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Konflikte kein Zeichen fürs Scheitern

Kay-Alexander Scholz, Berlin7. April 2016

Ein Bundespräsident soll weniger aktiv Politik machen, sondern eher Debatten anstoßen und den Zusammenhalt fördern. In diesem Sinne hat sich Bundespräsident Gauck nun zur Integrationspolitik geäußert.

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Deutschland Joachim Gauck
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Schon einmal, im Sommer 2014, ein Jahr vor dem ersten Höhepunkt der Flüchtlingskrise in Deutschland, zeigte Bundespräsident Joachim Gauck politisches Gespür für kommende Herausforderungen. In seiner Rede damals forderte er eine "ehrliche, pragmatische und nüchterne Debatte" über Flüchtlingskrise. Es gelte einen Mittelweg zwischen "humanitär Gebotenem und politisch Machbarem" zu gehen. Er war mit dieser Anregung seiner Zeit voraus.

Nun hielt er in bei einem Symposium im Schloss Bellevue, seinem Berliner Amtssitz, vor Vertretern von Politik und Zivilgesellschaft wieder eine Grundsatzrede zum Thema Integrationspolitik. Gauck stieß damit die Öffentlichkeit auf das, was nach der operativen Bewältigung des Zustroms von Geflüchteten folgt. Er wolle dazu beitragen, das "weite Feld der Integration" zu vermessen, so Gauck. Integration sollte so schnell wie möglich für alle nach Deutschland Gekommenen beginnen.

Mentoren und konstruktiver Streit

Der Bundespräsident nannte zwei Handlungsmaximen, die neben der aktuell zu bewältigenden Agenda von Bund, Ländern und Kommunen, wichtig seien. Zum einen forderte Gauck - schon immer ein Verfechter bürgerlichen Engagements - Initiativen von unten: Paten, Mentoren, Ratgeber. Sie könnten schließlich Brücken bauen - Integration könne nicht nur vom Staat gestaltet werden. Ausdrücklich forderte er auch schon in Deutschland lebende Migranten dazu auf, mitzuhelfen.

Andererseits brauche es, da Migration immer Spannungen hervorbringe - "meistens Verlustängste" - offene Problemdebatten über kulturelle und soziale Konflikte. Diese Konflikte seien kein Zeichen für gescheiterte Integration, "ganz im Gegenteil", betonte Gauck. "Gesellschaften erneuern sich im konstruktiven Streit und sie sind umso friedlicher, je offener über Probleme gesprochen wird." Eine Einwanderungsgesellschaft sei deshalb immer auch eine Aushandlungsgesellschaft. Dieses Feld dürfe nicht den "Populisten und Rassisten" überlassen werden, sagte der Bundespräsident.

Grundgesetz und Bürgerpflichten

Richtschnur sei das Grundgesetz, das betonte Gauck - wie so oft - auch in dieser Rede. Das bedeute aber auch, Position zu beziehen, wenn Andersdenkende und Andersgläubige, die laut Grundgesetz geschützt sind, missachtet würden. Für kulturelle Eigenarten, die Gesetzen zuwiderlaufen, dürfe es keine Duldung geben.

Aber, so fragte Gauck, was gebe es darüberhinaus, was alle deutsche Staatsbürger, Migranten und "Mitbürger auf Zeit" verbinden könnte? "Was uns in Deutschland verbinden sollte, ist eine bürgerschaftliche Haltung […] Wir sind in diesem Sinne zuallererst Bürger, dann erst kommen unsere kulturellen und religiösen Prägungen."

Bürger-Sein bedeute: "Wir beziehen uns aufeinander, nehmen Rücksicht und übernehmen Verantwortung, wir engagieren uns", beschrieb Gauck. "Wir wissen, dass Demokratie, Freiheit und Toleranz nicht selbstverständlich sind, sondern immer wieder aufs Neue gelebt und manchmal auch erkämpft werden müssen."

Integration sei dann gelungen, wenn "möglichst viele gleichberechtigte Individuen unterschiedlicher Herkunft am öffentlichen Leben teilnehmen". Ziel müsse es deshalb sein, möglichst viele "Neuankömmlinge, die bleiben wollen und bleiben dürfen, dabei zu unterstützen, Bürger zu werden, vielleicht sogar Staatsbürger".

Der Bundespräsident machte Mut. Deutschland werde sich trotz der Änderungen treu bleiben in seiner Ordnung des Rechts, der Freiheit und kulturellen Prägungen. "Lassen Sie uns also nicht den Ängsten folgen!", forderte Gauck, sondern der Erfolgsgeschichte der Republik ein weiteres Kapitel hinzufügen. "Wir können eine Gesellschaft schaffen, in der nicht zählt, woher einer kommt, sondern wer er ist und wohin er geht."