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Politik

Polens Regierung am Scheideweg

Rosalia Romaniec | DW Mitarbeiterin | Leiterin Current Politics
Rosalia Romaniec
17. Dezember 2016

Was in der Nacht zum Samstag am polnischen Sejm geschah, lässt nichts Gutes ahnen. Keine große Demonstration ist bisher so eskaliert. Die Regierung muss jetzt aufwachen, meint Rosalia Romaniec.

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Polen | Protest vor dem polischen Parlament gegen die Einschränkung der Pressefreiheit
Bild: picture-alliance/PAP/dpa/B. Zborowski

Die Ereignisse der Nacht zum Samstag sind eine Zäsur. Nie seit 1989 hatte die Polizei in Polen Gewalt eingesetzt, um Regierenden den Weg frei zu räumen. Am protestierenden Volk vorbei. Die Regierung sollte sich dafür schämen. Statt für Deeskalation zu sorgen, treibt sie die Spaltung und Destabilisierung Polens immer weiter voran.

Zum besseren Verständnis ein Blick auf die fragliche Nacht: Tausende versammelten sich am Abend vor dem Sejm-Gebäude in Warschau, nachdem bekannt wurde, dass die Regierung den Medienzugang im Parlament einschränkt. Blitzartig gingen Menschen auf die Straße, nicht nur in Warschau. Viele verfolgten Ereignisse, die sich im Sejm-Gebäude abspielten über soziale Medien und waren aufgebracht über Szenen, die man so aus Polen nicht kannte.

Alte Erinnerungen werden wach

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Rosalia Romaniec leitet die DW-Redaktionen für das östliche MitteleuropaBild: DW

Einem Oppositionspolitiker im Parlament wurde das Mikrofon abgedreht. Mundtot machen war ein fatales Symbol. Daraufhin besetzte die Opposition das Plenum. Einige Abgeordneten machten via Facebook Live die Tumulte im Plenarsaal der Öffentlichkeit zugänglich. Daraufhin versuchten Demonstrierende erfolglos ins Sejm-Gebäude einzudringen und anschließend blockierte die aufgebrachte Menschenmenge alle Ausfahrten.

Obwohl sich die Lage im Viertelstundentakt weiter aufheizte, unterbrach die Regierungspartei nicht die Gesetzes-Abstimmungen, sondern verlegte sie kurzerhand vom Plenar- in einen anderen Saal. Die Opposition soll an der Teilnahme gehindert worden sein. Anschließend konnten die Regierungsanhänger das Gebäude nicht verlassen, weil draußen die Massen tobten. Erst kurz vor drei Uhr nachts machte ein massiver Polizeieinsatz den Weg frei für zwei - die Premierministerin Szydło und ihren „Oberguru" Kaczyński, der zwar kein Amt bekleidet, aber sich als PiS-Parteichef die Regierung gefügig macht. Beide verlassen das Gelände im Auto.

Natürlich ist das eine heftige Blamage für eine Regierung, wenn das eigene Volk so aufbegehrt, dass nur noch die Polizei helfen kann. Schlimmer aber wiegt der Einsatz von Gewalt durch Ordnungshüter. Das demoliert endgültig das Ansehen dieser Regierung. Szenen von Frauen und Männern, die auf dem Boden liegend, laut schreiend durch Polizisten festgehalten werden, erinnern gefährlich gut an alte Zeiten, als die Polizei noch „Milicja" hieß.

Es droht Eskalation

Ein Armutszeugnis für diese Regierung! Und kein gutes Omen für Polen. Das Chaos scheint längst die Stufe erreicht zu haben, auf der es offenbar ziemlich zweitrangig ist, wer Recht oder Unrecht hat, um welches Gesetz es gerade geht, wer wen womit provozierte. Die Menschen hören auf, kühl zu argumentieren und stellen sich einfach auf die eine oder andere Seite. Die Spaltung nimmt zu, die Fronten verhärten. Es ist Zeit mit Abstand darauf zu blicken. Dann wird es deutlich, das immer mehr Polen so empört sind, dass sie mitten in einer kalten Winternacht auf die Strassen gehen, um dafür zu demonstrieren, was sie in der Vergangenheit immer wieder einte: Das Gefühl der Freiheit.

Wenn diese polnische Lokomotive rollt, ist sie nicht mehr aufzuhalten. Am Tag danach gehen wieder viele Menschen auf die Straße. Der Staat präsentierte sich mit Polizei im Zentrum von Warschau. Am Abend hat sich die Premierministerin in einer TV-Ansprache eher unbeweglich gezeigt. Doch gute Umfragewerte sind nicht alles, man muss demokratisch handeln. Vor allem muss die Regierung der Verfassung treu bleiben und nicht einem rücksichtslosen Partei-Anführer wie Kaczynski, der das Einigkeitsgefühl des Volkes mehr zerstört als stärkt. Sonst wird sie nicht lange an der Macht bleiben. Nicht in diesem Land.

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