1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Wir, die Angst und das Coronavirus

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
6. März 2020

Es ist ja richtig, dass wir Vorsorge treffen, denn mit dem Coronavirus ist nicht zu spaßen. Aber in Panik verfallen müssen wir auch nicht. Tun wir aber, meint Jens Thurau nach zehn Tagen Berichterstattung.

https://p.dw.com/p/3Yyle
Coronavirus Regal mit Desinfektionsmitteln in der dm-Drogerie
Bild: DW/N. Jolkver

Die Taxifahrerin, die mich von der Redaktion zum Robert-Koch-Institut in Berlin fährt, hat ihre eigene Ansicht zum Thema Nummer eins in Deutschland. Sie fragt: "Was passiert, wenn die Zeitungen schreiben: 'Keine Angst vor dem rosa Elefanten!' Dann sagen die Leute: Oh Gott, es gibt bei uns rosa Elefanten?"

Das ist eine zutreffende Beschreibung für das, was Deutschland gerade mit dem neuen Virus aus China erlebt. Dienstreisen werden gestrichen, auch im Inland. Desinfektionsflaschen hängen plötzlich an der Wand in den Büros. Die Arztpraxen sind knallvoll, es wollen sich auch Menschen testen lassen, die gar keine oder nur geringe Symptome zeigen. Messen fallen aus, Parteitage stehen zur Disposition. Aber jeden Morgen ist die S-Bahn quälend voll wie immer, wie auch sonst? Sollen wir wirklich dem Rat von Wissenschaftlern folgen und geschlossen in Quarantäne gehen?

Müssen wir gleich Hamsterkäufe tätigen?

Tun wir nicht. Obwohl: Recht haben die Wissenschaftler auch, genau genommen: Wenn alle mal zwei Wochen lang still da sitzen bleiben würden, wo sie gerade sind, hätte das Virus wohl kaum eine Chance. Aber anders als etwa in Italien ist die Epidemie in Deutschland, wie die Experten sagen, noch in der Phase der "Eindämmung". Will heißen: Infizierte werden isoliert und behandelt, Kontaktpersonen aufgespürt. Da kann dann schon mal ein Kindergarten oder eine Schule geschlossen werden. Aber eben nicht das Land.

Thurau Jens Kommentarbild App
DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Müssen wir deshalb gleich Hamsterkäufe tätigen, wie hier und da schon geschehen? Wenn eine Gesellschaft es mit der Angst zu tun bekommt, dann lässt sie schon mal alle guten Sitten fahren, leider, muss man sagen, ganz speziell die deutsche Gesellschaft. Also horten die Menschen Schutzmasken, obwohl die nach Angaben der Experten nichts bringen, sondern vor allem in Kliniken und Arztpraxen dringend benötigt werden. Glasklar kriminell ist es zudem, Schutzmasken zu stehlen und sie überteuert im Internet anzubieten. Das kann aber auch nur klappen, weil die Menschen leicht in Hysterie verfallen und den illegalen Markt erst schaffen.

Bei den Presse-Konferenzen mit Minister Jens Spahn oder den Experten des Robert-Koch-Instituts werden Fragen gestellt, die eigentlich nur beweisen, wie dumm auch Journalisten sein können. Warum gibt es immer noch keinen Impfstoff, gefragt mit anklagendem Unterton? Der mittlerweile bundesweit bekannte Virologe Christian Drosten, Dauergast im Fernsehen, der fieberhaft mit internationalen Kollegen an genau so einem Corona-Impfstoff forscht, muss sich dann mühsam beherrschen und sagt immer die gleichen Sätze: Das Virus ist neu, vieles ist noch unbekannt, wir arbeiten dran, aber schneller geht es nicht. Sein Blick verrät, dass er das jetzt hier für Zeitverschwendung hält.

Messen werden abgesagt, die Bundesliga spielt

Also tasten wir uns durch die Epidemie. Die Internationale Tourismus-Börse in Berlin wird abgesagt, die Hannover-Messe verschoben. Aber die Bundesliga spielt in vollen Stadien. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, dringt nicht so richtig durch mit seiner Mitteilung, die meisten Neu-Infektionen kämen mittlerweile aus dem Inland, die Menschen würden das Virus also kaum noch aus dem Ausland mitbringen. Das ist eine gute Nachricht, weil die Kontaktpersonen so wohl weniger sind und die Experten sich auf die Bekämpfung im Inland konzentrieren können.

Im Kern haben wir es also mit einem kollektiven Angst-Geschehen zu tun. Wir sind es in unserer wohlhabenden, technisch gesteuerten und automatisierten Welt nicht mehr gewohnt, wenn Dinge nicht vorhersehbar sind. Und dann gehen wir gern und bereitwillig vom Schlimmsten aus.

Was wir schon lange kennen, sind die Grippewellen in der kalten Jahreszeit. Nur mal so zum Vergleich, Stand Freitag, 5.März: Seit Jahresbeginn sind über 100.000 Menschen in Deutschland an Grippe erkrankt und rund 200 auch daran gestorben. Darunter sind viele alte, kranke und geschwächte Menschen. Aber diese Zahl bringt keine Schlagzeilen. Es ist wie mit dem Fliegen: Die Experten und Statistiker werden nicht müde, klarzustellen, dass das Flugzeug das sicherste aller Verkehrsmittel ist. Die Gefahr, im Straßenverkehr ums Leben zu kommen, ist ungleich höher. Aber die Bilder von schrecklichen Flugzeugabstürzen meißeln sich nun mal ins Hirn. Die vielen tausend geglückten Starts und Landungen jeden Tag, sind einfach da und keine Schlagzeile wert.

"Chill mal, Deutschland!"

Im Großen und Ganzen, ist mein Eindruck, kommen Ärzte, Pfleger und Wissenschaftler in Deutschland noch klar mit dem Corona-Virus. Sicher: Das Gesundheitssystem hat Schwächen, die Gesundheitsämter in den Kommunen sind überfordert, es gibt zu wenig Personal. Und die Globalisierung hat ihre irrsinnigen Seiten, wie sich zeigt, wenn klar wird, wie viele Medikamente in China hergestellt werden und jetzt fehlen.

Wenn ich mich mal zuhause so richtig aufrege über Kleinigkeiten, dann sagen meine Kinder auf Neu-Deutsch: "Chill mal, Papa!" Was mich dann erst recht auf die Palme bringt. Aber jetzt kann ich es ja mal zurückgeben: "Chill mal, Deutschland!" Lasst uns das Virus ernst nehmen, hören wir auf die Experten, behalten wir die Nerven. Händewaschen nicht vergessen, zur Begrüßung auf den Händedruck verzichten und lieber nett lächeln. Und gehen wir nicht vom Schlimmsten aus.