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Kroatiens Suche nach Stabilität

Anto Jankovic9. September 2016

Nach zehn Monaten wird in Kroatien ein neues Parlament gewählt. Den Sturz der Regierung hatte die stärkste Regierungspartei herbeigeführt. Doch die Bildung einer Mehrheit wird erneut schwer - für beide großen Parteien.

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Wahlampf in Kroatien - Wahlkampfplakat der HDZ mit dem Spitzenkandidaten Andrej Plenkovic (Foto: Getty Images/AFP/Stringer)
Wahlampf in Kroatien - Wahlkampfplakat der HDZ mit dem Spitzenkandidaten Andrej PlenkovicBild: Getty Images/AFP/Stringer

Es war schon ein sonderbarer Vorgang in Kroatien Mitte Juni: Die Mitte-Rechts-Regierung des parteilosen Tihomir Orešković wurde von der eigenen Regierungsmehrheit durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Der Vorsitzende der größeren Regierungspartei, der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ), Tomislav Karamarko, wollte eine neue Mehrheit im Parlament bilden und selbst Regierungschef werden. Doch der Schuss ging nach hinten los. Die erhoffte Bildung einer neuen Mehrheit im Parlament erwies sich als aussichtsloses Unterfangen. Es blieben nur die Neuwahlen als Ausweg aus der selbstgemachten Regierungskrise, und Karamarko musste als Parteivorsitzender der HDZ zurücktreten.

Seiner Partei wird das allerdings laut Umfragen nicht viel helfen. In seltener Übereinstimmung prognostizieren kroatische Meinungsforschungsinstitute, dass auch die Neuwahl andiesem Sonntag keine leichte Mehrheitsbildung nach sich ziehen wird. Die beiden großen Blöcke, die konservative HDZ mit dem kleinen sozial-liberalen Partner HSLS auf der einen Seite und die von den Sozialdemokraten (SDP) angeführte links-liberale Koalition auf der anderen, dürften jeweils um die 30 Prozent der Stimmen bekommen. Für eine Regierungsbildung wird das aber nicht reichen.

Gedränge in der Mitte

Die HDZ hat sich inzwischen von den rechten Kleinparteien getrennt, mit denen sie bei der letzten Wahl koalierte. Und der erst Mitte Juli gewählte neue Vorsitzende Andrej Plenković präsentiert sich als ein Mann der Mitte und tritt ruhig auf. Soweit man den Umfragen glauben kann, konnte er damit aber bei den Wählern nicht wirklich punkten. Denn nicht nur die konservative HDZ - auch die Koalition um die Sozialdemokratische Partei - hat sich mehr zur Mitte hin bewegt. Der SDP-Vorsitzende Zoran Milanović hat der HDZ einen kleinen Koalitionspartner ausgespannt, die Kroatische Bauernpartei (HSS). Die HSS hat vor zehn Monaten mit der HDZ koaliert, ist genauso wie die HDZ Mitglied in der Europäischen Volkspartei, tritt aber jetzt zur Wahl mit dem links-liberalen Bündnis an.

Sozialdemokratischer Spitzenkandidat Zoran Milanović (Foto: Reuters/A. Bronic)
Will zurück an die Macht - Sozialdemokratischer Spitzenkandidat Zoran MilanovićBild: Reuters/A. Bronic

Beide großen Parteien versprechen mehr ausländische Investitionen, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und eine Senkung der Arbeitslosigkeit, die zurzeit rund 14 Prozent beträgt. Doch nur wenige Bürger glauben daran, dass ihnen das gelingen wird - solche Versprechen gab es auch in der Vergangenheit. Gebracht haben sie allerdings nur wenig.

Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südeuropäische Studien an der Karl Franzens Universität Graz, sieht kaum einen Unterschied zwischen der SDP und der HDZ, was das Programm angeht.

Schwierige Mehrheitsbildung

Zur Mehrheitsbildung wird laut Umfragen sowohl die HDZ als auch das SDP-Bündnis einen oder mehrere Partner brauchen. Doch diese Suche dürfte schwer sein, obwohl in das Parlament noch fünf kleinere Parteien oder Bündnisse einziehen könnten. Die stärkste von ihnen ist "Most" (Die Brücke), Junior-Partner in der jetzigen Regierung - eine lose Ansammlung erfolgreicher Politiker auf lokaler Ebene. Nach der turbulenten Trennung von mehreren linken Mitgliedern ist "Most" heute eher konservativ, regieren mit ihr wird aber für jeden außerordentlich schwierig sein.

Der Anführer der Partei, Božo Petrov, will keine richtige Koalition eingehen, möchte ohne Koalitionsvertrag regieren und nur solange die Entscheidungen den Vorstellungen von "Most" entsprechen. Viele Wähler sehen die Partei nicht als Reformpartei. Das spiegelt sich auch in den Umfragen wieder: "Most" kann zurzeit nur noch mit der Hälfte der Stimmen im Vergleich zur letzten Wahl rechnen. Als Zünglein an der Waage würde sie so weder der HDZ noch der SDP reichen.

Antonija Petričušić, Soziologin von der Juristischen Fakultät in Zagreb, sagt, dass viele Wähler enttäuscht seien von den etablierten Parteien. Viele der Stimmen dieser Wechselwähler könnte die Partei "Živi zid" (Lebende Mauer) für sich verbuchen, eine anarchistisch-solidarische junge Partei, die sich als Stimme der Entrechteten versteht. Sie hat sich durch (meistens erfolglose) Aktionen gegen Zwangsräumung der überschuldeten Bürger aus Wohnungen und Häusern hervorgetan. Allerdings macht "Živi zid" die beiden großen Parteien gleichermaßen für das wirtschaftliche und soziale Elend in Kroatien verantwortlich. Eine Koalition mit ihnen ist für sie daher kaum vorstellbar.

Schweres Erbe

Wer immer die Mehrheit im nächsten kroatischen Parlament erreicht, wird ein schweres Erbe antreten. Die Wirtschaft wächst zwar stärker als erwartet: 2,8 Prozent im zweiten Quartal 2016 im Vergleich zum gleichen Vorjahresquartal. Auch die Einnahmen im Tourismus brechen alle Rekorde, nicht zuletzt aufgrund der Krisen in der Türkei und der arabischen Welt. Gleichzeitig muss Kroatien aber im nächsten Jahr rund vier Milliarden Euro Schulden zurückzahlen. Das ist etwa doppelt so viel wie dieses Jahr, etwa ein Viertel des Staatshaushalts. Perspektivlosigkeit treibt inzwischen viele junge und gut ausgebildete Menschen zum Auswandern.

Kroatiens Hauptstadt Zagreb (Foto: Marijan Murat +++(c) dpa - Report)
Die Menschen in Kroatien wollen konkrete Lösungen für konkrete ProblemeBild: picture-alliance/dpa

Die neue Regierung wird sich auch intensiv um eine Verbesserung der Beziehungen zu den Nachbarn bemühen müssen. Die ohnehin belasteten Beziehungen zu Serbien und Bosnien-Herzegowina hat der SDP-Vorsitzende Milanović zusätzlich vergiftet: Serbien bezeichnete er als "einen Haufen Elend" und Bosnien-Herzegowina nannte er "big shit". Dabei könnte sich eine gute Zusammenarbeit mit den Nachbarn als sehr wichtig erweisen, nicht zuletzt falls die Zahl der Flüchtlinge entlang der Balkanroute wieder erheblich zunehmen sollte.