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Politik

Der Tod eines Sängers spaltet ein Land

4. Juli 2020

Die Lage in Äthiopien ist seit Monaten extrem angespannt. Die Ermordung eines prominenten Sängers könnte nun zur Gefahr für den Zusammenhalt des ethnisch definierten Bundesstaates werden, meint Claus Stäcker.

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Äthiopien Hachalu Hundessa, ermordeter Künstler
Der ermordete äthiopische Sänger Hachalu Hundessa, Bild: Leisa Amanuel

Hachalu Hundessa war nicht irgendwer: Der junge Sänger lieferte den ethnischen Soundtrack einer immer stärker werdenden Oromo-Bewegung, die sich historisch unterjocht fühlt und sich in amharischen Kaisern, roten Diktatoren und multiethnischen Einheitsparteien der Vergangenheit nicht wiederfindet. Nach ihrer Lesart heißt Addis Abeba eigentlich Finfinne, und der Vater des modernen Äthiopiens, Kaiser Menelik II., hat sie gewaltsam von dort vertrieben. In den vergangenen Tagen kam es bereits zu Oromo-Protesten in London, Washington, Minnesota und Frankfurt am Main. Und die einflussreiche Oroma-Diaspora heizt die Lage mit unerfüllbaren politischen Forderungen weiter an. 

Hachalus Songs spielen mit Sehnsüchten und Identität, stellen indirekt aber auch die nationale Einheit in Frage. Das föderale Gebilde Äthiopien fußt mit der Verfassung von 1995 auf ethnischen definierten Bundesstaaten. Seit mit dem Reformer und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed nicht mehr die eiserne Faust regiert, nehmen die ethnischen Spannungen zu. Nationale Regierung und Provinzmächte begegnen sich mit äußerstem Misstrauen. Die einst allmächtige sozialistische Einheitspartei EPRDF ("Äthiopische Volksrevolutionäre Demokratische Front") ist als "Wohlstandspartei" neu gegründet worden, aber hat bereits wichtige Glieder verloren. Der seit gut zwei Jahren regierende Abiy steht unter enormem Druck. Er ist selbst ein Oromo, verliert aber zusehends an Unterstützung. Schon heißt es, im 80-Völker-Staat stünden eigentlich nur noch die Amharen hinter dem Ministerpräsidenten.

De facto gilt der Ausnahmezustand

Die Corona-Krise hat ihm bereits alle Sondervollmachten verschafft. Es gilt de facto bereits der Ausnahmezustand. Die für dieses Jahr angekündigten ersten freien Wahlen sind auf eine unbestimmte Nach-Corona-Zeit verschoben. Schon erklärte der Bundesstaat Tigray, sich nicht an die Order zu halten und noch dieses Jahr wählen zu lassen. Andere, wie der Bundesstaat Oromia, könnten folgen.

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Claus Stäcker leitet die Afrika-Programme der DW

In den Straßen der Hauptstadt patrouillieren Armee und Polizei, nach den Tumulten noch sichtbarer als sonst. Geschäfte, Behörden, Banken sind zwar geöffnet. Bahnen und Taxis verkehren normal. Zugleich bewachen aber die berüchtigten "Red Berets" die Häuser einflussreicher Oromo-Politiker und stehen Wache rund um die Moscheen. Das Militär hat das Kommando übernommen.

Abiy schrieb den Mord an dem populären Sänger reformfeindlichen Kräften "von innen und außen" zu. Drei Tatverdächtige sind in Untersuchungshaft. Dort sitzen mit Jawar Mohammed und Bekele Gerba seit dieser Woche aber auch die beiden einflussreichsten Oromo-Oppositionellen - angeblich, weil sie zu Unruhen aufwiegelten. Jawar steuert ein internationales Netzwerk und Medienimperium und war von Abiy in einer Versöhnungsgeste aus dem Exil zurückgeholt worden. Inzwischen sind sie erbitterte Feinde.

Ein Zerfall Äthiopiens wäre folgenreich

Der Prozess gegen die Oromo-Politiker soll noch diesen Monat beginnen. Ihnen drohen hohe Haftstrafen. Menschenrechtler sprechen von "Kriminalisierung der Opposition" und einem Rückfall in alte Zeiten. So sehr Jawar und Bekele auch gezündelt haben mögen, an ihnen führt für die Zukunft Äthiopiens kein Weg vorbei. Sie sind die Protagonisten, die das Schicksal des ältesten Nationalstaates in Afrika mitbestimmen.

Fiele der 110-Millionen-Einwohner-Staat tatsächlich auseinander, wären die Folgen kam auszumalen: Ein Land, das zuletzt wirtschaftliche Erfolge feierte. Dessen Reform-Premier als Hoffnungsträger für sozialen und demokratischen Fortschritt gilt. Weiteres Blutvergießen wäre zu befürchten. Fatale Auswirkungen auf die fragile Region von Somalia über Eritrea bis Südsudan und Sudan, in der Äthiopien eine stabilisierende Rolle spielt. Millionen desillusionierter Jugendlicher würden sich unweigerlich auf die Suche nach einer besseren Zukunft machen - auch in Deutschland.

Rache ist keine Grundlage

Abiy muss also einen Weg zum nationalen Dialog finden, mit Hilfe traditioneller Führer und einflussreicher Mittelsmänner. Und die radikalen Kräfte, gerade aus der Oroma-Diaspora, müssen darauf eingehen und ihre egoistischen Machtinteressen zurückschrauben. Gemeinsam müssen sie an einem nationalen Narrativ arbeiten, das ein neues Äthiopien jenseits von Kaisern, Kirche und Kommunisten beschreibt. Schon Nelson Mandela wusste: Eine Nation kann man nicht auf der Grundlage von Rache gründen.

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Claus Stäcker Leiter der Afrika-Redaktionen mit geschärftem Blick auf Politik, Demografie, Generationenkonflikt@ClausStaecker