1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Krieg in der Ukraine lässt Börsen weiter abstürzen

Brigitte Scholtes Frankfurt am Main
7. März 2022

Öl ist so teuer wie lange nicht mehr, andere Rohstoffe verzeichnen Allzeithochs, die Aktienmärkte sind auf Crashkurs: Die Eskalation des Ukraine-Kriegs führt zu Chaos an den Märkten. Ein Ende ist noch nicht abzusehen.

https://p.dw.com/p/487SV
Honkong | fallende Börsenkurse
Bild: Vincent Yu/AP/picture alliance

Ein möglicher Importstopp für russisches Öl und Gas hat die Preise in die Höhe schnellen lassen. Ein Fass der Rohölsorte Brent kostete kurz nach Handelseröffnung 139 Dollar, das ist das höchste Niveau seit Juli 2008. Auch der Großhandelspreis für Gas in Europa kletterte um 60 Prozent auf 350 Euro und übertraf damit seinen bisherigen Rekordwert von Freitag erheblich. Vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine lag der Preis noch bei unter 80 Euro.

Doch nicht nur Öl und Gas werden deutlich teurer. Auch der Preis für Palladium ist auf ein Rekordhoch von gut 3440 Dollar je Feinunze gesprungen - Palladium wird für Katalysatoren benötigt - und Russland steht für 38 Prozent der weltweiten Palladiumproduktion. Nickel klettert zeitweise um mehr als 30 Prozent auf fast 38.000 Dollar je Tonne, das ist der höchste Stand seit Mitte 2007. Aluminium, das ebenfalls in der Autoindustrie benötigt wird, steigt erstmals auf mehr als 4000 Dollar je Tonne, Kupfer klettert ebenfalls auf ein Rekordhoch mit etwa 10.850 Dollar je Tonne. Nach dem "Ende einer denkwürdigen Woche" werde wohl auch die gerade beginnende Woche in Erinnerung bleiben, meinen die Rohstoffanalysten der Commerzbank.

Deutschland München | Kraftstoffpreise am Morgen
Tanken und Heizen werden immer teurerBild: Sven Hoppe/dpa/picture alliance

Kursrutsch am Aktienmarkt geht ungebremst weiter

Diese rasanten Preissteigerungen bei den Rohstoffen und die Sorge vor einer weiteren Kriegseskalation führten am Aktienmarkt zu Kursstürzen. Nach schweren Verlusten an den asiatischen Märkten eröffneten auch die Börsen in Europa deutlich im Minus. Der Deutsche Aktienindex DAX stürzte zu Handelsbeginn um fünf Prozent auf 12.438 Punkte und riss damit deutlich die 13.000 Punkte-Marke. Im weiteren Verlauf verringerte er seine Verluste und drehte am Nachmittag kurzzeitig ins Plus. Ähnliches war beim Eurostoxx zu beobachten, der in den ersten Handelsminuten um 3,7 Prozent einbrach, aber sich dann ebenfalls erholte. Die Anleger fliehen ins Gold: Der Preis für die Feinunze stieg erstmals seit Sommer 2020 auf mehr als 2000 Dollar, wegen der aktuellen Schwäche des Euro ist Gold in der Gemeinschaftswährung schon so teuer wie nie. Ähnlich wie die Aktienkurse erholten sich die Rohstoffpreise im Handelsverlauf ein wenig und entfernten sich von ihren Höchstständen.  

"Wir stehen am Beginn einer neuen Weltwirtschaftsordnung", erklärt Robert Halver, Kapitalmarktstratege der Baader Bank, die heftigen Reaktionen an den Finanzmärkten. Die Bürger erlitten durch die Preisexplosion bei Öl und Gas dramatische Kaufkraftverluste. Die Unternehmen könnten deshalb wohl auch ihre höheren Kosten nicht an die Verbraucher weitergeben. Das Wachstum werde aber auch in den kommenden Monaten durch die Rohstoffknappheit stark gedämpft, sagt auch Martin Lück, Chefanlagestratege für den deutschsprachigen Raum beim weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock. So leiden bestimmte Branchen wie die Autoindustrie besonders stark. Insgesamt werde die Wirtschaft in Deutschland und Europa deshalb deutlich weniger produzieren. Und neben den steigenden Energiekosten dürfte die Konsumlust der Verbraucher durch den Ukrainekrieg deutlich gedämpft werden, meint Lück. Deutschland ist stark abhängig von Energieimporten und vom weltweiten Handel. "Temporär wird die Wirtschaftsaktivität also deutlich gedämpft", meint Lück. 

Aluminium-Barren
Aluminium - hier als Halbfertigprodukt - ist so teuer wie nieBild: 3dmentat/imago images

Abschied von der alten Wirtschaftsordnung

Die steigenden Rohstoffpreise werden auch zu einer deutlichen Beschleunigung der Inflation führen. Die könnte im Euroraum im Gesamtjahr auf fünf Prozent steigen, glaubt Christian Kahler, Aktienmarktstratege der DZ-Bank. Damit steht die Europäische Zentralbank vor einem Dilemma: Sie ist eigentlich der Preisstabilität verpflichtet. Wird sie also auf ihrer Sitzung an diesem Donnerstag die geldpolitische Normalisierung einleiten? So könnte sie zwar die Inflation bekämpfen, damit aber die Wirtschaft noch weiter abwürgen und diese in eine Rezession stürzen. "Die Lage ist extrem bedrohlich", sagt Lück. Die europäischen Aktienmärkte hätten seit Jahresbeginn schon um 20 Prozent nachgegeben. Solange eine Bodenbildung nicht absehbar sei, solange würden wahrscheinlich auch die Kurse weiter einbrechen. "Das ist eine ganz andere Situation als die vor zwei Jahren in den ersten Wochen der Corona-Pandemie", erklärt der Blackrock-Chefstratege.

Denn damals war klar, dass die Pandemie nach einer gewissen Zeit vorübergehen werde, die Regierungen zudem mit massiver Unterstützung einen Absturz der Wirtschaft verhindern würden. Die werde in diesem Jahr in eine Rezession stürzen. Nun aber ist der Staat noch stärker gefordert: Er muss helfen, die Auswirkungen der hohen Energiepreise auf die Verbraucher zu dämpfen. Auf den Staat entfallen etwa über Energie- und Mehrwertsteuern mehr als die Hälfte des aktuellen Benzinpreises. Gleichzeitig muss er die Kosten für die Energiewende stemmen und die höheren Kosten für Verteidigung. "Wir müssen uns von der alten Wirtschaftswelt verabschieden", ist Baader-Bank-Stratege Halver überzeugt - zumindest in Europa. Die USA dürften diese Krise besser überstehen, da sie nicht so stark abhängig von russischer Energie sei. Die Europäer hingegen müssten sich nun neu sortieren.