1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kritik an Schröders Prinzip des "Wandel durch Handel"

Sonia Phalnikar4. Mai 2005

Die Auslandsreisen von Gerhard Schröder dienen meist dem Abschluss spektakulärer Wirtschaftsdeals. Für Kritiker hat diese Reiselust jedoch einen Schönheitsfehler: Menschenrechtsfragen stehen nur selten auf seiner Agenda.

https://p.dw.com/p/6bBX
Leise Töne des Kanzler in ChinaBild: AP

Wenn Gerhard Schröder nach Moskau, Peking oder wie an diesem Mittwoch (4.5.2005) nach Ankara reist, hat er vor allem eines im Sinn: Er will wirtschaftliche Beziehungen vertiefen und millionenschwere Aufträge für die heimische Wirtschaft an Land ziehen.

Die großen Wirtschaftsreisen des Kanzlers provozieren dabei gleichermaßen Lob wie Tadel. Sie versetzen Unternehmen in regelrechte Verzückung, die nach lukrativen ausländischen Märkten schielen. Harsche Kritik kommt hingegen aus dem Lager der Menschenrechtsgruppen.

Den Kritikern geht es dabei weniger um das, was auf Schröders Reiseagenda steht als um das, was der Kanzler gerne auszusparen pflegt. Seine Außenpolitik ist nämlich vor allem von wirtschaftlichen Interessen geprägt und daher vermeidet es der Kanzler, das Thema Menschenrechte anzusprechen, um seine potentiellen Kooperationspartner nicht vor den Kopf zu stoßen.

"Kein fundamentaler Wechsel in Chinas Menschenrechtspolitik"

Bundeskanzler Schröder in China
Eine Reise ganz nach Kanzlers Gusto: Schröder kurz nach der Eröffnung des VW-Werks Changchun II im Dezember 2004.Bild: dpa

Beispiel China: Obwohl sich die Regierung Schröder kritisch mit der chinesischen Menschenrechtspolitik auseinander gesetzt hat, schien ausgerechnet der Kanzler während seiner letzten China-Reise die chinesische Regierung gegen Anschuldigungen aus Deutschland zu verteidigen - eine Reise, auf der deutsche Unternehmen 23 Airbus-Flugzeuge, 180 Drehstrohm-Lokomotiven und diverse Kraftwerke absetzen konnten.

Was den Menschenrechtsgruppen noch weniger geschmeckt haben dürfte, ist die jüngst gehaltene Bundestagsrede des Kanzlers, in der er sich für eine Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber China stark gemacht hat. Das Embargo war von der EU nach der brutalen Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz 1989 verhängt worden. Der Kanzler verteidigte seine Haltung mit dem Worten: "Das China von heute ist nicht mehr das China von 1989".

Das sieht freilich nicht jeder so. Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, hält Schröders Standpunkt für unbegreiflich. "Es gibt keinen fundamentalen Wechsel in der chinesischen Menschenrechtspolitik. Tatsächlich ist die Todesstrafe häufiger angewendet worden", sagt sie. Laut Amnesty ist die Zahl der von Peking angeordneten Hinrichtungen von 726 im Jahr 2003 auf 3400 im Jahr 2004 hochgeschnellt.

Lochbihler betont, dass Schröder gerne auf die deutsch-chinesischen Konsultationen verweist, um den kritischen Umgang Deutschlands mit China zu dokumentieren. "Sobald man ihn aber nach deren Ergebnissen fragt, gibt sich der Kanzler wortkarg", so Lochbihler. "Es liegt noch ein langer Weg vor uns. Schröder muss in Sachen Menschenrechten aktiver werden und mit den Chinesen verhandeln. Was das Waffenembargo betrifft, muss er einen neuen Dialog mit Peking aufnehmen, der einen klaren Fokus hat und auch die richtige Kritik beinhaltet", fordert Lochbihler.

Zu moskaufreundlich?

Gerhard Schröder umarmt Wladimir Putin
Innige Freundschaft: Kanzler Schröder und Russlands Präsident Putin in Jekaterinburg im Herbst 2003.Bild: dpa

Eine auffällige Zurückhaltung in Menschenrechtsfragen wird Schröder auch in Bezug auf seine Haltung gegenüber Russland vorgeworfen. Russland zählt zu den bevorzugten Reisezielen des Kanzlers, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau boomen ebenso wie die persönlichen zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin. Wie sehr sich der Bundeskanzler dagegen sträubt, seinen russischen Duzfreund Wladimir öffentlich zu kritisieren, wurde besonders während der kontroversen Präsidentenwahlen in der Ukraine vergangenen Herbst deutlich. Nicht wenige vermuteten, dass die Strippenzieher der offensichtlich zu Gunsten des moskautreuen Wiktor Janukowitsch manipulierten Wahlen im Kreml saßen.

Für Schröder ist Putin nicht weniger als ein "lupenreiner Demokrat". Kritik an den Ereignissen in der Ukraine ließ Schröder nur per Telefonat laut werden. In einer etwas verschwommenen Rede im Bundestag zum selben Thema vermied es der Kanzler sorgfältig, Moskau direkt zu verurteilen. Schon bei der kontroversen Präsidentenwahl in Tschetschenien hatte sich Schröder ähnlich diplomatisch verhalten und behauptet, eine "empfindliche Störung der Wahl nicht feststellen" zu können.

Auch die Anwälte des russischen Ölmagnaten Michail Chodorkowski, dessen Verhaftung und Prozess als politisch motiviert gilt, warfen Schröder vor, er würde Putins Politik schönfärben.

Für Lochbihler ist Schröders Haltung gegenüber Russland ein Ärgernis: "Schröder sagt, Putin habe große Achtung vor dem Gesetz, während die russische Armee unter ihm erhebliche Menschenrechtsverletzungen begeht", sagt sie. "Er sollte seine guten Beziehungen zu Putin nutzen, um ihn zu überzeugen, seine Armee zu kontrollieren und Menschenrechte einzuhalten."

Kritik aus den eigenen Reihen

Doch nicht nur Menschenrechtsgruppen zeigen sich besorgt angesichts von Schröders Neigung, großzügig über Demokratiedefizite und Rechtsmissbrauch hinwegzusehen, sobald eine wirtschaftliche Belohnung winkt. Auch Mitglieder seiner eigenen Partei und der seines grünen Koalitionspartners zeigen sich bisweilen höchst unzufrieden mit dem von Schröder favorisierten Prinzip "Markt vor Moral". Der grüne Außenminister Joschka Fischer macht kein Geheimnis daraus, dass der Kanzler und er in Bezug auf die Artikulation von Menschenrechtsfragen oftmals unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Im April hat die gemeinsame Eröffnung der Hannover-Messe durch Schröder und Putin im Vorfeld für einigen Unmut gesorgt. Der SPD-Politiker Gernot Erler, Koordinator für deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, bezeichnete es als "protokollarisch problematisch", dass Putin unter anderem mit dem stellvertretenden tschetschenischen Ministerpräsidenten Kadyrow anreisen wollte, dessen Milizen schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Nachdem diese Kritik laut geworden war, hatte Kadyrow auf seine Messereise verzichtet, ohne großes Bedauern in deutschen Regierungskreisen auszulösen. Fernsehbilder, die Schröder Seite an Seite mit einem mutmaßlichen Menschenrechtsverletzer zeigen, hätten das humanitäre Image des Kanzlers sicher nicht aufpoliert. Obwohl in der letzten Zeit verschiedene Mitglieder der Regierungsparteien den Kanzler gedrängt hatten, sich von Putin doch in besonders brenzligen Fragen zu distanzieren, war es vor allem Schröders rücksichtslose Haltung zum Waffenembargo gegenüber China, die bei vielen blankes Entsetzen ausgelöst hat.

"Ich teile die Forderung des Bundeskanzlers nicht, das Waffenembargo aufzuheben", sagt Rolf Mützenich, Außenpolitikexperte der SPD-Bundestagsfraktion. "Die humanitäre Dimension ist eine Sache. Ich sehe aber auch eine grundsätzliche Gefahr darin, China in Zeiten eines wieder belebten Nationalismus' und von Konflikten mit Taiwan und Japan mit Waffen zu beliefern", so Mützenich. Statt sich für eine Aufhebung des Embargos stark zu machen solle sich der Kanzler mehr für den geplanten, verbindlichen EU-"Verhaltenskodex" für Waffenexporte einsetzen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, ob der Wandel durch Handel funktioniert.

Zankapfel Türkei

Diese Kontroversen stehen im eklatanten Widerspruch zu dem Versprechen, mit dem die rot-grüne Regierung 1998 angetreten war, wonach Menschenrechtsfragen zu einem Leitmotiv deutscher Politik werden sollten. Bereits ein Jahr nach der Regierungsübernahme geriet die Koalition im Streit über die geplante Lieferung von Leopard-Panzern an die Türkei in eine erste Glaubwürdigkeitskrise. Menschenrechtsgruppen hatten davor gewarnt, dass Ankara diese Panzer gegen die kurdische Minderheit einsetzen könnte.

Seit sich Gerhard Schröder für einen EU-Beitritt der Türkei engagiert, wird die Haltung der Bundesregierung gegenüber den Menschenrechten in der Türkei als zu großzügig kritisiert. Im Herbst 2004 hat der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen für seine wohlwollende Äußerung, in der Türkei existiere keine "systematische Folter" mehr, harsche Kritik auf sich gezogen. Provozierte er doch damit die Frage, ob denn gelegentliche Folter vertretbar sei.

Auch die CDU kritisiert die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung, insbesondere Schröders zahme Haltung gegenüber Russland. Schröder muss sich von Seiten der Union den Vorwurf gefallen lassen, seine Außenpolitik sei opportunistisch und er in Sachen Menschenrechte ein Leisetreter.

Demokratisierung durch wirtschaftliche Kooperation?

Schröders Kurs, des "Wandel durch Handel", stößt aber auch auf Unterstützung. Demnach bringt die wirtschaftliche Zusammenarbeit Demokratisierungsprozesse eher in Gang als Sanktionen durch politische Isolation.

Alexander Rahr, Experte für deutsch-russische Beziehungen von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, ist der Auffassung, dass Schröders Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland die Stabilität des Landes gestärkt hat.

"Menschenrechtsgruppen haben ja grundsätzlich Recht mit ihrer Kritik an Russland, aber manchmal neigen sie zur Übertreibung", sagt Rahr. "Schröder tut gut daran, die Dinge ins rechte Licht zu rücken und nicht zu einseitig zu beurteilen. Kritik nur um der Kritik willen ist wenig produktiv." Die Beziehung zwischen Putin und Schröder schätzt Rahr als intensiv und pragmatisch genug ein, "dass Schröder in privaten Gesprächen auf sensible Themen zu sprechen kommen kann. Er muss das nicht an die große Glocke hängen".

"Deutschland muss mit einer Stimme sprechen"

Joschka Fischer und Gerhard Schröder
Kanzler Schröder und Außenminister Fischer: In der Außenpolitik nicht immer einer Meinung.Bild: AP

Es gebe keinen empirischen Beweis dafür, dass wirtschaftliches Engagement zu Demokratisierung und Verbesserung der Menschenrechtslage führt, hält Barbara Lochbihler von Amnesty International den Verfechtern des Prinzips "Wandel durch Handel" entgegen.

Lochbihler räumt aber ein, dass die Regierung Schröder auf dem Gebiet der Menschenrechte durchaus für einige Verbesserungen gesorgt hat, etwa durch das neu geschaffene Amt des Menschenrechtsbeauftragten oder durch die Gründung des unabhängigen Instituts für Menschenrechte. "Aber die Bundesregierung wendet humanitäre Kriterien äußerst selektiv an."

Lohbihler fordert, Deutschland müsse beim Thema Menschenrechte mit einer Stimme sprechen. "Wir haben einen grünen Außenminister, der auf seinen Reisen sehr eloquent und deutlich Fragen der Menschenrechte anspricht, während der Kanzler eher zur 'Geheimdiplomatie' neigt", sagt Lochbihler. "Diese Art von Arbeitsteilung läuft der angekündigten Idee von Menschenrechten zuwider."