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Politik

"Herkunft eines Täters nur Mosaikstein"

2. August 2019

Wann sollte die Polizei die Herkunft eines mutmaßlichen Täters nennen? Darüber wird in Deutschland immer wieder gestritten. Diese Frage werde vollkommen überbewertet, sagt Kriminalwissenschaftler Behr im DW-Interview.

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Symbolbild | Festnahme | Verhaftung | Polizei in Deutschland
Bild: picture-alliance/dpa/imageBROKER

DW: Herr Behr, die Bundespolizei nennt die Herkunft möglicher Straftäter relativ früh und regelmäßig. Die Polizeistellen der Bundesländer verfahren dagegen weitaus zurückhaltender. Woran liegt das?

Rafael Behr: In der Regel hat die Bundespolizei mehr mit Fragen des Grenzübertritts zu tun. Da entscheidet sich schon manchmal eine Frage danach, welche Nationalität ein Verdächtiger hat. Ob er zum Beispiel einreisen darf oder nicht. Die Landeskriminalämter bearbeiten die allgemeine Kriminalität. Wenn wir über allgemeine Kriminalität reden, dann wissen wir, dass Nationalität oder ethnische Herkunft ein ganz schwacher Faktor ist. Vieles lässt sich überhaupt nicht durch ethnische Zugehörigkeit erklären. Es gibt Ausnahmen. Aber in der Regel sind Straftaten, die im Strafgesetzbuch verortet sind, nicht besonders ausgewiesen durch eine besondere Nationalität.

Welche Ausnahmen wären das?

Bestimmte kulturspezifische Männlichkeit-Formen, die Gewalt implizieren.

Sie meinen die sogenannten Ehrenmorde?

Deutschland Professor Dr. Behr
Der Kriminalwissenschaftler Rafael BehrBild: Polizei Hamburg

Genau. Und die zum Beispiel von Familienmitgliedern eingefordert werden, wenn sich jemand gegen deren Normen verhält. Dabei gibt es tatsächlich eine Art kulturelle Dimension. Es gibt auch bestimmte Aggressionen fördernde Verhaltensweisen junger Männer, die aus anderen Kulturen kommen und von denen man sagen kann, dass sie in einer anderen Erfahrung leben. Wie man sich zum Beispiel in der Öffentlichkeit gegenüber Frauen verhält.

Aber die meisten Delikte, die von sogenannten Migranten begangen werden, werden mindestens sechs Monate, nachdem sie hier sind begangen. Die kulturspezifische Unkenntnis des deutschen Regelwesens fällt bei der Mehrheit der Delikte flach. Meistens können wir davon ausgehen, dass die Straftäter schon so lange in Deutschland sind, dass sie auch die deutschen Normen kennen. Und dann ist der Migrationshintergrund oder der ethnische Hintergrund immer nur ein ganz kleiner Mosaikstein im Gesamtgefüge.

Spektakuläre Verbrechen sind nicht repräsentativ für die tatsächliche Kriminalitätsentwicklung. Sie stehen aber regelmäßig im Fokus des öffentlichen Interesses. Wie die Kölner Silvesternacht im Jahr 2015, bei der rund 600 Frauen Opfer sexueller Übergriffe wurden. Die Polizei gab die nordafrikanische Herkunft der Verdächtigen nur zögernd bekannt und wurde deswegen heftig kritisiert. Wie bewerten Sie die Folgen dieses Ereignisses?

Die Polizei reagiert auf politische und auch öffentliche Stimmungen. Die Zurückhaltung der Nennung von Herkunftsländern der mutmaßlichen Täter wurde der Polizei damals als Vertuschung ausgelegt. Daraufhin hat sie sich zu einem offensiveren Umgang mit der Herkunft entschlossen. Das war aber Wasser auf die Mühlen rechtspopulistischer Parteien. Sie nutzten das, um Ethnie, Nationalität oder Fremdsein als das alleinige Kriterium für Straftaten zu definieren. Nach deren Argumentation begehen vor allem Flüchtlinge Straftaten, weil sie Ausländer sind. Das ist eine falsche Schlussfolgerung.

Sie begehen Straftaten, weil sie zum Beispiel junge Männer sind, die keine Alkohol-Gewöhnung haben und jetzt damit in Verbindung kommen. Man sollte verschiedene Komponenten berücksichtigen - also nicht nur Nationalität - sondern eben auch jugendliches Alter, Geschlecht, kulturelle Praxiserfahrungen, ihre Isolation in Deutschland und, dass es sich um Menschen handelt, die in ihrer Heimat wenig privilegiert waren. Wenn man in Großunterkünften lebt, nicht arbeiten darf, entwickelt man andere Verhaltensweisen.

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Spätestens nach einer Festnahme von Verdächtigen muss die Polizei entscheiden, wie sie über Personen-Details informiertBild: picture-alliance/dpa/Bildfunk/I. Fassbender

Inwiefern berücksichtigt die Polizei diese Kriterien?

Die Polizei hat sich angepasst. Man hat in der Silvesternacht 2017/18 oder 18/19 überhaupt nichts mehr von Köln gehört. Warum? Weil die Polizei tatsächlich das getan hat, was klug ist. Sie hat die Hintergründe hinterfragt: Was macht diese Gruppe von jungen Männern aus? Das hat man mit Hilfe von Ethnologen, Politikwissenschaftlern und Islamwissenschaftlern untersucht. Dabei stellte man fest, dass viele Taten nicht von krimineller Energie gespeist werden.

In der Kölner Silvesternacht hatte man sich nicht abgesprochen, sondern sich eher spontan aufgrund von Mund-zu-Mund-Propaganda getroffen. Verschiedene Zufälle und Dynamiken führten dann zu einer Ansammlung aggressiver und übergriffiger Männlichkeit. Und irgendwo in diesem ganzen Ensemble hat auch Ethnie eine Bedeutung. Nicht als einziges Kriterium. Aber das genau wurde von der AfD und von Pegida und Co. ausgenutzt.

In Bezug auf die Nennung der Herkunft von mutmaßlichen Tätern orientieren sich einige Bundesländer mittlerweile am Pressekodex des Deutschen Presserates. Demnach soll die Zugehörigkeit zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten in der Regel nicht erwähnt werden. Es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Begrüßen sie diese Orientierung der Polizei?

Der Begriff "öffentliches Interesse" ist natürlich ein auslegungsbedürftiger, unbestimmter Begriff. Früher hat man sich strenger gehalten und gesagt, wenn es aus kriminologischen Gründen wichtig ist die Nationalität zu erwähnen, dann erwähnt man sie. Aber bei den allermeisten Taten war es eben nicht wichtig. Jetzt wird sozusagen das sachlich-fachliche Interesse durch das öffentliche Interesse ersetzt.

Das Fatale daran ist, dass das keine echten Wissens-Informationen sind. Durch die Bekanntgabe der Nationalität wird nur ein Stimulus gesetzt: für Vermutungen, für Stereotype. Dann besteht unsere Nation wieder aus Millionen von Experten in Sachen Kriminalitäts-Erklärung. Das hat keine fachliche, sachliche Bedeutung. Man beugt sich einem öffentlichen Druck, der politisch bestärkt wird.

Rafael Behr (geboren 1958 in Mainz) ist Professor für Polizeiwissenschaften am Fachhochschulbereich der Akademie der Polizei Hamburg und lehrt dort Kriminologie und Soziologie.

Das Interview führte Ralf Bosen.

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen Autor und Redakteur