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Politik

Mit Wahlen in die Diktatur

Javier Arguedas
Javier Arguedas
17. August 2019

Mit vorgezogenen Parlamentswahlen in Venezuela würde die letzte demokratische Institution des Landes geschleift. Und die internationale Gemeinschaft schaut dem Gang in die Diktatur einfach nur zu, meint Javier Arguedas.

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Venezuela Vereidigung Präsident Maduro
Der Plenarsaal der Nationalversammlung von Venezuela in CaracasBild: Getty Images/AFP/F. Parra

Ein Tag vor seiner Wahl zum Präsidenten Venezuelas versicherte Hugo Chávez 1998 der internationalen Presse, er werde nach fünf Jahren die Macht wieder abgeben, keine Unternehmen verstaatlichen und die privaten Fernsehsender in privater Hand belassen. Zehn Jahre später musste die Welt jedoch festzustellen, dass alles, was damals so vehement ausgeschlossenen worden war, dem tatsächlichen Plan des Chavismus entsprach.

Hätte Chávez damals schlagartig nach der absoluten Macht gegriffen, hätten sowohl das Volk als auch die internationale Gemeinschaft mit einem Aufschrei reagiert. Deswegen war seine Vorgehensweise eine andere. Sie folgt der Analogie des Frosches im heißen Wasser: Der springt sofort heraus, wenn man ihn in einen Topf mit kochendem Wasser wirft.  Aber er bleibt bis zum Tod im Topf sitzen, wenn kaltes Wasser ganz langsam erhitzt wird. Nach genau diesem Vorbild hat die chavistische Regierung in Venezuela - inzwischen unter der Führung Nicolás Maduro - in kleinen Schritten eine faktische Diktatur etabliert. Und die ganze Welt schaut reglos zu.

Störfaktor Parlament

Der neueste Schachzug von Nicolás Maduro soll nun den Weg ebnen für die widerstandslose Kontrolle des Landes: die endgültige Abschaffung des Parlaments, der Asamblea Nacional. Nicht, dass in Venezuela eine unabhängige legislative Macht noch existieren würde: Diese wurde bereits 2017 abgeschafft, als Maduro einfach ein paralleles, regierungsfreundliches Parlament wählen ließ, und der vom Volk frei gewählten Asamblea Nacional alle Macht nahm. Aber diese letzte demokratische Institution in Venezuela ist trotz allem immerhin laut. So laut, dass ihr Präsident, Juan Guaidó, inzwischen von über 50 Ländern als legitimer Präsident des Landes anerkannt wird.

Javier Arguedas
DW-Redakteur Javier ArguedasBild: DW

Guaidó hat bisher vergeblich versucht, Maduro zu bezwingen und Venezuela zu regieren. Aber im Januar läuft nun seine reguläre Amtszeit als Präsident der Nationalversammlung ab. Die Regierung setzt deswegen alles daran, das frei gewählte Parlament noch vor diesem Termin aufzulösen, obwohl es eigentlich bis Ende 2020 gewählt ist. Denn die Abgeordneten sollen auf keinen Fall die Chance bekommen, noch einmal einen wie Guaidó an ihre Spitze zu stellen. Der Plan lautet daher: vorgezogene Parlamentswahlen - entweder noch 2019 oder Anfang 2020.

Seit Jahren fordern Oppositionsführer, internationale Organisationen sowie ausländische Regierungen, dass in Venezuela freie Wahlen stattfinden müssten. Und immer wieder antwortet die Regierung mit der Ankündigung neuer, aber gleichgeschalteter Wahlen. Seit 1999 findet durchschnittlich jedes Jahr irgendeine Wahl in Venezuela statt, immer mit dem gleichen Ergebnis: Das Regime wird stärker. Auch bei den bevorstehenden Parlamentswahlen wird es nicht anders sein. Alle diese Wahlen nimmt kaum noch ein Venezolaner ernst, weil sie von einer Maduro-treuen Behörde ausgeführt und überwacht werden. Und weil sie stets nur als demokratische Legitimation dienen für den nächsten Schritt bei der Beseitigung regierungskritischer Institutionen. Die Venezolaner haben zudem über die Jahre gelernt, dass ihre Stimme nicht zählt. Denn egal wie oft sie sich zu den Wahllokalen quälen - am Ende feiert stets der Chavismus Triumphe. Und als das Land 2015 der Opposition im Parlament zur Mehrheit verhalf, hat das auch nichts geändert.

Das Ausland in "großer Sorge"

Im Ausland betrachtet man die Entwicklungen stets "mit großer Sorge". Doch das wir schon gefühlt 1000 Mal gehört. Es wiederholt sich immer wieder: Maduro wagt einen neuen Schritt, die Opposition schreit auf, die Menschen gehen auf die Straße, die internationale Gemeinschaft verurteilt die Ereignisse, die USA verhängen Sanktionen und am Ende - passiert gar nichts! Bis Maduro den nächsten Schritt wagt. Wie weit er gehen wird, weiß keiner.

Die internationalen Zirkel, in denen die Krise in Venezuela immer wieder beraten wird, liefern keine Lösungen, sondern nur heiße Luft. Die sogenannte "Lima-Gruppe", bestehend aus einer Handvoll lateinamerikanischer Länder und Kanada, hat das neueste Vorhaben der Regierung Maduro bereits stark kritisiert. Das ist aber die gleiche Gruppe, die Anfang August eine peinliche "Internationale Konferenz für die Demokratie in Venezuela" organisiert hat. Die hat nicht nur keine Ergebnisse erzielt, sondern diente auch noch als Showbühne der US-Regierung, um sich selbst mit neuen Sanktionen gegen Venezuela zu feiern. Mit diesen Sanktionen, von denen noch nicht einmal klar ist, ob sie überhaupt stringent durchgezogen werden, haben die einzigen noch bestehenden Gesprächsfäden zwischen Maduro und der Opposition abreißen lassen und im Endeffekt womöglich die Pläne zu den vorgezogenen Parlamentswahlen ausgelöst. Dass ausgerechnet die Lima-Gruppe dennoch weiterhin die relevanteste Stimme bleibt, wenn es um die internationale Kooperation zum Thema Venezuela geht, will was heißen.

Niemand hat die Absicht...

Unterdessen schwören die Chavisten, dass niemand die Absicht habe, die Nationalversammlung aufzulösen. Zynisch behauptet Diosdado Cabello, die Nummer zwei nach Nicolás Maduro, die Nationalversammlung hätte sich längst selbst aufgelöst. Und vielleicht hat er in gewisser Weise recht: Wer nach Venezuela blickt, muss machtlos zusehen, wie sich Schritt für Schritt alles ändert. Die Opposition scheitert. Die Welt sieht zu. Die Diktatur nimmt Form an. Alles ganz wie von selbst.