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Kommt es in der Ukraine zur großen Koalition?

23. März 2006

Am Sonntag (26. März) wird in der Ukraine ein neues Parlament gewählt. Laut Umfragen wird keine der großen Parteien eine ausreichende Mehrheit erhalten. Die Suche nach möglichen Bündnispartnern hat schon begonnen.

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Werden die Parteien von Wiktor Juschtschenko und Wiktor Janukowytsch die künftige Regierung bilden?Bild: AP

Für viele Menschen in der Ukraine haben sich die Wahlen schon jetzt gelohnt - nicht politisch, sondern finanziell. Für zehn Euro am Tag schwenken in diesen Tagen Studenten, Hausfrauen und Rentner überall auf den Straßen von Kiew die bunten Fahnen der Parteien. Für sie ist der Wahlkampf nur ein gut bezahlter Job. Auskunft über die Programme der Parteien können sie meist nicht geben. Aber Parteiprogramme spielten auch keine wichtige Rolle im Kampf um die Sitze im Parlament, sagt Aleksandr Dergatschow, Politikwissenschaftler an der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften: "Meistens hat man es mit den üblichen populistischen Slogans zu tun. Der ukrainische Wähler richtet sich nach den Persönlichkeiten der Spitzenkandidaten der Parteien und Bündnisse. Es gibt sehr viele 'Namensbündnisse'. Das ist eher ein Wettbewerb der führenden Persönlichkeiten, als ein Wettbewerb der Programme".

Suche nach Bündnispartnern

45 Parteien bewerben sich um 450 Sitze in der Werchowna Rada, dem Parlament der Ukraine. Gut ein Jahr nach der "orangefarbenen Revolution" sind die einstigen Galionsfiguren der demokratischen Wende zerstritten. Bei den Wahlen droht eine Niederlage für die Reformer um Präsident Wiktor Juschtschenko. Denn in den Umfragen führt klar die "Partei der Regionen" um Wiktor Janukowytsch. Er sucht die Revanche für seine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen 2004, die er trotz massiver Manipulationsversuche nicht gewinnen konnte.

Wer am Ende die Regierung anführt, wird davon abhängen, welche Parteien die Drei-Prozent-Hürde überspringen werden und damit als Bündnispartner für die großen Parteien in Betracht kommen. Denn weder Präsident Juschtschenko mit seiner Partei "Nascha Ukraina" noch die Regionenpartei von Janukowytsch werden Umfragen zufolge über die nötigen Mehrheiten verfügen.

Was wird aus dem Kurs nach Europa?

Beobachter schließen nicht aus, dass es sogar zu einer Großen Koalition zwischen den politischen Widersachern kommen könnte. Dabei verkörpert Juschtschenko die Orientierung Richtung Europa, Janukowytsch hingegen könnte das Land wieder enger an Russland heranführen. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass es keinen grundsätzlichen Politikwechsel nach den Wahlen in der Ukraine geben wird. Politologe Dergatschow meint: "Wahrscheinlich ist, dass die 'Partei der Regionen' eine Koalition mit einer der "orangefarbenen Kräfte' versuchen wird. Während des Wahlkampfs wirken die Parteien verfeindet, aber die Partei der Regionen ist sehr pragmatisch und wird Gemeinsamkeiten finden. Doch eine 'Große Koalition' wird die Europäische Integration der Ukraine nicht beschleunigen können."

Sollte der Wahlsieger tatsächlich Janukowytsch heißen, könnte die Hinwendung der Ukraine zu Europa also gebremst werden - und damit auch die Bereitschaft zu weiteren Reformen, zu denen europäische Politiker die Ukraine immer wieder auffordern. So hatte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier jüngst bei einem Besuch in Kiew gemahnt: "Die Geschwindigkeit der Annäherung hängt, und das wissen unsere ukrainischen Gesprächspartner, ganz entscheidend von den weiteren Reformanstrengungen, von den Reformleistungen hier in der Ukraine ab."

Vor allem wird es nun darauf ankommen, dass die Wahlen demokratischen Standards genügen. Im Unterschied zu den Präsidentschaftswahlen 2004 sei der Wahlkampf bisher weitgehend fair und frei verlaufen, meinen Beobachter. Noch entscheidender für die politische Zukunft der Ukraine wird jedoch sein, ob es den Politikern nach den Wahlen gelingt, eine tragfähige Regierungskoalition auf die Beine zu stellen. Ansonsten droht sich die politische Spaltung des Landes weiter zu vertiefen.

Britta Kleymann
DW-RADIO, 23.3.2006, Fokus Ost-Südost