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San Sebastián: "Zusammenleben"

Barbara Wesel, z.Zt. San Sebastián24. Januar 2016

Die baskische Stadt zwischen Bergen und Meer widmet ihr Jahr als Europäische Kulturhauptstadt dem Miteinander ihrer Bewohner: Mit Kunst gegen die Wunden des ETA-Terrors. Aus San Sebastián Barbara Wesel.

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Trommler in San Sebastián, Kulturhauptstadt, 23.01.2016 (Foto: DW/B. Wesel)
Bild: DW/B.Wesel

Die Brücke Maria Cristina, die Altstadt und Innenstadt von San Sebastián verbindet, gibt die Kulisse für die offizielle Eröffnungsfeier. Der Vollmond erleuchtet am Abend die Promenaden entlang des Flusses Urumea und Zigtausende Einwohner versammelen sich an beiden Ufern. Bei frühlingsmilder Luft kann es keine bessere Zeit und keinen schöneren Ort für ein großes Fest in der Europäischen Kulturhauptstadt 2016 geben.

Als dann die Laser-Akrobatik-Schattenspiel-Show von Hansel Cereza beginnt, stellt sich allerdings nach einer halben Stunde etwas Enttäuschung ein. Manche Effekte sind aus hundert Metern Entfernung kaum noch sichtbar und das Konzept zu symbolisch. Cereza gehört zu den Gründern der Performance-Truppe Fura dels Baus und will mit seiner Aufführung den Bürgern Gelegenheit geben, eine imaginäre Brücke aus Werten, Absichten und Träumen zu bauen, die sie im Laufe des Jahres dann immer stärker verbinden soll. Die gutwillige Masse beobachtet geduldig, wie ihre Stadtbrücke in wechselnde Lichteffekte getaucht wird. Nach einer dreiviertel Stunde aber gibt es dann doch ein paar Pfiffe und das Ganze endet ohne Schlusseffekt.

Eröffnungsveranstaltung zum Kulturjahr 2016, San Sebastián ist Kulturhauptstadt, 23.01.2016 (Foto: DW/B. Wesel)
Sehr symbolisch: Die Eröffnung des Kulturjahres an der Maria Cristina BrückeBild: DW/B.Wesel

Gemeinsames Kochen ist sozialer Kitt

Schon am Mittag haben sich alle Vereine der Stadt in traditionellen Trachten auf der Concha versammelt, dem muschelförmigen Strand. Auch Gustavo und seine Freunde sind dabei, eine Gruppe junger und älterer Männer. Ihre Vorbereitungen haben sie in einer Seitenstraße der Altstadt begonnen, vor ihrer Asociación Gastronomica, der Vereinigung für Esskultur. Alle sind als Köche gekleidet, mit weißer Jacke, Hose und Kochmütze, und tragen eine Trommel. Der Kochverein Amaikak-Bat wurde 1907 gegründet und gehört damit zu den traditionsreichsten der Stadt. Sie treffen sich jede Woche zum gemeinsamen Kochen, erzählt Gustavo. Allerdings dürfen bei ihnen nur die Männer an die Töpfe, Frauen kommen erst zum gemeinsamen Essen.

"Überhaupt dreht sich alles in San Sebastián ums Essen", erklärt der junge Ingenieur. "Hier im Verein treffen wir unsere Freunde, wir kennen uns seit Jahrzehnten. Das Kochen ist wie Klebstoff, der uns sozial zusammen hält." Allerdings, fügt er hinzu, redeten sie nie über Politik: "Politik ist wie Gift. Selbst wenn ich weiß, dass einige im Verein anders denken als ich - wir sprechen nicht darüber."

Gastronomischer Verein in San Sebastián, Kulturhauptstadt, 23.01.2016 (Foto: DW/B. Wesel)
Der Kochverein bereitet sich auf die Festlichkeiten vorBild: DW/B.Wesel

Gustavo selbst hat einen klare Position: "Ich bin ein Mann der ganzen Welt, das hat mein Großvater schon immer gesagt." Den baskischen Nationalismus hält er für einen Irrweg. "Es gibt noch Nationalisten hier, aber sie sind nicht mehr so laut und stark und vor allem hat die Gewalt aufgehört. Es ist heute ganz anders als vor fünf Jahren." Damals hatte die baskische Separatistenorganisation ETA endgültig die Waffen niedergelegt. Dabei glaubt der Hobbykoch nicht, dass San Sebastián die Workshops und Theateraufführungen, die dieses Jahr auf dem Programm stehen, für den Frieden braucht. "Die Leute wollen nicht wieder in diese Vergangenheit hinabsteigen. Sie kochen lieber zusammen und legen einen Deckel über die Dinge."

Napoleonische Heere aus Tradition

Aus allen Straßen strömen sie jetzt auf den Strand. Rund 140 Vereine hat San Sebastián - neben den Köchen die Traditionsvereine, die in Uniformen aus der napoleonischen Zeit auftreten. Alt und jung marschieren in blauen und roten Uniformröcken, weißen Hosen und den passenden Dreispitzhüten mit ihren Trommeln auf den Strand. Die Frauen in langen Röcken, teils bäuerlich, teils als feine Damen gekleidet, tragen meist die Fahnen der Gruppen.

Die ungewöhnliche Tradition geht auf die französische Einnahme der Stadt zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurück. Angeblich machten sich die Einwohner damals über die Besatzer lustig, indem sie ihre Uniformen nachahmten und auf Fässer trommelten. Heute ist das Ganze eine ernste Sache, Teil des örtlichen Brauchtums, das mit Hingabe gepflegt wird. Das ganze erinnert ein wenig an den Karneval in Köln, bloß ohne Narren.

Köche und napoleonische Heere begrüßen trommelnd das Kulturjahr und zeigen ihren traditionsgebundenen Bürgersinn. Im Hintergrund ziehen ein paar Jogger ihre Strandrunden, Surfer in Neoprenanzügen testen die Wellen - von den Feiernden nehmen sie keine Kenntnis.

Traditionsvereine in San Sebastián, Kulturhauptstadt, 23.01.2016 (Foto: DW/B. Wesel)
Gastronomische und Traditionsvereine am Strand, der ConchaBild: DW/B.Wesel

Pintxos statt ETA

Jorge betreibt einen Laden für lokale Lebensmittel und Wein mitten auf der Ess-Meile der Stadt. Das Kulturhauptstadtjahr soll San Sebastián und seinen Bürgern auch helfen, die Wunden zu heilen, die Jahrzehnte des ETA-Terrors geschlagen haben. Ein therapeutischer Zweck sozusagen. Wie findet er das? Jorge lacht. Das sei doch alles nur für den Tourismus: "Die Zeiten haben sich geändert. Es gibt keine politischen Probleme mehr und wir sind eine reiche Stadt. Die Leute essen und trinken und treffen ihre Freunde".

Aus dieser Geselligkeit hat sich die Kultur der Pintxos entwickelt, der Häppchen auf Brot oder am Spieß, die sich aus einfachen Anfängen zu einer Delikatesse entwickelt haben. Alle Bars in San Sebastián bieten sie an, man steht an der Theke, redet mit seinen Freunden, trinkt ein Glas und isst Pintxos. Eigentlich eine Luxusform von Tapas zum Aperitif, sind sie heute so vielfältig, dass sie eine Mahlzeit ersetzen können.

Natürlich kennt auch Jorge Leute, sie früher der ETA nahe standen. Es ist eine kleine Stadt, hier kennt jeder jeden. "Da drüben kommt jeden Tag einer, der da seinen Kaffee trinkt", zeigt er auf die Kneipe gegenüber. Aber man lässt sich in Ruhe. "Mein Vater hatte früher auch ein Geschäft und er hatte Probleme mit der ETA". "Probleme" waren wohl Drohungen und Schutzgelderpressung - an dem Punkt wird Jorge plötzlich vorsichtig. Heute aber meint er, "ist alles vergeben".

Pintxo-Bar in San Sebastián, der Kulturhauptstadt, 23.01.2016 (Foto: DW/B. Wesel)
Köstlichkeiten in einer Pintxo-Bar in San SebastiánBild: DW/B.Wesel

Kulinarische Kunst

"San Sebastián ist eine der wichtigsten Städte weltweit für die Gastronomie", sagt Cristina de la Fuente, schließlich hat die Stadt mehr Sterne-Restaurants als jede andere in Spanien. Cristina betreibt eine Galerie auf der anderen Seite des Flusses, wo die Kulturszene zu Hause ist. Folgerichtig zeigt sie in ihrer Galerie Malerei, Graphik und Fotographie zum Thema Essen. "Es ist das gemeinsame Essen, das die Leute hier zusammenbringt."

Cristina findet es wichtig, dass man sich fünf Jahre nach dem Ende des Terrors darauf konzentriert, wie man gemeinsam weitermachen will. "Sonst wird das alles verdrängt und in der Erde begraben. Es ist eben nicht alles vergeben. Ich hoffe, das Kulturjahr kann dabei helfen - aber ich glaube nicht richtig daran." Trotzdem freut sie sich, dass sie ihre baskischen Künstler durch das Medieninteresse jetzt auch international präsentieren kann. In Spanien hätten sie keine Chance auf Anerkennung.

Cristina de la Fuente in San Sebastián, der Kulturhauptstadt, 23.01.2016 (Foto: DW/B. Wesel)
Cristina de la Fuente in ihrer GalerieBild: DW/B.Wesel

Miteinander statt Marketing

Positiver sieht das der Cheforganisator des Europäischen Kulturjahres, Pablo Berástegui. Sein Programm wolle eine psycho-soziale Aufgabe erfüllen und das sei "ein innovativer Ansatz": Keine großen Namen, keine spektakulären Ereignisse - davon bräuchten die Leute nicht noch mehr. San Sebastián hat mit einem Filmfestival und einem Jazzfest bereits zwei international bekannte Kulturevents. Stattdessen: Gemeinsame Aktivitäten und Veranstaltungen, damit die Menschen sich "wieder in die Augen sehen können".

Aber warum ist so wenig davon zu sehen in der Stadt, keine Fahnen, Poster oder aufsehenerregenden Bauten, keine Werbung für die Kulturhauptstadt? "Ich glaube, es ist bescheiden und elegant", sagt Pablo. Und: "Es geht hier nicht um Marketing." Der Kulturmanager hofft: "Die Idee wird im Laufe dieses Jahres wachsen."