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Kommentar: West-östliche Eiszeit

16. Mai 2007

Das Gipfeltreffen zwischen der EU und Russland wird in gespannter Atmosphäre stattfinden. Wie schlecht steht es wirklich um die Beziehungen zwischen beiden Seiten? Cornelia Rabitz kommentiert.

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Bild: DW

Die neue west-östliche Eiszeit zeigt sich in einer Vielzahl von Punkten: Streit um Energielieferungen, um russische Demokratiedefizite, um die Einfuhr von polnischem Fleisch nach Russland, um den künftigen Status des Kosovo, um das amerikanische Raketenschild, um die Drohung Moskaus, aus dem KSE-Vertrag zur Rüstungskontrolle auszusteigen bis hin zur Auseinandersetzung um ein sowjetisches Kriegerdenkmal in Tallinn.

Russland in der Opferrolle

Ein Klima des Misstrauens und des Argwohns ist entstanden. Die Diskussionen sind derart emotionalisiert, die Standpunkte so festgefahren, dass man am liebsten nach therapeutischer Einwirkung durch einen kompetenten Psychologen rufen möchte.

Russland gefällt sich derzeit in der Rolle des Opfers dunkler Machenschaften, man klagt über Respektlosigkeit und mangelnde Anerkennung durch den Westen. Das Trauma des Weltmachtverlusts wirkt als Phantomschmerz nach und beflügelt den Wunsch nach Rückkehr zu imperialer Größe. Wladimir Putin bleiben nur noch wenige Monate im Amt des Präsidenten – er setzt jetzt ausschließlich auf Stärke, Kompromisslosigkeit und Drohungen. Täuschen und Tricksen gehören dabei durchaus zum Repertoire: Triumphierend kam Putin soeben aus Zentralasien zurück, wo er neue Pipeline-Allianzen mit Turkmenistan und Kasachstan geschmiedet und europäische Pläne durchkreuzt hat.

Russland, der unheimliche Nachbar

Für politischen Frost sorgen freilich auch Rivalitäten der beiden Großmächte USA und Russland im postsowjetischen Raum. Und hier sind Gut und Böse keineswegs so klar verteilt, wie im Westen gerne behauptet wird. Die russische Außenpolitik ist zweifellos vom Gedanken der Rache geprägt. Politisch motivierte und dazu fadenscheinig begründete Strafaktionen Moskau gegen unbotmäßige Länder, die einst zum sowjetischen Imperium gezählt haben, demonstrieren dies augenfällig. Freilich verfolgen auch die USA eine Strategie der Ausdehnung ihrer Einflusszonen im postsowjetischen Raum, der gezielten Provokation und damit letztlich der Eindämmung Russlands.

Zwischen alten und neuen EU-Mitgliedern hat sich unterdessen ein Riss aufgetan, der die Formulierung einer gemeinsamen Russlandpolitik erschwert. Für die einstigen Vasallen des Sowjetimperiums – Polen und die baltischen Länder - ist Russland noch heute ein riesiger und unheimlicher Nachbar. Die Beziehungen sind ungeklärt, die gemeinsame Vergangenheit ist nicht aufgearbeitet, das Erbe Stalins, die sowjetische Okkupation – alles tabuisiert und, wie die Auseinandersetzung um das Kriegerdenkmal zeigt, gelegentlich zum Reizthema hochstilisiert.

So erschöpft sich die EU-Politik gegenüber Russland derzeit in immer gleichen Appellen und im gelegentlichen Aufrufen von Ängsten und Stereotypen. Diese Politik ist nicht frei von Widersprüchen. Wer Russland auf die Rolle eines Energielieferanten reduziert, wer mal mehr oder weniger Energie will, wer wirtschaftlich kooperiert und gleichzeitig vor zu viel Abhängigkeit warnt, muss sich über brüske Reaktionen aus Moskau nicht wundern.

Cornelia Rabitz
DW-RADIO/Russisch, 15.5.2007, Fokus Ost-Südost