Kongos Krieg und die Unmöglichkeit der Diplomatie
29. Januar 2025Die M23-Rebellen haben ihre Kontrolle der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma weiter ausgebaut. Nach dem Einmarsch am frühen Montagmorgen herrschten zunächst chaotische Zustände. Die Vereinten Nationen zeigten sich "tief beunruhigt", humanitäre Organisationen sprechen von einem immensen Bedarf an Hilfe.
"Eine Eskalation, die zu erwarten war, angesichts des Scheiterns aller bisherigen Friedensinitiativen" - so bilanziert der deutsche Politikwissenschaftler Jona Thiel im DW-Gespräch die Entwicklungen der letzten Tage.
Verhärtete Fronten zwischen Ruanda und Kongo
In der Region gebe es tief verwurzelte, vor allem ethnisch begründete Spannungen. Diese Konflikte könnten kurz- oder mittelfristig nicht mittels Verhandlungen aus der Welt geschafft werden. Ein ausgehandelter Frieden bedeute nicht gleichzeitig auch Befriedung, so Thiel weiter: "Da darf man sich keine Illusionen machen, dass das Konfliktpotential zwischen den verschiedenen Milizen an einem Tag, mit der Unterschrift eines Abkommens, aufhören würde, sollte es überhaupt irgendwann ein Abkommen geben."
Hauptkontrahenten in dem politischen Konflikt sind die Präsidenten der DR Kongo, Félix Antoine Tshisekedi, und Ruandas, Paul Kagame, dessen Regierung in Kigali die M23 immer offener unterstützt. Beide hätten es nicht geschafft, von ihren Maximalstandpunkten abzuweichen, sagt Thiel: "Für Kigali ist die M23 eine Partei, die bei etwaigen Verhandlungsprozessen die ruandischen Interessen in der Region vertreten würde. Kigali will deshalb die M23 als Verhandlungspartner anerkennen. Kinshasa hingegen hält die M23 für eine Terrorgruppe und will sie auf keinen Fall als legitimen Verhandlungspartner anerkennen."
Eine Annäherung beider Seiten ist unter diesen Umständen schwer vorstellbar, findet auch Jakob Kerstan, den Leiter des Kinshasa-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, die der konservativen CDU nahesteht. Kongos Präsident sei komplett daran gescheitert, für Sicherheit im Osten seines Landes zu sorgen, sagt Kerstan der DW.
"Félix Tshisekedi hat den Armeechef mehrfach ausgewechselt, er hat den Verteidigungsminister ausgewechselt, er hat rumänische Söldner angeheuert, er hat Truppen der East African Community und dann der SADC [der südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft] ins Land geholt, er hat eine Militärkooperation mit Burundi und eine Militärkooperation mit Uganda angestoßen, und die [UN-Mission] Monusco ist auch noch vor Ort", zählt Kerstan auf. "Und trotz alledem ist es nicht gelungen, selbst das Herzstück der Region, die Hauptstadt Goma, unter Kontrolle zu behalten." So gerate der Präsident zunehmend unter Druck.
Zahlreiche Friedensinitiativen gescheitert
Immer wieder scheiterten Vermittlungen oder brachten nur kurzlebige Einigungen hervor. So unterzeichneten Kongos Regierung und die M23 im kenianischen Nairobi einen Friedensvertrag, die Gruppe verschwand von der Bildfläche. Ende 2021 kehrte sie mit neuen Angriffen zurück.
In den letzten Jahren gab es zwei weitere große afrikanische Friedensinitiativen: Kenias ehemaliger Präsident Uhuru Kenyatta brachte die Konfliktparteien 2022 erneut in Nairobi zusammen - allerdings mit Ausnahme der M23. Der Prozess scheiterte.
Die internationale Gemeinschaft setzte zuletzt vor allem Hoffnung in die Vermittlungsbemühungen Angolas: Die "Luanda Roadmap" unter Präsident João Lourenço, wurden von der SADC, aber auch von der Afrikanischen Union, den USA und der Europäischen Union unterstützt. Doch die holprigen Verhandlungen scheiterten schließlich im Dezember 2024, als Ruandas Präsident Kagame ein Treffen mit seinem kongolesischen Amtskollegen Tshisekedi in letzter Minute absagte.
Internationale Unterstützung für Angolas Friedensprozess
Dabei hatte auch die sogenannte "Internationale Kontaktgruppe für die Afrikanischen Großen Seen" den Luanda-Prozess politisch - und indirekt auch finanziell - unterstützt. Ihr gehören neben Vertretern aus Deutschland auch Vertreter aus Dänemark, Belgien, der Europäischen Union, Frankreich, den Niederlanden, Schweden, der Schweiz, den USA und Großbritannien an.
Der Luanda-Prozess müsse fortgesetzt werden, heißt es in Verlautbarungen dieser Gruppe. Außerdem fordert sie: Die von Ruanda unterstützte Gruppe M23 und die Streitkräfte Ruandas sollten ihre Offensive einstellen, humanitären Helfern Zugang zu Goma gewähren und sich zurückziehen.
Flankierend wollen die westlichen Länder helfen, das an Bodenschätzen reiche Gebiet wirtschaftlich aufzubauen. Die Bodenschätze sollen über neue oder reaktivierte Transportwege, zum Beispiel den von Europa und den USA mitfinanzierten Lobito-Korridor, umgeschagen werden. Gemäß dem Plan der Internationalen Kontaktgruppe sollen die Erlöse aus dem Rohstoffgeschäft mittelfristig für Wohlstand und Frieden in der Region sorgen.
Die Diplomatie ist gescheitert - es lebe die Diplomatie
Im Februar übernimmt Angola den Vorsitz der AU. Präsident João Lourenço und sein Außenminister Téte António haben bereits angekündigt, diese Positon zu nutzen, um eine neue diplomatische Offensive für den Frienden in Ostkongo zu starten.
"Trotz des Scheiterns der bisherigen Verhandlungen führt kein Weg an weiteren Friedensbemühungen unter Vermittlung Luandas vorbei. Es geht um die Sicherheit der Menschen und natürlich auch um Rohstoffe und lukrative Geschäfte", sagt der angolanische Ostkongo-Experte Nkikinamo Tussamba im Gespräch mit der DW.
Natürlich habe auch Ruanda die Rohstoffe in der Region im Blick, so Tussamba: "Ruanda möchte einen Frieden in der Region, aber einen Frieden zu seinen eigenen Konditionen, einen Frieden, der ihre wirtschaftlichen Interessen berücksichtigt. Deshalb hat das Kagame-Regime den Friedensprozess torpediert, der von Angola mit Unterstützung der USA vorangetrieben wurde." Früher oder später werde es aber zu einer diplomatischen Lösung im Zuge des Luanda-Prozesses kommen müssen, fügt Tussamba hinzu.
Jakob Kerstan von der Konrad-Adenauer-Stiftung sieht das ähnlich: "Die westlichen Länder, inklusive Deutschland, bestehen darauf, dass der Luanda-Prozess weitergeht." Jetzt, da die M23-Milizen militärisch zunehmend auf dem Vormarsch seien, werde die kongolesische Seite verstärkt Druck auf internationaler Ebene ausüben und gerade die westlichen Länder dazu bringen, ihrerseits Druck auf Ruanda auszuüben.
Die Rolle Deutschlands und Europas
Was könnte die Bundesregierung leisten? Jakob Kerstan: "Die Bundesregierung könnte beispielsweise Entwicklungsgelder für Ruanda sofort stoppen. Das ist schon 2012, 2013 passiert. Das BMZ hat ja bisher nur eine nicht besonders starke Erklärung abgegeben. Aber es könnte auch sagen: Wir stoppen die Entwicklungshilfe für Ruanda, bis die Unterstützung der M23 aufgegeben wird."
Das ruandische Staatsbudget hänge bis heute zum großen Teil von westlichen Gebern ab, fügt Kerstan hinzu: "Wenn sich die westlichen Länder zusammenschlössen und sagen würden, wir geben kein Geld mehr, dann hätte das Auswirkungen auf Ruanda. "Aus deutscher Sicht sollten wir unser Bild der ruandischen Regierung nachjustieren", so der Leiter des KAS-Büros in Kinshasa.
Schlechte Voraussetzungen für eine Befriedung der Region
Die Möglichkeiten für eine echte Befriedung in der Region der Afrikanischen Großen Seen sind insgesamt betrachtet denkbar schlecht. Das hätten die letzten Tage erneut gezeigt, betont Politikwissenschaftler Jona Thiel in Nairobi: "Solange eine Vertrauensbasis nicht einmal im Entferntesten existiert, wird es keine Befriedung geben."
Mitarbeit: Sandrine Blanchard