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Krise oder Dividende der Demokratie?

10. August 2009

Ihr habt die Finanzkrise nicht verhindern können und wollt uns Demokratie beibringen? So tönt es höhnisch aus manchem Entwicklungsland. Jörg Faust vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik gibt eine Antwort.

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Bild: DW

Ein politischer Kollateralschaden der im Westen verursachten globalen Finanzkrise ist die zunehmende Kritik an demokratischen Gesellschaftsmodellen in den Entwicklungsländern. Parallel hierzu steigt die Zahl derjenigen Politiker in Afrika, Asien oder Lateinamerika, die mit Bewunderung auf eher autoritär geführte Staaten wie China, Singapur oder auch Venezuela blicken. Diese versprächen einen stetigen, verlässlichen und an gesamtwirtschaftlicher Entwicklung orientierten Kurs – im Gegensatz zu zähen, konfliktanfällig, intransparent und überkomplex erscheinenden demokratischen Verfahren.

Doch sind Autokratien tatsächlich für die ökonomische Entwicklung ärmerer Länder geeigneter als Demokratien, wie es etwa der Harvard-Ökonom Andrei Shleifer vermutet? Geben China und Singapur oder gar Venezuela die Blaupausen zur Durchbrechung wirtschaftlicher Entwicklungsbarrieren vor – und nicht mehr Europa oder die USA? Was aber ist dann mit Ländern wie Zimbabwe, Nordkorea oder Ägypten? Auch dort existieren Herrscher, die ihre Machtfülle zum Wohle ihrer Gesellschaften einsetzen könnten, doch deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hat sich lediglich als bescheiden bis desaströs erwiesen.

Demokratische Gesellschaften sind besser entwickelt

Dr. Jörg Faust vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik
Dr. Jörg Faust vom Deutschen Institut für EntwicklungspolitikBild: Dr. Jörg Faust

Vor dem Hintergrund dieser Debatte offenbart der statistische Vergleich einer großen Zahl von Ländern einen robusten Zusammenhang. Gesellschaften, in denen freie und faire Wahlen durchgeführt und Presse- wie Organisationsfreiheit geachtet werden, verfügen im Durchschnitt über ein höheres wirtschaftliches Entwicklungsniveau; egal ob man für letzteres Pro-Kopf-Einkommen, Lebenserwartung oder Bildungsniveau als Indikator verwendet. Doch hieraus folgt noch keine Kausalität. Möglich wäre auch, dass wirtschaftliche Entwicklung das Entstehen demokratischer Strukturen fördert. Diese Vermutung wird durch statistische Untersuchungen zumindest teilweise gestützt. So beeinflusst insbesondere das Bildungsniveau einer Gesellschaft das Demokratieniveau positiv. Höhere Bildung begünstigt demokratischere Einstellungen der Bürger, macht diese immuner gegen populistische Versprechungen von Autokraten und fördert eine unabhängige Zivilgesellschaft.

Ist somit widerlegt, dass Demokratie eine ökonomische Dividende nach sich zieht? Keineswegs. Denn die Wirkungsrichtung ist nicht nur einseitig. Ein Vergleich lateinamerikanischer Staaten offenbart etwa, dass in demokratischeren Ländern dieser Region die staatlichen Bildungs- und Sozialausgaben überproportional angestiegen sind. Der amerikanische Politologe David Lake konnte zudem nachweisen, dass demokratischere Länder autokratischen Ländern bei der Bereitstellung öffentlicher Güter im Bildungs- und Gesundheitsbereich überlegen sind. Demokratischere Entwicklungsländer investieren zum Beispiel stärker in die Primärschulbildung als autokratische; denjenigen Bildungssektor von dem in ärmeren Ländern die breite Masse der Bevölkerung überproportional stark profitiert.

Autoritäre Regime hemmen Innovation und Effizienz

Warum demokratische Strukturen sich positiv auf Indikatoren breitenwirksamer wirtschaftlicher Entwicklung auswirken, hat einen einfachen Grund. Um politisch zu überleben, benötigen Regierungen, ob demokratisch oder autokratisch, immer die Unterstützung gesellschaftlicher Gruppen. Da autoritäre Regierungen breite Bevölkerungsschichten von der politischen Teilhabe ausschließen, hängen sie meist von wenigen, mächtigen Interessengruppen wie dem Militär oder wirtschaftlichen Oligarchien ab. Die Unterstützung dieser mächtigen Akteure muss mit der Vergabe wirtschaftlicher Privilegien erkauft werden. Hingegen wird die politisch ausgeschlossene Mehrheit der Bevölkerung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik autokratischer Regierungen weit weniger berücksichtigt. Auf Dauer vernachlässigt eine solche Privilegienpolitik daher nicht nur breite Teile der Bevölkerung, sondern hemmt auch wirtschaftliche Innovation und Effizienz.

Genau umgekehrt wirken die Anreizsysteme der Demokratie. Zwar versuchen auch in Demokratien gut organisierte Interessengruppen – ob Großindustrie, Gewerkschaften und unzählige Verbände – in ihrem Sinne Einfluss auf die Regierungspolitik zu nehmen. Doch muss die Regierung in ihrer Wirtschaftspolitik immer auch auf das ökonomische Wohlergehen breiter Bevölkerungsschichten achten. Denn um politisch zu überleben, brauchen demokratische Regierungen die Zustimmung umfassender Mehrheiten. Genau deshalb sind sie stärker an gesamtwirtschaftlicher Entwicklung interessiert als autoritäre Regierungen. Insofern fördert die Kombination aus Presse- und Versammlungsfreiheit sowie freien Wahlen einen demokratischen Wettbewerb, der auch egoistische Politiker zu stärkerer Gemeinwohlorientierung zwingt.

Finanzkrise: Ein Produkt der Intransparenz

Bis auf wenige Ausnahmen spricht also vieles für eine Wohlfahrtsdividende der Demokratie und sehr wenig dafür, demokratische Prozesse auf dem Altar gesamtwirtschaftlicher Zielsetzungen zu opfern. Bei genauerer Betrachtung lässt sich denn auch die Finanzkrise zumindest partiell auf Demokratiedefizite zurückführen. In dem Maße, in dem sich die Gestaltung internationaler Finanzmärkte in den letzten Jahren zunehmend transparenten, demokratischen Prozess entzogen hat, wuchs der Einfluss mächtiger Lobbyisten, die aus dem System enorme Privilegien bezogen haben. Die Kosten der Krise hat nun aber die Allgemeinheit zu tragen. Ein starkes Argument dafür, in Zukunft darauf zu achten, die Finanzmarktregulierung wieder in den demokratischen Prozess zu integrieren.

Doch bleibt die Frage offen, warum sich auch seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts immer wieder einige wenige Autokratien den genannten „Gesetzmäßigkeiten“ entzogen haben und ökonomisch so erfolgreich waren bzw. im Falle Chinas immer noch sind?

Lesen Sie am 17.08.2009 in der nächsten Demokratie-Kolumne "Attraktive’ Autokratien?“ von Dr. Jörg Faust, warum dies weniger auf kulturelle Faktoren zurückzuführen ist, sondern vielmehr auf spezielle Organisations- und Anreizmuster, die sich in einigen wenigen Autokratien entwickeln konnten.

Dr. Jörg Faust, Politikwissenschaftler, Abteilungsleiter „Governance, Staatlichkeit, Sicherheit“, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.