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Roselieb: "Inoffiziell fließt häufig Geld"

Christoph Ricking7. Februar 2013

In Kolumbien sind zwei Deutsche entführt worden. Nun beginnt die Arbeit des Krisenstabes im Auswärtigen Amt. Krisenforscher Frank Roselieb erklärt im Interview, wie die Verhandlungen mit den Geiselnehmern ablaufen.

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Der Krisenforscher Frank Roselieb, der Leiter des Instituts für Krisenforschung in Kiel (Foto: Carsten Rehder/dpa)
Krisenforscher Frank RoseliebBild: picture-alliance/dpa

DW: Was bezweckt die kolumbianische Guerillagruppe Nationale Befreiungsarmee (ELN) mit der Entführung der beiden Deutschen?

Frank Roselieb: Wir unterscheiden immer drei Varianten von Entführungen. Das eine sind die Blitzentführungen, da möchten die Entführer schnell an Geld kommen. Sie entführen direkt Kunden an Geldautomaten und zwingen sie mit vorgehaltener Pistole, einige tausend Dollar vom Bankkonto abzuheben. Gerade in Mittelamerika kommt so etwas häufig vor. Das ist bei der ELN eher unwahrscheinlich. Die ELN führt üblicherweise professionelle Entführungen durch. Das ist der zweite Typ. Diese Entführungen dauern länger, und es werden auch höhere Preise verlangt. Die dritte Variante, die tendenziell denkbar wäre - die ich aber in diesem Fall für unwahrscheinlich halte - wäre die Racheentführung. Dabei wollen sich die Entführer für irgendwelche anderen Vorfälle an den Geiseln rächen. Mir ist aber kein Vorfall in Kolumbien bekannt, warum man sich an Deutschen rächen wollen würde. Darum würde ich eine professionelle Entführung für wahrscheinlich halten.

Wie geht man dann mit den Entführern um?

Es ist üblich, dass in solchen Regionen wie Kolumbien Unterhändler eingeschaltet werden. Betroffene Unternehmen oder in diesem Falle die Bundesregierung verhandeln nicht direkt mit den Entführern. Die Unterhändler sind Leute, denen man vertraut, die aber auch gute Kontakte zu den Entführern haben. Und die werden dann versuchen, den Preis zu drücken. Die Entführer fordern in der Regel einen Betrag im Bereich von etwa fünf Millionen Dollar pro Person. Das wird dann in der Regel auf eine Summe von ein bis drei Millionen heruntergehandelt.

Es fließt also in der Regel Geld an die Entführer?

Natürlich gilt offiziell immer die Sprachregelung, dass kein Geld fließt. Ganz egal, ob sie die Bundesregierung oder betroffene Unternehmen fragen - es heißt immer, es wurde kein Geld gezahlt. Inoffiziell macht man es oft schon. Entweder man zahlt Geld oder Naturalien, wie zum Beispiel Treibstoff oder Nahrungsmittel. Es wird zwar nicht immer ein Scheck oder Bargeld übergeben, aber die Entführer kommen indirekt an das Geld meistens heran.

In Kolumbien werden immer wieder Ausländer und auch Deutsche entführt. Wie gefährlich ist das Land?

Es gibt drei Länder, die für Entführungen besonders prädestiniert sind: die Philippinen, Kolumbien und Mexiko. Da sind natürlich die Europäer sehr beliebt, ganz egal, ob das Deutsche, Schweizer oder Franzosen sind. Dabei handelt es sich entweder um wohlhabende Touristen oder Mitarbeiter von Unternehmen. Bei ihnen weiß man, dass dahinter Geld steckt. Meistens sind diese Kidnappings in Kolumbien Zufall. Die Entführer wissen, wo sie auf Touristen oder auf Geschäftsleute warten müssen. Und dann schnappen sie sich den nächstbesten, den sie kriegen. Ich glaube, dass man es in diesem Fall nicht speziell auf Deutsche abgesehen hatte.

Foto der Internetseite eln-voces.com der kolumbianischen Geurillagruppe ELN am 04.02.2013 (Foto: wa)
Die ELN hat sich im Internet zur Entführung der Deutschen bekanntBild: DW/Walz

Wie ergeht es Geiseln solcher Guerillagruppen während ihrer Gefangenschaft?

Wenn die Geiseln Personen sind, die schon länger im Land und an das Klima gewöhnt sind, werden sie die Geiselhaft zwar nicht als angenehm, aber zumindest als erträglich erleben. Für Personen, die weder an das Klima noch an das Leben im Dschungel gewöhnt sind, ist es sehr unangenehm. Im Regelfall haben die Geiselnehmer natürlich ein Interesse daran, die Geisel am Leben zu halten. Das ist ihr Pfand - und es ist auch eine Frage der Ehre, dass man die Geisel nicht tötet. In Südamerika ist das anders als in Afrika, wo Geiseln häufiger getötet werden.

Wie kann man sich vor einer Geiselnahme schützen?

Touristen oder Geschäftsleute sollten gefährliche Regionen meiden. Die, die das nicht können, sollten sich an bestimmte Verhaltensregeln halten. Sie sollten zum Beispiel bestimmte Kennwörter vereinbaren, wenn sie von Geschäftspartnern im Hotel abgeholt werden. Sie sollten nicht die klassischen Mietwagen nehmen. Sie sollten auch nicht nach Einbruch der Dunkelheit in einsame Gegenden fahren, sondern sich eher in besiedelten Gegenden aufhalten. Sie sollten am besten immer in Gruppen unterwegs sein, sich nicht allzu europäisch kleiden und keinen Schmuck tragen, denn so wird man als potenzielle Geisel identifizierbar.

Wie sieht die Arbeit im Krisenstab des Auswärtigen Amtes aus?

Das Auswärtige Amt sammelt im Krisenstab alle Informationen und versucht vor Ort über diplomatische Kanäle, Kontakt zu den Entführern aufzunehmen. Man gibt das nicht zu, aber man versucht mit den Geiselnehmern oder mit den Unterhändlern Verhandlungen aufzunehmen. Das ist ein sehr langwieriger Prozess. Solche Krisenstäbe tagen selten kürzer als drei Monate. Das sind relativ kleine Gruppen von Experten, die sich in der Region auskennen, die Informationen sammeln. Das Auswärtige Amt ist in einer Zwischenposition. Es muss den Kontakt zu den Angehörigen in Deutschland halten, denn möglicherweise melden sich die Geiseln hier. Und es muss den Kontakt vor Ort über die Botschaft halten.

Frank Roselieb leitet das Institut für Krisenforschung in Kiel.