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Wer hat Angst vorm Doppelpass?

10. August 2016

Die Demokratie werde durch doppelte Staatsbürgerschaften bedroht, glauben deren Gegner. Die sollten deswegen abgeschafft werden. Das ist Stimmungsmache und verkennt die Wirklichkeit, meint stattdessen Zoran Arbutina.

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Deutschland - Türkei Reisepässe
Bild: Imago/C. Ohde

Die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft spaltet die Gemüter in Deutschland. Argumentiert wird dabei bis heute seltsam altmodisch: Man könne nicht "Diener zweier Herren" sein, wird argumentiert, und es werden Loyalitätskonflikte der Bürger zweier Staaten beschworen. Es wird ganz einfach Stimmung gemacht und Ängste geschürt: von einer "fünften Kolonne" der Despoten und Autokraten ist da die Rede, die Demokratiebereitschaft und Demokratiefähigkeit der Bürger mit Doppelpass wird angezweifelt. Die Botschaft lautet schlicht: Gefahr im Verzug!

Gemeint sind jedoch nicht die Trump-Anhänger unter den Deutsch- Amerikanern, genau so wenig wie die Le Pen Anhänger bei den Deutsch-Franzosen, die Kaczynski-Fans unter den 690.000 Deutsch-Polen oder um die Putinversteher bei den rund 570.000 Russlanddeutschen. Nein, es geht einzig und allein um die Gefolgsleute von Recep Tayyip Erdogan unter den 530.000 Türken, die neben einem türkischen auch einen deutschen Pass haben.

Erdogan und seine Fünfte Kolonne

Erdogan ist derzeit das gepflegte Lieblingsfeindbild der Deutschen, der Mann, vor dem man Angst haben muss und der das demokratische Europa bedroht. Und dessen Fünfte Kolonne eben die Deutschtürken sind, die nur auf sein Signal warten. Und dagegen - so die logische Konsequenz - müsse man sich eben wehren. Handeln! Sofort! Und entschlossen!

Und wie? Am besten, indem man alle, die einen deutschen und einen türkischen Pass haben, zwingt, sich zu entscheiden. Entweder oder. Deutscher oder Türke. Das hat einen gewissen Charme, klingt nach einer einfachen Lösung für die komplizierte Wirklichkeit. Nur: Die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft löst keines der wirklichen oder vermeintlichen Probleme, die ihre Gegner mit ihr haben.

Die Feinde der Demokratie

Ohnehin ist die doppelte Staatsbürgerschaft Teil geltenden EU-Rechts. EU-Bürgern kann sie also gar nicht aberkannt werden. Deutschland muss also sowohl die Orban-Freunde unter den Deutsch-Ungarn genauso wie rechtsradikale Ustascha-Nostalgiker unter den Deutsch-Kroaten ertragen.

Es geht also ganz offenbar allein um die Türken. Es ist deswegen sinnvoll, an ein paar Fakten zu erinnern: Laut des Zensus von 2011 besaßen damals knapp 4,3 Millionen Menschen in Deutschland neben der deutschen auch eine weitere Staatsangehörigkeit. Von diesen waren rund eine halbe Million Türken. Zum Vergleich: Gleichzeitig lebten 1,5 Millionen Türken ohne deutschen Pass in der Bundesrepublik und rund 800.000 türkischstämmige Menschen hatten nur den deutschen Pass. Insgesamt haben also weniger als 20 Prozent der Türken in Deutschland zwei Pässe. Wo liegt da die Bedrohung für die deutsche Demokratie?

Arbutina Zoran Kommentarbild App
Zoran Arbutina ist Redakteur im Programmbereich Europa

Entflammt hat sich die jüngste Diskussion um den Doppelpass an der Pro-Erdogan Kundgebung in Köln am vorvergangenen Wochenende. Insgesamt haben dort zwischen 30.000 und 40.000 Menschen demonstriert - also höchstens sechs bis sieben Prozent aller Deutschtürken mit doppelter Staatsbürgerschaft beziehungsweise 1,5 Prozent aller Bürger mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland. Selbst wenn ausnahmslos alle Demonstranten von Köln Verächter der Demokratie wären - der gleiche Prozentsatz fände sich ausweislich aller Meinungsumfragen und Wahlergebnisse auch unter den Deutschen ohne Migrationshintergrund. Mit anderen Worten: Demokratie wird auch von Menschen bedroht, die innerhalb des Systems leben, die Anzahl ihrer Pässe spielt dabei keine Rolle.

Keine Gefahr - eine Bereicherung

Lieblingsargument der Doppelpassgegner ist die Gleichung: zwei Pässe = doppelte Loyalität = geht gar nicht!. Mit der Wirklichkeit hat das wenig zu tun. Für Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind Mehrfachidentitäten eine Selbstverständlichkeit. Es geht um verschiedene Sprachen, verschiedene Kulturen und verschiedene Antworten auf die Fragen: Wo fühle ich mich wohl, wo bin ich verankert? Die doppelte Staatsangehörigkeit ist eine Möglichkeit des Antwortens und ein sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zu verschiedenen Welten gleichzeitig - und damit ein Zeichen der Integration. Zu glauben, dass jemand, der gezwungen wird, einen Pass abzugeben, dadurch auch eine seiner Loyalitäten aufgibt, ist irrig. Das führt nur zur Verbitterung, zu Heuchelei und zu Abkehr. Denn mit der Loyalität ist es wie mit der Liebe: Sex kann man erzwingen, die Liebe nicht!

Natürlich muss Demokratie wehrhaft sein, sie braucht die Möglichkeit, ihre Feinde zu bekämpfen. Eine moderne Demokratie kann aber nur als eine offene Gesellschaft bestehen und sich weiter entwickeln. Und ein Ausdruck dieser Offenheit ist, ihren Bürgern zu ermöglichen, ihre Identitäten so zu leben, wie sie es empfinden - auch wenn dass zwei Pässe mit sich bringt.

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