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Glaube

Glaube macht Geschmack auf Vielschichtigkeit

17. September 2020

„Ihr religiösen Menschen habt es einfach!“ Doch dies scheint mir das größte Missverständnis zu sein. Glaube und Religion machen nichts einfacher, sondern wecken den Sinn für die Schönheit von Komplexitäten.

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Bild: DW/P. Böll

„Dir gibt der Glaube Sicherheit!“, „Dank Deiner Religion hast Du ja eine Heimat, ein Zuhause, etwas, was Dir Geborgenheit schenkt!“, „Du hast ja ein klares Wertegerüst, an das Du Dich halten kannst!“ … Ja, es gibt sie gar nicht mal so selten, diese schönen, wertschätzenden, positiven Begegnungen zwischen Menschen, die sich selbst als Atheisten, Agnostikerinnen, religiös indifferent oder religiös unmusikalisch bezeichnen und zwischen Menschen, die sich selbst als gläubig oder religiös verstehen, wozu ich mit meinem Mönchshabit schon allein durch meine Kleidung leicht zuzuordnen bin. In der Tat ist es so, dass die Überzahl dieser Begegnungen von großer Wertschätzung und ehrlicher Neugier geprägt sind und nur sehr wenige von Verachtung und Feindschaft. Ich bin daher auch dafür, dass wir denen, die jeweils die andere Seite zu dämonisieren versuchen, nicht den Gefallen tun sollten, ihnen mehr Bedeutung zuzumessen als ihnen gebührt.

So sehr die oben genannten Beispielsätze auch als ehrliches wohlwollendes Kompliment mir gegenüber gemeint sind, so sehr empfinde ich sie auch als das große Hauptmissverständnis in Bezug auf Glauben und Religiosität. Dieses Missverständnis, dass wir, die Gläubigen, die mit den klaren Antworten seien, die, welche genau wüssten, was richtig und was falsch sei, die, welche in dieser komplexen und oftmals sogar chaotischen Welt einen festen Halt hätten.

Die „Stellenausschreibung“ für Mönche meines Ordensgründers, des heiligen Benedikt von Nursia, klingt da völlig anders – und das, obwohl er sie im 6. Jahrhundert inmitten der Völkerwanderungszeit im heutigen Italien verfasst hat! Er hält weder Ausschau nach Menschen, die Halt in der damaligen chaotischen Zeitenwende suchten noch nach welchen, die fest im Glauben standen, sondern vielmehr nach Menschen, die „das Leben lieben“ (Regula Benedicti Prolog, 15) und „wirklich Gott suchen“ (Regula Benedicti 58,7). In der gesamten Benediktsregel ist der Glaube etwas sehr Dynamisches, ein Weg, bei dem die dabei vorkommenden Schwierigkeiten keineswegs verschwiegen, sondern in großer Offenheit benannt werden (und zwar schon im Prolog zur Regel). Glaube als „Gottsuche“ ist übrigens eine Vorstellung, in der sich auch sehr viele meiner jüdischen und muslimischen Freundinnen und Freunde wiederfinden.

Zur authentischen Religiosität, zum reflektierten Glauben gehören eben auch ganz wesentlich die Unsicherheit, der Zweifel, das Ringen, das Aushalten von Ambiguitäten, die ungelösten Fragen und eben allen voran die Gottsuche. Was will Gott wirklich von mir? Wo denke ich zu klein und eng von ihm? Wo projiziere ich meine Vorstellungen auf ihn und verwechsle ihn mit meinen Projektionen?

Gerade im Umgang mit ihren heiligen Texten zeigen alle Hochreligionen einen sehr differenzierten Zugang, welche ja in all diesen Glaubensgemeinschaften eine eigene wissenschaftlich-theologische Schriftauslegung hervorgebracht hat. Letztlich vermittelt gerade die wissenschaftliche Theologie Freude an Komplexität und sperrt sich gegen unangebrachte Vereinfachungen. In der bildlichen Rede von der Schönheit Gottes leuchtet genau das auf.

Anders verhält es sich da mit denen in letzter Zeit wieder Hochkonjunktur habenden Verschwörungstheoretikern und Hasspredigern, welche in 90 Sekunden meinen, Gott und die Welt umfassend und zweifelsfrei erklären zu können. Auf dieser populistischen Ich-erkläre-Dir-die-Welt-in-90-Sekunden-Welle reiten auch einige, die sich als religiös oder religionskritisch titulieren und die jeweils andere Seite dämonisieren. Wir, ob religionskritisch oder religiös, sollten dieses Spiel nicht mitspielen. Schöner wäre es, wenn wir gemeinsam für die Schönheit der Komplexität dieser Welt werben würden. Wenn wir Menschen uns mehr als Gemeinschaft von Suchenden, Ringenden, Fragenden wahrnehmen und schätzen würden, könnte dies ein riesiger Schritt auf ein neues Miteinander sein, und zwar von Menschen jedweder religiösen (Un-)Musikalität.

 

Pater Nikodemus Schnabel, Ordensgeistlicher
Bild: Pascal Nowak

Pater Dr. Nikodemus Schnabel OSB ist Benediktinermönch der Dormitio-Abtei in Jerusalem und Direktor des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft (JIGG). Im ZDF moderiert er die Sendung "Ein guter Grund zu feiern“. Zurzeit ist er als Studienpräfekt des Theologischen Studienjahres Jerusalem in Rom.