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Schluss! Ende! Aus!

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
7. Mai 2016

Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei hat die EU von vornherein erpressbar gemacht. Doch das immer provokativere Verhalten von Präsident Erdogan bringt die Vereinbarung endgültig zum Scheitern, meint Barbara Wesel.

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Türkischer Präsident Erdogan vor Türkei- und EU-Flagge (Foto: Reuters/F. Lenoir)
Bild: Reuters/F. Lenoir

Erst jagte er seinen Premierminister davon. Und dann verkündete der Autokrat vom Bosporus unter dem Jubel seiner Anhänger, jeder solle seinen eigenen Weg gehen, die EU ihren und er seinen. An Letzterem können die Europäer wenig ändern, solange der Präsident eine Mehrheit seines Volkes hinter sich hat. Aber dass sie jetzt wieder ihre eigenen Lösungen für die Flüchtlingskrise suchen müssen, wird damit mehr als deutlich.

Provokation folgt auf Provokation

Die Europäer haben sich schon früher vom türkischen Präsidenten auf unverschämte Weise provozieren lassen, etwa als er im Winter davon sprach, der visafreie Reiseverkehr für türkische Bürger sei die nicht verhandelbare Gegenleistung dafür, dass die Türkei Flüchtlinge aus Griechenland zurücknehmen werde. Sollte die EU nicht liefern, würde Erdogan die Fluttore nach Europa wieder öffnen. Eine schlichte Drohung, ohne Rücksicht auf die Bedingungen für das Ende der Visapflicht. Spätestens da erlaubte der Präsident einen Blick auf seinen Gemütszustand. Er meint am längeren Hebel zu sitzen und nutzt diese Position schamlos aus. Man kann es Erdogan nicht einmal vorwerfen, denn er versucht schon längst nicht mehr, seine Machtgier und Kaltblütigkeit zu verschleiern.

Für die Europäer gilt hier die alte Devise: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Mit Männern wie Erdogan kann man keine politischen Geschäfte machen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte auf Premierminister Ahmet Davutoglu gesetzt - darauf, dass er den Machtkampf mit Erdogan gewinnen und die Türkei näher an Europa binden würde. Sie hat auf das falsche Pferd gesetzt. Jetzt liegt ihr Flüchtlingsdeal in Scherben.

Barbara Wesel (Foto: DW/G. Matthes)
Barbara Wesel ist DW-Korrespondentin in BrüsselBild: DW/G. Matthes

Die EU kann nicht wegsehen

Die Antwort auf Frage aber, wie weit die Europäer sich jetzt verbiegen und Mängel bei der Visa-Liberalisierung übersehen können, heißt: gar nicht! Erdogan hat angekündigt, dass er sein Anti-Terrorgesetzt nicht ändern werde. Das heißt, er wird es weiter zur Verfolgung von Kurden, von Schriftstellern und Journalisten einsetzen. Einen Geschmack davon gab die Verurteilung des Chefredakteurs und des Bürochefs der Oppositionszeitung "Cumhuriyet" zu je fünf Jahren Gefängnis, eine Strafe nur dafür, dass sie ihre Arbeit getan und dabei Informationen veröffentlicht haben, die für Erdogan peinlich sind. Welches Gesetz verbogen werden muss, um solche Urteile zu sprechen, ist letztlich egal, denn hier geht es ums Prinzip.

Die völlige Abschaffung der Pressefreiheit, wie wir sie in der Türkei beobachten, ist ein zentraler Verstoß gegen europäische Grundrechte. Damit ist ausgeschlossen, dass das Land die Bedingungen für den visafreien Reiseverkehr erfüllt. Er kann ihm nicht gewährt werden, da gibt es keinen Auslegungsspielraum. Viele Abgeordnete im Europaparlament ebenso wie in Berlin hatten bereits geschworen, es werde keinen Rabatt für die Türkei hinsichtlich der Erfüllung der Bedingungen geben. Jetzt ist es Zeit, sie beim Wort zu nehmen. Recep Tayyip Erdogan scheint die Europäer immer weiter zu testen, inwieweit sie bereit sind, ihre Werte auf der Resterampe zu verhökern. Da muss nicht der Papst kommen, um uns ins Gewissen zu reden und uns an unsere humanitäre Tradition zu erinnern. Die eigene Vernunft müsste ausreichen, um zu erkennen, dass es jetzt allerhöchste Zeit ist, die Reißleine zu ziehen.

Die EU muss die Flüchtlingskrise selbst lösen

Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei ist tot. Wir brauchen einen Plan B, oder besser einen neuen Plan A. Noch weiß man nicht, welche Konsequenzen Erdogan aus einem Nein der EU zur Visafreiheit ziehen wird. Wahrscheinlich ist, dass er den Flüchtlingsströmen nach Europa wieder freie Bahn lassen wird. Das Abkommen war sowieso nie wirklich sein Projekt. Großspurig hatte der türkische Präsident schon früher behauptet, Europa brauche ihn mehr als er Europa. Geopolitisch betrachtet ist das falsch. Aber es scheint ihm zunehmend gleichgültig zu sein.

In Brüssel kann man nur mit Horror einem weiteren Sommer von Krisengipfeln und Nachtsitzungen entgegensehen. Aber es führt kein Weg vorbei an einer europäischen Lösung für Migranten und Flüchtlinge. Erdogan jedenfalls fällt als Partner aus. Es ist Zeit, dem türkischen Nachwuchs-Diktator zu sagen, was wir von ihm halten. Laut, deutlich und ungeschminkt.

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