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Kriegsverbrecher-Suche: Frühere Tribunal-Sprecherin erhebt schwere Vorwürfe

13. September 2007

Haben der Westen und Russland die Festnahme von mutmaßlichen Kriegsverbrechern auf dem Balkan bewusst verhindert? Das behauptet die ehemalige Sprecherin der Chefanklägerin des Haager Tribunals in einem Buch.

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Vergebliche Suche nach Karadzic und MladicBild: dpa

Die Festnahme der mutmaßlichen Kriegsverbrecher Karadzic und Mladic sei von westlichen Großmächten und Russland immer wieder verhindert worden. Das schreibt Florence Hartmann, die ehemalige Sprecherin der Chefanklägerin des UN-Jugoslawien-Tribunals, in einem am Montag (10.9.) in Frankreich erschienen Buch mit dem Titel "Friede und Bestrafung" ("Paix et Châtiment"/Verlag Flammarion).

Frankreich, die USA, Großbritannien und Russland sollen die mutmaßlichen serbischen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic bewusst laufen gelassen haben. Diese Staaten hätten ständigen Druck auf das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeübt, um einen Prozess gegen die Angeklagten zu verhindern, behauptet Florence Hartmann. Denn dieser hätte beweisen können, dass die genannten Staaten bereits zu Beginn der 90er Jahre über die verbrecherischen Pläne des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, der den Konflikt auf dem Balkan entfacht hat, detailliert Bescheid wussten.

Haager Tribunal nur ein diplomatisches Instrument?

Hartmann arbeitete sechs Jahre lang (2000-2006) als Sprecherin der Haager Chefanklägerin del Ponte und begleitete diese häufig auf Reisen und Treffen mit Staatspräsidenten bzw. hochrangigen Vertretern der internationalen Institutionen. Sie hatte Zugang zu vertraulichen Unterlagen des UN-Tribunals. Nachdem Hartmann vor einem Jahr in Den Haag ausgeschieden war, schrieb sie ihre Memoiren auf der Grundlage von authentischen Unterlagen. Schließlich brachte sie ein Buch heraus, über das nun diskutiert wird.

In "Friede und Bestrafung" schreibt Hartmann, Aufgabe des Haager Tribunals sei es, Kriegsverbrechen und Kriegsverbrecher aus dem ehemaligen Jugoslawien vor Gericht zu bringen. Die Autorin meint, die internationale Gemeinschaft habe das Tribunal gegründet, aber nie genug getan, damit es auch tatsächlich funktioniere: "Als das Tribunal 1993 gegründet wurde, wollten die großen Mächte auf dem Balkan keine militärischen Mittel einsetzen, um den Krieg in Bosnien zu stoppen. Das Haager Tribunal war die direkte Antwort auf die grausamen Verbrechen, die damals in Bosnien passierten. Aber das war nur eine diplomatische Antwort, ein diplomatisches Instrument, mit dem man weitere Verbrechen verhindern wollte", sagte Hartmann in einem Interview mit der Deutschen Welle.

Uneinigkeit der Großmächte

Die ehemalige Sprecherin von Carla del Ponte schreibt detailliert über die gegenseitige Blockadepolitik der Großmächte, die sich massiv auf die Arbeit des Gerichtes ausgewirkt habe. 1997 hätten die USA und Großbritannien Frankreich daran gehindert, die russische Blockade zu umgehen und Karadzic zu ergreifen. Darin seien der damalige US-Präsident Bill Clinton und der britische Premierminister Tony Blair auch vom früheren deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl unterstützt worden, schreibt Hartmann in ihrem Buch. Der damalige französische Präsident Jacques Chirac habe im Mai 1997 während eines Treffens mit Clinton, Blair und Kohl in Paris auf eine Festnahme Karadzics gedrängt. "Bill Clinton betonte, dass der Einsatz nicht angeordnet werden könne, solange die russische Regierung nicht informiert sei", schreibt Florence Hartmann. "Moskau war damals strikt gegen eine Festnahme der mutmaßlichen Kriegsverbrecher. Clinton blieb bei seiner Meinung, Blair unterstützte ihn und Kohl enthielt sich. Chirac musste letztlich nachgeben", so Hartmann.

Das Treffen in Paris im Jahr 1997 ist ihrer Meinung nach aber nicht der einzige und wichtigste Moment. Systematisch hätten die großen Mächte seit zwölf Jahren immer wieder die Festnahme der gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher Karadzic und Mladic verhindert. "Es geht hier nicht nur darum, dass es an Bereitschaft mangelt, die beiden festzunehmen. Es geht um ganz konkrete Politik, mit der die Festnahmen gezielt verhindert werden sollten", so Hartmann.

Versäumnisse in Bosnien

"Problematisch ist, dass Karadzic und Mladic in der Lage sind, die unrühmlichsten Versäumnisse der Großmächte in Bosnien und Herzegowina aufzudecken. In meinem Buch beschreibe ich ein Gespräch zwischen Bill Clinton und Jacques Chirac am 13. Juli 1995. Der Inhalt dieses Gesprächs ist ein klarer Beweis dafür, dass die beiden offenbar von Plänen des bevorstehenden Verbrechens in Srebrenica wussten. Aber verhindert haben sie dieses Verbrechen nicht", sagt Hartmann im DW-Interview.

Einige Monate später, im November 1995 während der Verhandlungen über das Dayton-Abkommen, wurden die Massengräber in Srebrenica entdeckt. Die Presse berichtete weltweit, Journalisten waren vor Ort. "Trotzdem entschieden sich die Großmächte, die Region in der damaligen UNO-Schutzzone, in der 8.000 Menschen ermordet worden waren, denen zu überlassen, die die Verbrechen organisiert, vorbereitet und befohlen haben", sagt Florence Hartmann.

Paris und Washington weisen Vorwürfe zurück

Das französische Außenministerium in Paris nannte die Anschuldigungen Hartmanns grundlos. Für Clint Williamson, den vom US-Senat ernannten Botschafter für die Aufklärung von Kriegsverbrechen, sind Hartmanns Behauptungen "unverständlich". Es könne sein, dass in der Vergangenheit die eine oder andere Gelegenheit versäumt wurde, Kriegsverbrecher festzunehmen. Das sei aber kein Beleg für eine Verschwörung der Großmächte, die Angeklagten nicht festzunehmen, sagte der amerikanische Politiker.

Karadzic und Mladic sind die meistgesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher der Balkankriege während der 90er Jahren. Mladic versteckt sich Carla del Ponte zufolge in Serbien. Karadzic wird in Bosnien oder Montenegro vermutet. In Bosnien-Herzegowina herrsche jetzt Frieden, so Florence Hartmann, aber einige der wichtigsten Protagonisten des Blutbades im ehemaligen Jugoslawien seien immer noch nicht bestraft, bedauert die ehemalige Sprecherin der Chefanklägerin des UNO- Jugoslawientribunals.

Dzevad Sabljakovic, Paris
DW-RADIO/Bosnisch, 10.9.2007, Fokus Ost-Südost