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Debatte um den Stellenwert der Generationen

18. Juni 2021

Jung oder Alt: Wer lenkt die Geschicke des Globus? Das Kultursymposium Weimar des Goethe-Instituts stellte die große Frage nach den Generationen.

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Mehrere junge und alte Menschen legen die Hände übereinander
Was verbindet die Menschen einer Generation? Der Frage ging das Kultursymposium Weimar nachBild: Robert Kneschke/Zoonar/picture alliance

Auch das deutsche Kulturinstitut blieb von der Pandemie nicht verschont: Denn normalerweise findet das Kultursymposium Weimar seit 2017 alle zwei Jahre in der Stadt Goethes statt - als inzwischen bewährtes Debattenformat für Künstler, Wissenschaftler und Denker aus allen Winkeln des Globus. Ob mit der Vernetzung der Welt (2017) oder der digitalen Zeitenwende (2019) - bisher traf das Symposium mit der Idee ins Schwarze, die Fragen der Zeit zu stellen und Argumente von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Auch dieses Jahr, beim Blick auf das Verhältnis der Generationen. Dass es - pandemiebedingt - eine digitale Ausgabe wurde, als Livestream auf YouTube übertragen, das hat der Veranstaltung nicht geschadet.

Eine alte und eine junge Frau beugen sich am Herd über Kochtöpfe
Alte und Junge kochen an derselben ZukunftBild: Caro Hoene

Was zeichnet meine Generation aus - in meinem Land, meiner Region? Wozu stehe ich, was lehne ich ab? Zur Einstimmung hatte das Goethe-Institut Kreative aus aller Welt gebeten, eine Kiste mit Dingen zu füllen, die etwas über ihre Generation aussagt. Vor laufender Kamera sollten sie alles wieder auspacken und erzählen. Viel zu sagen hatten die taiwanesische YouTuberin Jia-Hui Li (Peggy Lee), die litauische Geek-Vloggerin Agnė Juškėnaitė und der britische Spielzeugsammler Tim Rowett.

Welche Chancen haben die Jungen?

Beeindruckend aber, mit welcher Wucht der kolumbianische Polit-Journalist Juan Carlos Rincón Escalante, dem auf seinen YouTube- und TikTok-Kanälen eine Million Menschen folgen, mit der Riege seiner Eltern abrechnete: "Für meine Generation ist Gewalt die Norm", sagte Rincón und ratterte in Minutenschnelle die blutige, von Militärdiktatur, Drogenkartellen und Rebellentum geprägte Geschichte des mittelamerikanischen Landes herunter. Es klang fast wie ein Rap, doch eine Frage ließ er unausgesprochen: Welche Chancen haben da die Jungen?

Ranga Yogeshwar in nachdenklicher Pose bei der PhilCologne 2013
Ranga Yogeshwar (hier im Jahr 2013) sprach von einer "Maschinengeneration"Bild: Claudia Ast/ Ralf Juergens

Generationengerechtigkeit, Verantwortung für Ressourcen und fürs Klima, Bildung und vor allem: für das Glück der anderen - das waren die wiederkehrenden Stichworte des zweitägigen, virtuellen Treffens, zu dem das Goethe-Institut als besondere Gäste die Verhaltensforscherin Jane Goodall, die Soziologin und Sexualtherapeutin Ruth Westheimer und den Historiker und Aktivisten Rutger Bregman eingeladen hatte. Und wieder mal zeigte sich, aus welchem riesigen Netzwerk das Institut dabei schöpfen kann.

Aber gibt es Generationen wirklich? Was verbindet die Menschen einer Generation? Oder lösen sich die Generationen zunehmend auf? Dem US-amerikanischen Glücksforscher Robert Waldinger zufolge speisen Menschen ihr Lebensgefühl aus zwei Faktoren – ihren Erlebnissen im Lebensrhythmus und ihrer Entfernung vom Tod. "In meinen 20ern sehe ich die Welt ganz anders als in meinen 70ern", sagte Waldinger, der an der Harvard Medical School eine Langzeitstudie zur Zufriedenheit von Erwachsenen betreut, "das geschieht mit jedem. Aber die Prioritäten verändern sich, wenn der Tod näher rückt."

Der Einfluss der Technik

Der deutsche Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar skizzierte den Einfluss von Technik auf die Generationen. "Wir durchleben eine Ära der disruptiven Innovationen", konstatierte der 62-Jährige und verwies auf die "unglaublichen Techniksprünge" der jüngsten Zeit, die eine "Maschinengeneration" hervorgebracht hätten. "Zum ersten Mal in der Geschichte sehen wir, dass der Fortschritt sich schneller entwickelt als die menschlichen Generationen."

Früher habe man die Alten wegen ihrer Erfahrung geschätzt. "Heute ist diese Struktur auf den Kopf gestellt", so Yogeshwar. Die neuen Technologien seien eher Sache der Jungen. "Wir werden schneller alt. Viele Menschen geben auf, Schritt zu halten: Das Internet, die sozialen Medien, künstliche Intelligenz, all das macht ihnen Angst." Die Technik verändere Generationen. Das sei, so Yogeshwar, ein globales Phänomen.

Junge Menschen an die Macht?

Die nigerianische Aktivistin Maryam Laushi im blauen Kleid mit Hut
Sprach von den jungen Generation ihrer Landsleute - die nigerianische Aktivistin Maryam LaushiBild: Oocharles Photography/Maryam Laushi

Die Babyboomer-Generation liest noch Bücher, die jüngeren nicht mehr. Ist es also Zeit für einen Generationswechsel? "Ja", betonte Maryam Laushi. Die nigerianische Aktivistin gehört zu den Gründerinnen der "Not Too Young To Run-Bewegung", die sich für eine Senkung der Altersbeschränkung bei der Kandidatur für politische Ämter in Nigeria einsetzt. "Die junge Generation der Nigerianer ist stärker mit der Welt verbunden als jede Generation davor", konstatierte sie, "aber diese Generation muss auch ihren Platz finden in der Gestaltung unserer Zukunft."

Mehr als 40 Prozent der Nigerianer seien unter 25 Jahre alt, rechnete sie vor. "Die Älteren sind zahlenmäßig unterlegen, aber immer noch an der Macht." Der Bürgerkrieg habe das Denken der Alten geformt, was für die Millennials, die Generation Z, aber nicht mehr funktioniere. So sei etwa Twitter im Land verboten. "Wir möchten Leute an den Schaltstellen der Macht, die unseren Kontext in der heutigen Welt verstehen", so Laushi.

Tableau von Menschen unterschiedlicher Generationen
Sollten Menschen verschiedener Generation sich mehr austauschen?Bild: Robert Kneschke/Zoonar/picture alliance

Wer auch immer die Zukunft bestimmt: Alt und Jung werden sich austauschen müssen, wie Stimmen aus verschiedenen Ländern in Videostatements sagten. "Für ein gutes Zusammenleben zwischen der älteren und der jüngeren Generation ist es wichtig zuzuhören", meint etwa Becky Malaat, eine 18-jährige Studentin aus dem Südsudan, "so entsteht eine Atmosphäre, in der alle existieren und sich äußern können, ohne sich ausgegrenzt zu fühlen." Allan Odhiambo Wesonga, ein Mechaniker aus Kenia, schlägt vor, Jung und Alt sollten voneinander lernen: "Das ist klug, denn sie wissen Dinge, die wir nicht wissen. Und wir wissen Dinge, die sie nicht wissen." Die 67-jährige Deutsche Angelika Mattke bekräftigte: "Für mich ist der Kontakt zu Jungen ganz wichtig. Da kann ich viel lernen. Der Rest ist Stillstand."

Das Generationenthema, soviel ist sicher, wird auch künftige Generationen beschäftigen. In den Wirren der Napoleonischen Kriege um 1800 schlüpfte Goethe einst in das Gewand des weisen Sehers Bakis. In Form verschlüsselter Weissagungen regte er seine Zeitgenossen an, über allgemeine Fragen des Lebens nachzudenken. Goethe dichtete, was auch für das Kultursymposium Weimar passen könnte: "Seltsam ist des Propheten Lied, doppelt seltsam, was geschieht."