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Sackgasse?

Peter Philipp23. Februar 2008

Nicht alle in der internationalen Staatengemeinschaft sind glücklich mit der Ausrufung eines eigenen Staates im Kosovo. Aber auch Völkerrechtler sind durchaus skeptisch - ob der Widersprüche, die sich daraus ergeben.

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Unabhängigkeit ist mehr als nur eine eigene FahneBild: picture-alliance/ dpa
Die Ausrufung eines eigenen Staates im Kosovo werde die Konflikte in der Region verschärfen und die Gräben vertiefen. Vor allem aber: Völkerrechtlich sei sie in keiner Weise abgesichert. Der renommierte deutsche Völkerrechtler Michael Bothe hatte vor einem solchen Schritt gewarnt und er hält seine Kritik aufrecht. Bestenfalls ist er bereit, einzuräumen, dass hier vielleicht ein Widerspruch offenbar werde zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung und dem auf territoriale Integrität von Staaten. Ein Widerspruch, der schon in der Sicherheitsratsresolution 1244 enthalten sei: Da habe man den Kosovaren das Recht auf erhebliche Selbstregierung zugestanden, gleichzeitig aber auch der damaligen "Bundesrepublik Jugoslawien“ die Integrität ihres Territoriums zugesichert. Allerdings, so betont Professor Bothe, schließe das Selbstbestimmungsrecht nicht das Recht auf Sezession ein - auf Loslösung vom Staat: "Anerkannt ist zweifelsohne nur das Selbstbestimmungsrecht der Kolonialvölker. Das ist eine sehr spezielle Ausformung des Selbstbestimmungsrechts, die im Laufe der sechziger, siebziger und achtziger Jahre - und dann war's ja erledigt - letztlich außer Streit gestellt wurde“. Umstrittene Sezessionsbestrebungen Jenseits dieses kolonialen Bezuges gebe es international keine einhellige Meinung und Übereinstimmung über die Frage der Selbstbestimmung: "Das sehen Sie ganz deutlich bei der Frage heute, Sie sehen es bei der Frage Baskenland, Sie sehen es bei der Frage von Korsika und dann können wir noch ein Stückchen weiter in der Welt umherreisen: Überall haben Sie gegen solche Sezessionsbestrebungen scharfe Gegenbewegungen“. Was also macht dann aber den "Fall Kosovo“ für die wichtigsten EU-Staaten und die USA anders als diese genannten Beispiele? Oder - mehr noch: Was unterscheidet das Kosovo von Taiwan? In einem Fall wird entgegen allen sonstigen Prinzipien die Sezession unterstützt, im anderen wird die Anerkennung verweigert, obwohl hier längst ein funktionierender Staat besteht. Sonderfall Taiwan
Bildgalerie Separatismus Taiwan
Besondere Ausgangslage: TaiwanBild: AP
Im Fall Chinas müsse man die besondere Ausgangslage in Betracht ziehen, meint Prof. Bothe. Auch hier könne man die Frage der internationalen Anerkennung nicht loslösen von den Rechtsbehauptungen der beiden Seiten und dies habe das Problem verkompliziert: "Der Ausgangspunkt war die 'Ein-China-Theorie‘, die von beiden Seiten vertreten wurde. Dass es nur ein China gibt und dass man jeweils die einzig legitime Regierung dieses Landes ist. Das war lange auch die Position der Regierung Taiwans“. Im Fall Taiwans habe es sich eher um die Entscheidung zwischen der einen und der anderen Regierung gehandelt, nicht der zwischen dem einen Staat und einem anderen. Und so gesehen, sei die Entscheidung der Vereinten Nationen Ende der 1960er Jahre konsequent gewesen: Nicht mehr die Regierung Taiwans, sondern Peking als Vertretung Chinas anzuerkennen. Ein Fall von Sezession liege hier nicht vor. Das wäre bestenfalls dann der Fall, wenn Taiwan jeden Anspruch auf das chinesische Festland endgültig fallen ließe und sich mit dem eigenen Territorium begnügte. Und solange dies nicht geschehe, sei und bleibe Taiwan ein Sonderfall. Diskussion um verfrühte Anerkennung Bothe stellt dabei nicht in Abrede, dass die Haltung gegenüber Taiwan sicher auch durch politische und wirtschaftliche Rücksichten gegenüber der Volksrepublik China beeinflusst wird: "Solche Anerkennung ist nicht einfach wie wenn ein Gericht entscheidet: So ist es. Sondern das ist eine Erklärung, die auch durch politische Motive bestimmt ist. Das war schon immer so." Deswegen habe es auch immer wieder Streit gegeben. Zum Beispiel darum, ob eine solche Anerkennung nicht vielleicht zu früh kam. Nämlich noch bevor sich auf dem neuen Staatsgebiet eine wirkliche staatliche Autorität etabliert hatte. So sei einst die deutsche Anerkennung Kroatiens heftig diskutiert worden, aber das sei ja inzwischen "Schnee von gestern“. Ermutigung zur Nachahmung?
Bildgalerie Separatismus in Europa Nordzypern
Sezessionsbestrebungen gibt es auch in NordzypernBild: AP
Ob der "Fall Kosovo“ nun Ermutigung zur Nachahmung in anderen Gegenden sei, hänge sehr von den jeweiligen Gegebenheiten ab, meint Prof. Bothe. Den Vorschlag eines palästinensischen Ministers, ebenso vorzugehen, hält Bothe jedenfalls für falsch, weil verfrüht. Hier würde es sich auch nicht um Abspaltung handeln, solches sei viel eher der Fall im türkischen Nordzypern oder es könne im Baskenland drohen, vielleicht sogar in Katalonien. Deswegen kämen von da ja auch die Haupteinwände gegen die Unabhängigkeit des Kosovo.

Die internationale Gemeinschaft behelfe sich mit dem Argument, das Kosovo sei ein Sonderfall, solch ein Argument könnte aber jeder für sich vorbringen und deswegen seien nun "Tür und Tor geöffnet“ für Nachahmer. Man habe sich hier in eine Sackgasse begeben und müsse versuchen, hier wieder herauszukommen. Etwa über eine engere Einbindung auch Serbiens in die EU: Wenn es den Menschen erst einmal besser gehe, dann würden sie sich vielleicht auch eher mit den Dingen abfinden. Zunächst aber werde man den jetzt erzeugten "Schutt wegräumen müssen“.