kulturweit: Wie sich Journalistinnen auf Sansibar emanzipieren | Start | DW | 25.11.2015
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kulturweit: Wie sich Journalistinnen auf Sansibar emanzipieren

Die 24-jährige Lea Verstl arbeitet als kulturweit-Freiwillige für die Zanzibar Broadcasting Corporation. Ihre Mentorin Nassra Nassor hat Lea beeindruckt - gemeinsam produzieren sie eine Dokumentationsreihe.

Lea Vestl mit Kolleginnen von Zanzibar Broadcasting Corportation

Die Journalistin Lea (rechts) hat in Sansibar von ihren Kolleginnen einiges über Emanzipation gelernt

"Liebe, Frieden und Gastfreundschaft - das sind die Prinzipien der sansibarischen Kultur", erklärt mir meine Mentorin Nassra Nassor, nachdem sie mich in der Produktionsabteilung der Zanzibar Broadcasting Corporation (ZBC) willkommen geheißen hat. Bald schon merke ich: Nassra ist eine Frau, die ihre Prinzipien lebt. Gleich zu Anfang meines Freiwilligendienstes bei dem staatlichen Fernsehsender von Sansibar versucht die 34-jährige Produzentin, mir die lokale Kultur auch außerhalb unseres gemeinsamen Arbeitsplatzes näher zu bringen.

Ob beim Einkauf von Kopftüchern, islamischen Festtagen oder Hochzeiten - mit Nassras Hilfe gelingt es mir, die neue Umgebung kennenzulernen und zu verstehen. Sicher navigiert sie mich durch das kunterbunte Chaos der Straßen von Stone Town. "Twende Zetu" (zu deutsch: "Lass uns gehen") ruft sie mir immer wieder zu, wenn ich orientierungslos zwischen den zahllosen Ständen des Lebensmittelmarktes stehe.

Kulturweit Projekt Sansibar

TV-Produzentin Nassra Nassor (links) beim Dreh über Fischerei

Trotz kultureller Unterschiede haben wir beide viele Gemeinsamkeiten. So war es von klein auf auch ihr Wunsch, Journalistin zu werden. "Als Journalistin habe ich die Möglichkeit, meine Stimme zu erheben und mich kritisch zu äußern", sagt Nassra. Kritik übt sie unter anderem an der aktuellen Medienberichterstattung in Tansania: "Die Medien konzentrieren sich zu stark auf die Politik und die Parteien. Dabei werden soziale Probleme wie Frauenrechte, Armut und das Gesundheitssystem vergessen." In Zukunft möchte sich Nassra bei ihrer journalistischen Arbeit vermehrt auf diese Problemfelder konzentrieren. Seit 2010 produziert sie für ZBC meist kulturelle Fernsehprogramme, in denen sie unter anderem mit Studiogästen über traditionelle Kleidung diskutiert.

Kritik äußern können

Als ich ihr erkläre, dass ich Kulturwissenschaften studiert habe und Chefredakteurin des soziokulturellen Magazins "Dilemma" bin, schlägt Nassra mir vor, für ZBC ein Sendeformat mit soziokulturellem Schwerpunkt zu entwickeln. Dieses dokumentarische Format soll den Einheimischen dabei helfen, ihre Traditionen zu artikulieren und trägt daher den Namen "Sauti ya Zanzibar" ("Stimmen aus Sansibar"). Im Rahmen der Vorbereitungen zu "Sauti ya Zanzibar" gebe ich einen dreiwöchigen Workshop mit 15 Teilnehmern, darunter ZBC-Produzenten und Mitarbeiter der Nachrichtensendung. Der Workshop umfasst das gesamte Spektrum des journalistischen Arbeitens, vom Interviewtraining über Regieanweisungen bis hin zum Verfassen eines Skripts.

Nassra und ich beschließen, in der ersten Folge der Dokumentationsreihe die traditionelle Fischerei zu thematisieren. Da etwa 20 Prozent der Bevölkerung innerhalb des Fischereisektors beschäftigt sind, bildet er einen der wichtigsten Wirtschaftszweige der Insel. Trotz ihrer harten und manchmal lebensgefährlichen Arbeit zählen Fischer meist zu der ärmeren Bevölkerungsschicht. Zurzeit drehe ich die Dokumentation gemeinsam mit meinen einheimischen Kollegen.

Ich bin froh, dass ich bei der komplizierten Organisation auf Nassras Expertise zählen kann. Neben ihrer Tätigkeit als Fernsehproduzentin ist sie seit vier Jahren Dozentin an der örtlichen Journalistenschule. Bei der Recherche für ihre Seminare gibt sie sich große Mühe, denn, so erklärt Nassra: "Die Studenten sind sehr kreativ und stellen sehr kluge Fragen. Ich möchte all diese Fragen beantworten können, daher bereite ich mich gut vor."

Sie selbst hat eine außergewöhnlich gute akademische Ausbildung genossen: Ihren Bachelor in Massenkommunikation absolvierte sie an der Muslim University in Morogoro, einer Stadt auf dem Festland Tansanias. Vor zwei Jahren bekam sie die Chance, mithilfe eines Stipendiums an einem einjährigen Masterprogramm in China teilzunehmen. Daraufhin studierte sie Interkulturelle Kommunikation an der Communication University of China in Beijing.

Bildungschancen für Frauen

Nassra Nassor und Lea Vestl (rechts)

Kolleginnen und Freundinnen: Nassra Nassor und Lea Vestl

Doch der Weg dahin war lang: Nassra musste um ihre Bildungschancen kämpfen. Als ihre Mutter 2001 starb, war sie als Zweitjüngste von insgesamt zwölf Geschwistern allein für die Erziehung ihres kleinen Bruders verantwortlich. Da sie außerdem den Haushalt führen musste, blieb ihr keine Zeit, um zu studieren. Daher riet sie ihrem Vater, nochmals zu heiraten. Er folgte ihrem Ratschlag. Somit hat Nassra es ihrem Selbstbewusstsein zu verdanken, nun als eigenständige Frau mit zwei Jobs ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Verheiratet ist sie nicht.

Immer mehr Frauen auf Sansibar genießen eine akademische Ausbildung und ergreifen einen Beruf. Doch vor allem Frauen, die den ärmeren Bevölkerungsschichten angehören, sind auch heutzutage auf eine Heirat angewiesen. Nassra ist für mich nicht nur eine kompetente Kollegin und zuverlässige Freundin; ich bewundere sie als ein vorbildliches Beispiel für die Emanzipation muslimischer Frauen in einem der ärmsten Länder der Welt. Als ich ihr bei unserem ersten Treffen von meiner bisherigen Arbeitserfahrung erzähle, meint sie: "Von dir kann ich viel lernen." Ich lächele und sage: "Ich bin mir sicher, dass ich von dir auch viel lernen kann." Damit sollte ich Recht behalten.


Lea Verstls fertige Dokumentation über Fischerei in Sansibar können Sie sich auf YouTube anschauen.

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