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Gesellschaft

Kunde ist König: Zu welchem Preis?

9. Januar 2019

Wegen des Großbrands einer Textilfabrik in Pakistan 2012 mit über 250 Toten verklagen Betroffene den deutschen Discounter KiK auf Schmerzensgeld. Ein Gericht in Dortmund entscheidet nun, ob die Ansprüche verjährt sind.

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Pakistan - Brand in Textilfabrik in Karachi
Bild: picture-alliance/dpa/R. Kahn

Remo Klinger hat diesen Satz schon oft gesagt, um zu erklären, worum es in diesem Prozess geht: um mehr als nur einen Anspruch auf Schmerzensgeld, um einen Präzedenzfall. "The globalisation is coming home!" Die Globalisierung kommt also nach Hause zurück, meint der Rechtsanwalt, der die Pakistaner vor Gericht vertritt. 

Soll heißen: Firmen aus dem reichen Norden, die über Jahre ihre Produktion in den armen Süden verlagert haben, können sich bei der Verantwortung nicht wegducken. "Menschenrechtliche Standards zu erfüllen, ist nicht nur Sache von Staaten, sondern auch von privaten Unternehmen."

Wer trägt also die Verantwortung dafür, was am 11. September 2012 in Karatschi passiert ist - und was man in Asien den "9/11 von Pakistan" nennt? Die pakistanische Schutzgeldmafia, die mutmaßlich das Feuer in der Textilfabrik Ali Enterprises gelegt hat? Neun Personen werden gerade in Pakistan deswegen angeklagt. Oder das deutsche Unternehmen KiK, das in dem Gebäude als Hauptauftraggeber Textilien produzieren ließ? 


"KiK als Boss hätte reagieren müssen“

Für Klinger ist die Sache klar: "Sämtliche Fenster waren vergittert und ließen sich im Brandfall von innen nicht öffnen. Die Holzböden konnten schnell Feuer fangen und es gab außerdem nur einen einzigen Rettungsweg." KiK habe also den Brandschutz vernachlässigt und sei deshalb für die hohe Zahl der Opfer mitverantwortlich. "Der eigentliche Boss war KiK und der Boss hätte reagieren müssen", so Klinger.

Remo Klinger, Rechtsanwalt
Rechtsanwalt Remo KlingerBild: privat


KiK (eine Abkürzung für "Kunde ist König“), das 2017 seinen Jahresumsatz auf mehr als zwei Milliarden Euro steigerte, hat in den vergangenen Jahren für die Betroffenen mehr als sechs Millionen Dollar an Schadensersatz bezahlt. In Dortmund geht es allerdings um Schmerzensgeld, vier Pakistaner fordern jeweils 30.000 Euro. Das Gericht muss jetzt - nach pakistanischem Recht - entscheiden, ob die Ansprüche verjährt sind oder nicht. 

Nur wenn dies nicht der Fall ist, kann das Verfahren später fortgesetzt werden. "Die Betroffenen sind sehr verbittert, dass KiK nicht einen Cent Schmerzensgeld nach dieser Katastrophe zahlen will", sagt Rechtsanwalt Klinger. "Das können sie nicht verstehen und wollen auch nicht so hinnehmen." 


"Kein Kabelbrand, sondern ein gezielter Anschlag!"

Bei dem deutschen Textilunternehmen sieht man das naturgemäß anders: "KiK hat den Brand in der Fabrik nicht verursacht und muss deswegen auch kein Schmerzensgeld bezahlen. Es war kein Kabelbrand, kein Kurzschluss, sondern ein gezielter Anschlag." Die wahren Schuldigen ständen derzeit in Pakistan vor Gericht. "Deutsche Unternehmen sollten nicht für kriminelle Handlungen pakistanischer Attentäter haften müssen."

Deutschland - Anklage gegen Kik -Prozess nach Brand in pakistanischer Textilfabrik in Dortmund
KiK gehört zur Unternehmensgruppe TengelmannBild: picture alliance/ImageBROKER

KiK verweist außerdem auf das internationale Gütesiegel SA 8000, welches die italienische Gutachterfirma Rina der Textilfabrik wenige Wochen vor dem Brand ausgestellt hatte. Und damit unter anderem hohe Sicherheitsstandards zertifizierte. Als Konsequenz aus dem Unglück habe KiK zudem 2016 als erstes Unternehmen eine Haftung auch für die Gutachter durchgesetzt. "Sie sind dafür verantwortlich, dass die Gutachten korrekt sind und müssen haften, sollte bis zu drei Monate nach dem Gutachten noch irgendetwas passieren."

Auch die Textilfabriken in Bangladesch und Pakistan würden seit 2013 genau unter die Lupe genommen, erklärt das Unternehmen aus dem nordrhein-westfälischen Bönen. "Seitdem inspizieren wir mit Hilfe von Ingenieuren die Textilfabriken. Notwendige Baumaßnahmen sind bereits umgesetzt, oder noch in der Umsetzung." Dabei sollte den Brandschutz eigentlich die Bauaufsicht des jeweiligen Landes kontrollieren: "Es sollte eine staatliche Aufgabe sein, doch wir westliche Firmen übernehmen dies de facto."

"Gutachten erstunken und erlogen!“

Thomas Seibert von der Menschenrechtsorganisation "Medico International", welche die Klage der Pakistaner unterstützt, kennt die Argumentation des deutschen Textil-Unternehmens genau. Vor allem wenn es um das Gutachten der italienischen Firma Rina geht, widerspricht er vehement: "Dieses Gutachten ist erstunken und erlogen. Rina ist bekannt dafür, dass es ihren Auftraggebern solche Gutachten zustellt."

Warum, fragt Seibert, sei KiK nicht juristisch gegen Rina vorgegangen, wenn das Gutachten doch so offensichtlich nicht den Tatsachen entsprach? Die Antwort sei einfach: "Man braucht solche Gutachten, um auf der sicheren Seite zu sein, und man weiß natürlich ganz genau, bei welcher Firma man sein Gutachten bestellen muss."

Thomas Seibert, NGO Medico International
Thomas Seibert von "Medico International"Bild: privat

"Medico international" will mit der Klage vor allem erreichen, dass deutsche Unternehmen auch für ihre Politik im Ausland gerade stehen und sich juristisch verantworten müssen. "Die Zeit für freiwillige Selbstverpflichtungen ist wirklich schon lange abgelaufen, sie sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen", mahnt Seibert. Stattdessen müssten eindeutige gesetzliche Regelungen her: "Die Straffreiheit für das systematische Fehlverhalten deutscher Unternehmen im Ausland muss endlich beendet werden."

"Muss ich im Jahr fünf neue Jeans tragen?"

Thomas Seibert hofft, dass Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) in nächster Zeit eine gesetzliche Regelung auf den Weg bringt und die deutschen Unternehmen zu Sicherheitsstandards verpflichtet. "Der nächste Unfall kommt bestimmt, abgesehen davon gibt es schon jetzt immer wieder Tote und Verletzte, die in deutschen Medien nicht einmal eine Meldung wert sind."

Doch nicht nur die Politik sei gefordert, sondern auch die Verbraucher. Der Textilkonsum in Deutschland sei in den vergangenen 30 Jahren, das heißt in der Zeit, in der die Produktion ins Ausland verlagert wurde, dramatisch angestiegen. Seiberts Appell: "Das muss aufhören, wir müssen unser Kaufverhalten ändern. Die einfache Frage lautet: Muss ich im Jahr fünf neue Jeans tragen?"

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur