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Politik

Wie findet man einen Bundespräsidenten?

25. Oktober 2016

Neuer Mieter für Schloss Bellevue gesucht. Mal wird in vertraulichen Runden gesprochen, mal werden mögliche Kandidaten in den Medien ausgerufen. Das Ziel: eine sichere Mehrheit. Muss das sein? Fragt Volker Wagener.

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Deutschland Flagge vom Bundespräsident auf Schloss Bellevue in Berlin
Bild: Reuters

Das große Strategiespiel um die Nachfolge von Joachim Gauck hat begonnen. Früher als erwartet. Sigmar Gabriel konnte das Wasser nicht halten: Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister solle es werden, so der SPD-Chef. War der Vorstoß ein politischer Fauxpas, eine Ungeschicklichkeit? Weder noch. Es war ein Schachzug. Die Lage ist nämlich die: Es gibt eine Koalitionsvereinbarung. Demnach wollen Union und SPD gemeinsam nach einem Kandidaten fahnden. Doch Gabriel hat das nun konterkariert.

Nicht das erste Mal. Denn schon vor 14 Tagen hatte Gabriel bei Grünen und Linken sondiert, ob sie gemeinsam mit der SPD Margot Käßmann zur Bundespräsidentin wählen würden. Die frühere Chefin der Evangelischen Kirche in Deutschland und den Bundesaußenminister eint, dass sie breiten Bevölkerungsschichten bekannt und vergleichsweise beliebt sind - sie also in einer direkten Wahl durchaus Chancen hätten. 41 Prozent der Deutschen möchten zum Beispiel laut Demoskopen-Erhebung (Emnid) den derzeitigen Chefdiplomaten als Staatsoberhaupt sehen. Soviel Zustimmung hat sonst keiner.

Das Volk würde anders wählen

Nur: Der Bundespräsident wird nicht vom Volk, sondern von der Bundesversammlung gewählt. Und hierfür gelten eben andere Gesetze. Es wird kein Wahlkampf der Kandidaten geführt, sie werden einfach ernannt und dann gewählt. Von denen, die eine Mehrheit haben oder eine erreichen wollen. Doch solche Mehrheiten organisiert man nicht öffentlich, sondern eher im Verborgenen - das sollte der SPD-Chef eigentlich wissen. Zumal die Wahl des Bundespräsidenten ein halbes Jahr vor der Neuwahl des Bundestages liegt. Da ist alles nur noch Strategie. Die Mehrheitssuche in der Bundesversammlung gilt deswegen schon als Planspiel und Testfall für künftige Koalitionsoptionen.

Wagener Volker Kommentarbild App
DW-Redakteur Volker Wagener

Also muss man Sigmar Gabriel keine Naivität unterstellen. Er will sich profilieren und macht einfach Druck. Vor allem auf Angela Merkel, die schon mal stärker war, um für Ruhe und Disziplin im Koalitionskarton zu sorgen. Gabriel will bei den Wählern punkten, bei denen Steinmeier Ansehen genießt. Doch die Union, die rund 40 Prozent der Wahlmänner und Frauen in der Bundesversammlung stellt, will aus nachvollziehbaren Gründen keinen Roten auf den Schild heben. Einerseits. Andererseits wäre Steinmeier auch ein akzeptabler Kandidat für die Konservativen. Bis auf seine russlandpolitischen Ansichten. Aufgestoßen ist der Union aber vor allem das Vorpreschen des SPD-Chefs: Koalitionäre möchten intern vorab gefragt werden. Alles andere zerstört Vertrauen.

Hinzu kommt: Selten zuvor war die deutsche Gesellschaft politisch so aufgewühlt wie derzeit unter dem Eindruck der Flüchtlingspolitik, dem Anwachsen der AfD und der Destabilisierung der Europäischen Union. Der Neue oder die Neue in Bellevue muss also vieles können: ausgleichen und integrieren, die Zeit verstehen und gut reden können. Steinmeier wäre so einer. Aber auch Norbert Lammert, der Bundestagspräsident. Ebenso Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Beide und andere Respektspersonen mehr haben schon abgesagt.

Mehr Mut zum offenen Wettstreit

Das alles ist nicht nur bedauerlich, es ist ärgerlich. Denn das frühzeitige Ausrufen von möglichen Kandidaten auf dem offenen Markt verprellt vor allem die "Guten", die am besten für das Amt geeignet wären. Wer tritt schon an, wenn die Wahl gar nicht sicher ist? Genau das aber fördert die Hinterzimmer-Rituale. Die Demokratie würde gewinnen, träten zwei hochkarätige Kandidaten aus den großen politischen Lagern gegeneinander an. Joachim Gauck hatte, als er 2010 Christian Wulff unterlag, keinen wirklichen Nachteil. Er bekam die Schlüssel für Bellevue nur etwas später, im zweiten Anlauf. Und auch Richard von Weizsäcker hatte schon 1974 gegen Walter Scheel die Wahl verloren, bevor er dann 1984 ein hochgeachteter Bundespräsident wurde. Also: Mehr Mut zur Niederlage, oder wenigstens zum Risiko. Denn wer weiß: Im dritten und entscheidenden Wahlgang genügt schon die einfache Mehrheit der Stimmen zum Sieg.        

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