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Hart oder naiv

Christoph Hasselbach9. Juli 2014

Die europäische Flüchtlingspolitik blockiert sich selbst durch schlechtes Gewissen und Angst, findet DW-Europaexperte Christoph Hasselbach. Es bräuchte eine EU-weite Verteilungsregelung, aber die ist noch unrealistisch.

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Grenzschützer mit Flüchtlingsboot Foto: picture-alliance/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Das Thema Flüchtlinge ist dermaßen emotional aufgeladen, dass man sich daran eigentlich nur die Finger verbrennen kann, wenn man eine verantwortliche Politik entwickeln will. Spätestens seit dem Tod von fast 400 Flüchtlingen vor Lampedusa bei einer einzigen tragischen Überfahrt im Oktober vergangenen Jahres hat Europa ein furchtbar schlechtes Gewissen - zu Recht. Gleichzeitig will Europa eigentlich keine Flüchtlinge. Was macht man mit dieser inneren Zerrissenheit? Sie bestimmt auf jeden Fall die Politik. Und sie verhindert eine vernünftige Auseinandersetzung mit dem Problem. Sie führt dazu, dass jeder Staat sagt, er tue doch schon genug, die anderen sollten gefälligst mehr Verantwortung übernehmen.

Am großzügigsten ist Schweden

Italien zum Beispiel ist wegen seiner langen, Nordafrika besonders nahegelegenen Küsten und Inseln besonders betroffen. Es schickt aber auch entgegen den europäischen Regeln Flüchtlinge einfach weiter nach Norden. Und verglichen mit der Bevölkerungszahl nimmt Italien auch gar nicht so viele auf. Auch Deutschland hat bei der Aufnahme von Flüchtlingen nur den Spitzenplatz bei den absoluten, nicht bei den relativen Zahlen. Verglichen mit der eigenen Bevölkerung, nimmt Schweden den ersten Platz ein - das Land, das von allen EU-Ländern am weitesten von den üblichen Flüchtlingsrouten entfernt liegt. Doch es kann letztlich nicht um einen europäischen Wettbewerb gehen, weder einen, bei dem sich jeder Staat möglichst stark abschottet, noch einen, bei dem er sich als humanitären Sieger nach Aufnahmezahlen feiert. Ziel müsste eigentlich eine EU-weite Verteilungsregelung sein, die von freiwilligen Gesten unabhängig wäre.

Christoph Hasselbach Foto: DW
Christoph Hasselbach: Es wird so bald keine EU-weite Verteilung geben.Bild: DW/P. Henriksen

Soll Europa die ganze Welt aufnehmen?

Doch wir müssen verschiedene Dinge akzeptieren. Dazu gehört, dass es diese Regelung auf absehbare Zeit nicht geben wird. Die meisten Regierungen, die ihr zustimmen würden und dann in ihren Ländern mehr Flüchtlinge aufnehmen müssten, bekämen zuhause erbitterten Widerstand zu spüren. Bei der Europawahl haben die rechten Parteien nicht nur deshalb so stark zugelegt, weil sie Brüssel eins auswischen wollten, sondern vielleicht noch mehr, weil ihre Wähler Angst vor Überfremdung haben. Man kann diese Angst übertrieben finden, Ernst nehmen muss man sie trotzdem. Die Forderungen von Flüchtlingsorganisationen klingen oft so, als sollte Europa ausnahmslos jeden bei sich aufnehmen, völlig egal, aus welchem Land und aus welchem Grund jemand kommt. Das geht selbstverständlich nicht, und man wäre auch politisch blind für die Grenzen der Aufnahmebereitschaft, die man nicht ungestraft überschreiten kann.

Schwierige Entscheidung

Das bedeutet eine bittere Konsequenz: Wenn man den Schutz, den politisch Verfolgte genießen und der ihnen durch die Genfer Konvention auch rechtlich zusteht, erhalten will, muss man andere Flüchtlinge auch abweisen können. Wenn die EU-Kommission zum Beispiel richtigerweise vorschlägt, die legale Einwanderung möglich zu machen, wird das vor allem für Menschen gelten, die Europa durch ihre Qualifikationen etwas zu bieten haben; andere werden dann notwendigerweise leer ausgehen. Das ist im übrigen das System, das klassische Einwanderungsländer wie Kanada oder Australien seit langem anwenden. Es ist ebenfalls nicht verwerflich, mit Herkunftsländern zusammenzuarbeiten, um Schleuser zu bekämpfen. Andererseits darf es nicht sein, dass man Flüchtlingen den Weg zu einem geordneten Asylverfahren von vornherein unmöglich macht. So geschieht es offenbar massenhaft in Griechenland oder Italien.

Flüchtlingslager in der Wüste Foto: Robert Neufeld
Andere tun viel mehr: Lager für syrische Flüchtlinge in Jordanien.Bild: World Vision/R. Neufeld

Manchmal ist schlichte Barmherzigkeit gefragt

Immer wieder äußern europäische Politiker die Binsenweisheit, vor allem müsse man die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern verbessern; dann hätten die Menschen keinen Grund mehr, ihre Heimat zu verlassen. So richtig die Forderung ist, ist sie doch auch Augenwischerei. Europa wird nicht ganze Regionen oder gar Kontinente zu stabilen, wohlhabenden Gemeinwesen machen können. Der Migrationsdruck wird bleiben und mit ihm die Notwendigkeit zu entscheiden, wer kommen darf und wer nicht. Dabei muss auch Raum sein für schlichte Barmherzigkeit wie bei syrischen Flüchtlingen. Bei ihnen erst auf eine europäische Quotenregelung zu warten, wäre Warten auf den Sankt-Nimmerleinstag. Doch es gibt keinen klaren, leichten Weg durch dieses moralische Dickicht. Pauschale Antworten wie "kein Mensch ist illegal" lösen das Dilemma nur vordergründig. Schlechtes Gewissen sollte kein Ratgeber sein.