenntlichkeit verändern. Falls die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens eingehalten werden, würde der Temperaturanstieg auf 2 bis 3 Grad Celsius begrenzt - das heißt, es bliebe noch Raum für Klima-Adaption.

Ein weiterer Grund zur Sorge: Aus wärmeren Seen entweicht wegen der erhöhten biologischen Aktivität mehr Kohlendioxid und Methan. Denn die Bakterien sind in wärmeren Seen aktiver und zersetzen mehr organisches Material auf dem Grunde des Sees.

Größte Bedrohung

Für viele mittlere und große Seen in Europa und Nordamerika sind die biologischen Veränderungen die größte Bedrohung, sagt Rita Adrian vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Nitrate und Phosphate aus Düngemitteln und Abwässern fördern die Algenblüte - und die explodierende Anzahl an Algen raubt dem Wasser den Sauerstoff.

Etwa 20 Prozent weniger Nährstoffe wie Nitrat und Phosphat dürften in die Seen gelangen, sagt Adrian. "Wir brauchen bessere Kläranlagen", sagt Adrian. "Wir haben die Systeme nicht verbessert, sondern behalten nur den Status Quo bei. Das wird nicht genug sein, wenn sich das Klima erwärmt."

Temperaturanstieg in Seen Österreich Vorderer Langbathsee
Forscher fordern bessere Kläranlagen, um unsere Seen zu schützenBild: Bob Berwyn

Algen, die in wärmerem Wasser gedeihen, nehmen nicht nur Fischen den Sauerstoff weg - einige produzieren auch Giftstoffe, die Tiere und manchmal auch Menschen schädigen. "Schnell auf die Algenblüte zu reagieren, ist entscheidend", sagt Adrian. "Die Algenentwicklung beginnt früher im Frühjahr und dauert im Herbst länger an. Wenn sie extrem ist, kann sie sogar die Wasserversorgung lahmlegen." Daher sei bessere Überwachung wichtig - und auch ein Notfallplan, um alternative Trinkwasser-Ressourcen bereitzustellen.

Ficker, der österreichische Ökologe, entgegnet, dass es durchaus helfen könnte, die Algen-Nährstoffe zu begrenzen - doch das sei nicht genug. "Ein paar Fische schwimmen schon jetzt in die höheren Wasserschichten, um dort nach kälterem Wasser zu suchen."

Schutzzonen für Fische

In den USA haben Fischbiologen den Fischen geholfen, indem sie bedrohte Regionen mit weiteren Zonen verbunden haben, um den Fischen mehr Zuflucht vor dem Klimawandel zu bieten.

Auch könne man den Verlauf von Flüssen, die in Seen münden, umlenken, schlägt Ficker vor. Schatten von Bäumen und Büschen etwa könnten dann das Wasser herunterkühlen. Perspektivisch könnte auch kaltes Wasser aus den Bergregionen in Seen gelenkt werden, um sie zu kühlen.

Sansibar - Klimawandel bedroht Seegras-Farmen

Der Neusiedler See in der Nähe von Wien kämpft derweil mit ganz anderen Problemen: Der See beginnt zu verdunsten. Ein paar Jahre Dürre und Hitzewellen könnten auch die Flüsse, die ihn speisen, austrocknen lassen, sagt Gerhard Soja, Seenforscher am Austrian Institute of Technology. "Der See hat so wenig Wasservolumen, dass der Nährstoffgehalt rasant ansteigen könnte. Die Balance, die zurzeit funktioniert, ist fragil", sagt der Wissenschaftler. "Es gab Pläne, uns auf das Schlimmste vorzubereiten und Wasser aus der Donau umzuleiten, aber das würde zu einer ganz neuen Reihe an Problemen führen, weil das Wasser so anders ist." 

Das zeigt, dass Maßnahmen, die dazu gedacht sind, ein Ökosystem zu schützen, unmittelbare Auswirkungen auf andere Ökosysteme haben - eines der größten Dilemmata unserer Zeit, in der wir versuchen, uns an einen schnell erwärmenden Planeten anzupassen.