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Kriegsverbrecherprozess eröffnet

4. Mai 2011

Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart müssen sich zwei Milizenchefs wegen Kriegsverbrechen in der Demokratischen Republik Kongo verantworten. Von Deutschland aus sollen sie zu Mord und Terror aufgerufen haben.

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Ignace Murwanashyaka (Foto: dpa)
FDLR-Chef Ignace Murwanashyaka wird der Prozss gemachtBild: picture-alliance/ dpa

Der Ruander Ignace Murwanashyaka soll laut Anklage als Präsident der Hutu-Miliz "Demokratische Kräfte für die Befreiung Ruandas" (FDLR) die Tötung von 200 Zivilisten, Vergewaltigungen und den Einsatz von Kindersoldaten im Osten der Demokratischen Republik Kongo befohlen und gebilligt haben. Mitbeschuldigt wird sein Stellvertreter Straton Musoni. Auch ihm werden eine Vielzahl grausamer Verbrechen zur Last gelegt. Der Prozess hat am Mittwoch (04.05.2011) vor dem Oberlandesgericht Stuttgart begonnen.

Die Bundesanwaltschaft wirft Murwanashyaka und seinem Stellvertreter 39 Kriegsverbrechen, 26 Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor. Bei einem Schuldspruch droht den beiden Männern eine lebenslange Haft. Seit November 2009 sind sie in Untersuchungshaft.

FDLR-Offiziere (Foto: Simone Schlindwein)
Ehemalige FDLR-Offiziere haben bestätigt, dass Murwanashyaka die Angriffe der FDLR im Kongo leitet.Bild: Simone Schlindwein

Die beiden ruandischen Milizenführer lebten seit Ende der 1980er Jahre unauffällig und ungestört in Baden-Württemberg. Sie waren zum Studium nach Deutschland gekommen. 2008 und 2009 sollen sie von Mannheim und Neuffen in Baden-Württemberg aus über Laptop und Handy Rebellen in der Heimat zu Mord- und Terrortaten unter der Bevölkerung angeleitet haben. Die Hutu-Truppen der Angeklagten sollen gezielt schwersten Terror im Ostkongo verbreitet haben, um die Tutsi-Regierung im benachbarten Ruanda zu Verhandlungen über eine Machtbeteiligung zu zwingen.

Prozess ist ein Novum

Dass sich die beiden Ruander nun in Deutschland für Verbrechen an Ausländern im Ausland verantworten müssen, ermöglicht das 2002 eingeführte Völkerstrafgesetzbuch. Das Gesetz regelt die Strafbarkeit schwerer Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, auch wenn sie im Ausland begangen wurden. Zugleich wird die Verantwortlichkeit der Vorgesetzten und Befehlshaber verschärft. Ihm liegt das sogenannte Weltrechtsprinzip zugrunde, wonach deutsches Strafrecht auch dann anwendbar ist, wenn weder Täter noch Opfer aus Deutschland kommen, noch der Tatort des Verbrechens in Deutschland liegt.

Die Regelung verlangt von der Bundesanwaltschaft, alle Schauplätze von Völkerstraftaten weltweit in den Blick zu nehmen und Verbrecher zu verfolgen, "die Deutschland als Rückzugs- und Ruheraum nutzen wollen", sagt Bundesanwalt Thomas Beck. Der Fall der beiden Ruander ist der erste, den die Bundesanwaltschaft nach neuem Recht zur Anklage gebracht hat und ist deshalb "für alle Beteiligten Neuland", so Beck. Nach Maßgabe des Bundesgerichtshofs (BGH) müssen die Ankläger nun unter anderem nachweisen, dass die beiden Ruander militärische Befehlshaber waren und sie die Verbrechen ihrer Truppen an der Zivilbevölkerung "bewusst geschehen" ließen. Nur dann könnten sie für Verbrechen im Kongo bestraft werden.

Vergewaltigungsopfer als Zeugen

FDLR-Rebellen im Kongo (Foto: AP)
FDLR-Rebellen im Kongo - auf ihr Konto gehen zahlreiche KriegsverbrechenBild: AP

Die Bundesanwaltschaft ermittelte über zwei Jahre lang mit hohem Aufwand unter anderem im Kongo und in Ruanda und brachte ein facettenreiches Mosaik an Beweisen zusammen. Überwachungen von Telefon und E-Mail belegen etwa, dass Murwanashyaka mit seinen Truppen im Kongo regelmäßig in Kontakt stand und Befehle gab. Zudem führt die Bundesanwaltschaft rund 80 Zeugen an. Darunter sind mehrere Opfer und Zeuginnen, die laut BGH massive sexuelle Übergriffe der FDLR-Truppen "anschaulich" schilderten.

Viele der Zeugen können in dem Stuttgarter Verfahren womöglich nur von einem sicheren Ort aus per Video-Übertragung aussagen, weil sie vor den Schergen der FDLR geschützt werden müssen.

Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen hoffen, dass die Angeklagten verurteilt werden. So nannte die Gesellschaft für bedrohte Völker das Verfahren den "bislang wichtigsten Beitrag zum Ende von Massenmord und Vertreibung" im Ostkongo.

Autor: Naima El Moussaoui (afp, dpa, epd)

Redaktion: Stephan Stickelmann